Interview mit Katharina „Kate“ Rageth, 23.06.2020

Interviewer: Also, ich bedanke mich nochmal dafür, dass Sie sich auch so von sich aus gemeldet haben und würde mal da mit der Frage anfangen: Sie waren ja in Kassel auch mit dabei und, ich glaube, auch danach noch, aber ich weiß gar nicht, ob Sie vorher schon mitgearbeitet haben. Also vielleicht erzählen Sie zunächst einfach mal, wie Sie zu Van Gogh TV gekommen sind und was da Ihre Aufgaben gewesen sind?

Kate Rageth: Also, ich bin relativ früh zu Van Gogh TV gekommen. Ich war aktives Mitglied von Van Gogh TV von, ich glaube, das war der zweite Ars-Electronica-Auftritt im Hotel Pompino, in Linz. Das ist 1990 gewesen. Das ist ja schon alles ein Weilchen her. Also ich bin ‘92, ich glaube, drei Monate bevor es mit der Ars Electronica für Hotel Pompino losging, zu Van Gogh TV gestoßen, weil ich aktiv in der Mailbox-Szene war und ich kannte Mike Hentz und den Karel Dudesek schon seit Längerem und ich weiß jetzt gar nicht mehr konkret, wie sich das ergeben hat. Aber es war einfach so.

Interviewer: Woher kannten Sie die beiden?

Kate Rageth: Schon ewig und drei Tage.

Interviewer: Aus welchem Zusammenhang?

Kate Rageth: Meine Mutter war an der Kunsthochschule tätig, sie war Sekretärin von Karl Vogel, dem Präsidenten, und ich hab mich immer in der Szene mit rumgetrieben und habe so Mike Hentz kennengelernt, unter anderem. Und auch privat kannte ich zum Beispiel padeluun, den ich dann bei Hotel Pompino wiedergetroffen hatte, den kannte ich auch über den CCC, wo ich auch aktiv war. Das heißt, es war alles so ein bisschen verschwistert, verschwägert und die Sachen haben sich nicht wahnsinnig strukturiert ergeben, sondern sind einfach mehr oder minder passiert.

Interviewer: Aber es ist halt interessant, dass es einerseits so eine Verbindung über die Kunst gab und andererseits aber auch eine Verbindung über die Mailbox-Szene und die Computer-Reihe, wie man damals gesagt hat.

Kate Rageth: Genau, das war ja damals relativ eng zusammen. Also, ich denke, ein Vergleich wie in der Kunst- und Musikszene, Anfang der 60er-Jahre mit den Rolling Stones, die ja auch teilweise ihre Wurzeln an einer Kunstakademie haben, ist angemessen vermessen, aber illustriert es so ein bisschen. Oftmals hängen künstlerische Sachen relativ eng beieinander und es gibt immer den ein oder anderen Techi, der sich dafür interessiert und damals wäre ich weit davon entfernt gewesen, mich als Techi zu bezeichnen. Da habe ich nämlich Geschichte und Kunstgeschichte studiert und habe mich für Computer interessiert, was sehr exotisch war. Und habe mich sehr, sehr früh für Kommunikation und Computer-Art interessiert als Frau (noch viel exotischer!)

Interviewer: Da kommen wir gleich noch darauf zu sprechen, aber vorher nochmal vielleicht zurück zur Situation als Angestellte oder was war genau der Status? Haben Sie da durchgehend gearbeitet, war das so ein Studentenjob?

Kate Rageth: Angestellt? Bezahlt? What? Man hat sich engagiert und man hat mitgearbeitet und man hat ja Geräte bekommen. Also, dass wir heute alle unser Smartphone in der Tasche haben und darüber kommunizieren, daran war ja überhaupt nicht zu denken. Die Computer, die Modems hatten, Computer, die an weltweite Kommunikationsnetze angeschlossen waren, das war sehr teuer, der Betrieb war sehr teuer. Das konnte man sich als Privatmann oder Privatfrau kaum leisten. In unserer aktiven Mailbox-Zeit hatten meine Freunde und ich Telefonrechnungen zwischen drei- und vierhundert Mark. Das war so ungefähr die Hälfte eines normal bemessenen Studentenbudgets. Dass es regelmäßig Geld gab im Rahmen von Van Gogh TV beziehungsweise Pompino, das war ja erst sehr viel später in Niedersachsen, in Hannover der Fall. Vorher, wenn es ein Event gab oder zum Beispiel Hotel Pompino, dann gab es eine Gage, aber man war weder angestellt noch hat man sich als Angestellte begriffen. Ich glaub, da hätten viele der Leute auch gar nicht mitgemacht.

Interviewer: Vielleicht nochmal zurück zu Hotel Pompino, das ist jetzt nicht so im Zentrum von unserem Projekt, aber nichtsdestotrotz war das ja auch ein technisch sehr avanciertes Projekt. Das erste virtuelle Studio (wahrscheinlich überhaupt) in Europa. Was war da Ihre Rolle? Und wie haben Sie das sonst so in Erinnerung?

Kate Rageth: Meine Rolle war einerseits die Chat-Kommunikation und gleichzeitig war ich die mehr oder minder freundliche Jury.

Interviewer: Für was?

Kate Rageth: Für alles. Es wurde ja immer die Jury gefragt und die Jury hat Punkte vergeben, nach einem streng strukturierten und nichtexistierenden System.

Interviewer: Gut, von Hotel Pompino habe ich mir jetzt noch nicht so viele Mitschnitte angeschaut, aber ich erinnere mich daran, dass es da immer so diese Frage oft gab, genau, nach der Jury. Ich verstehe, ja. Das war eine sehr große Gruppe, die da in relativ kurzer Zeit auch dieses ganze Projekt irgendwie so hochgezogen hat. Wie haben Sie da so die Zusammenarbeit in Erinnerung? Das hat sich dann später wahrscheinlich auch bei der Documenta ein Stück weit wiederholt? Wie waren da so Prozesse, Hierarchien, Betriebsklima?

Kate Rageth: Die Hotel-Pompino-Gruppe war wesentlich größer als hinterher die Van-Gogh-TV-Truppe. Also die Piazza-Virtuale-Truppe, sagen wir es so. Die Piazza-Virtuale-Gruppe war auch groß, aber wesentlich mehr miteinander vernetzt, hatte länger miteinander gearbeitet als die Hotel-Pompino-Gruppe, die sich größtenteils vor Ort überhaupt erst kennenlernte. Es waren ja auch sehr viele Schauspieler dabei, das Ganze war wesentlich mehr choreographiert und teilweise liefen die Spiele nach einem Drehbuch ab. Man hatte sie mindestens vorher geprobt und gesagt, was man machen wollte. Es gab richtige Durchlaufproben, alles das, was es hinterher bei Piazza virtuale überhaupt nicht mehr gab. Da gab es technische Proben, aber ansonsten ließ man die Kommunikation laufen.

Interviewer: Aber nochmal, so das Betriebsklima sozusagen, wie stellte sich das dar?

Kate Rageth: Lustige Klassenfahrt?

Interviewer: Okay.

Kate Rageth: Also, ich habe gute Bekanntschaften gemacht in in der Zeit. Ich habe mich bestens amüsiert. Ich habe viel gearbeitet. Es war ein mega spannendes Projekt, an das ich gerne zurückdenke.

Interviewer: Okay, ich habe von Piazza virtuale auch gehört, dass das viele auch irgendwann als sehr anstrengend und sehr stressig empfunden haben. Das war da also offensichtlich nicht so der Fall?

Kate Rageth: Bei Piazza virtuale hatten wir teilweise drei Sendungen am Tag. Bei Hotel Pompino gab es eine Sendung am Abend, die relativ spät war, auf die man sich wirklich dezidiert vorbereiten konnte. Und ich weiß gar nicht mehr, ob wir überhaupt jeden Tag gesendet haben. Das kann sein, muss aber nicht.

Interviewer: Ja, es waren letztlich, glaube ich, vier oder fünf Abende und das war natürlich ein wesentlich überschaubareres Programm. Allerdings auch eins, das wahrscheinlich aus den von Ihnen schon genannten Gründen, also andere Schwierigkeiten hatte, was so das soziale Miteinander betrifft.

Kate Rageth: Teilweise war’s eng. Ich glaube, einige haben sich auch miteinander in die Haare gekriegt beziehungsweise waren mit den künstlerischen Entscheidungen nicht immer einverstanden. Das hat mich aber nicht betroffen. Also, ich war ja auch nicht dort als Schauspieler tätig, sondern habe mich mit padeluun um die Kommunikation gekümmert und wir haben geschaut, dass wir gechattet haben. Wir haben regelmäßig mit unserem geliebten Amiga gekämpft, der alles gemacht hat, außer laufen, insbesondere dann, wenn’s gerade live war, haben nebenbei die Bildtelefone bedient und dann war ich auch noch Jury. Aber in all dem konnte ich schalten und walten, wie ich wollte. Dass das war eine privilegierte Position, wenn Sie so wollen, und es hat Spaß gemacht.

Interviewer: Und während der Zeit waren Sie aber eigentlich noch Studentin und dann auch zwischen ’90 und ’92 haben Sie hauptberuflich studiert und bei Van Gogh TV so mitgemacht. Kann man das umschreiben?

Kate Rageth: Ja, so kann man das beschreiben.

Interviewer: Die hatten ja dann irgendwann dieses Lab da in der Koppel. War das dann auch so, dass man da regelmäßig hingegangen ist, um den Computer zu benutzen oder um sich zu koordinieren, um Meetings zu haben?

Kate Rageth: Ja, absolut, also, ich hatte meinen Mailbox-Arbeitsplatz da. Ich bin dort regelmäßig gewesen und im Vorfeld von Piazza virtuale haben wir ein größeres Sponsoring bekommen von Amstrad, die uns gleich zwei Computer mit entsprechenden Festplatten geschenkt haben, die uns die Telefonleitungen und die Mailbox, glaube ich, auch eine Zeit lang bezahlt haben. Und da war es natürlich überhaupt keine Frage. Da ging man hin.

Interviewer: Gab’s da auch schon Internetzugang oder hat sich das noch auf die wahrscheinlich vorwiegend deutschen Mailboxen beschränkt?

Kate Rageth: Wir hatten einen sogenannten Usenet-Zugang. Das heißt, wir waren über die Uni Hamburg mit dem weltweiten Usenet verbunden und haben darüber auch gemailt, in Foren Kommunikation betrieben, uns Information geholt. Also, das moderne Internet mit Browser, also Netscape und Mozilla, das fing kurz vor Piazza virtuale langsam an. Dann hatten wir die Next, auf der wir teilweise auch Kommunikation gemacht haben und auf der man auch anfangen konnte, zu browsen, aber das Internet selbst, so wie wir es heute kennen, mit Internetbrowsern, hat eigentlich nach Piazza virtuale wirklich angefangen, in Hannover. Wo wir dann auch entsprechende Projekte gemacht haben. Wo wir für Ponton selber einen Server hatten, was damals die Ausnahme war, und worüber wir auch später Aufträge generiert haben, zum Beispiel die erste Website des Landes Niedersachsen ist in Hannover von uns gemacht worden.

Interviewer: Ach so? Dann sind Sie bei diesen ganzen Sachen auch noch dabei gewesen? Dann können wir da noch gleich drauf zu sprechen kommen.

Kate Rageth: Ich bin sehr lange dabeigeblieben, ja.

Interviewer: Gut, aber nochmal zurück zur Vorbereitung von Piazza virtuale. Ich habe übrigens, es gibt ja bei Google so eine Suche, wo man auch nach wie vor historische Gruppen von 1990 irgendwie durchforsten kann und da sind Sie mir auch immer wieder untergekommen, dass sie während der Sendung, also während das lief, halt irgendwie so Ankündigungen an den entsprechenden Ports gemacht haben: „Bitte heute Abend gucken!“ Und das ist irgendwie so der Schwerpunkt. Was gehörte sonst zu den Aufgaben bei der Vorbereitung von Piazza virtuale?

Kate Rageth: Die Kommunikation in dem Bereich sicherzustellen, die Technik aufzubauen und ansonsten da zu helfen, wo Hilfe benötigt wurde. Also, wir haben die ganzen Telefonkabel und das Telefonnetz selber verlegt.

Interviewer: Die in Kassel?

Kate Rageth: Genau, Kabel löten, (ploppen?), ein bisschen das machen, was anstand.

Interviewer: Da kommen wir nämlich dann gleich zu so einer Frage, die mir bis heute nicht so richtig klar wird, auch obwohl es da so und so viele Diagramme und immer wieder neue Diagramme gibt: Aber was war die Infrastruktur vor Ort? Wie sah das aus? Es muss ja eine Mailbox gegeben haben, wo man aus ganz Deutschland über so eine Nummer anrufen konnte, um zu viert miteinander zu chatten. Stand da physisch so ein Computer, auf dem das stattfand?

Kate Rageth: Jetzt muss ich nachdenken. Es gab die Mailbox, die relativ unabhängig vom normalen Sendesignal war. Und dann gab es die sogenannte Chatbox, die der Christian programmiert hat. Die auch schon bei Hotel Pompino lief und die immer nur aktiv war, wenn Sendungen waren.

Interviewer: Das ist das, was man unten sieht?

Kate Rageth: Genau, das sind die Zeilen, die unten durchgelaufen sind, und das war komplett unabhängig von der Mailbox-Software. Die Mailbox-Software, ich weiß nicht mehr, wie das System hieß. Es kann sein, dass es Waffle hieß. Das war damals ein Public-Domain-Programm, so wie man sich heute freie Programme von (Gitterputer?) lädt, war das damals Public Domain. Es war ein Programm, das aus den USA kam. Was man einfach frei benutzen konnte und man musste einen entsprechenden Zugang haben. Und es hat, glaube ich, auch relativ lange gedauert, bis das so vernünftig lief, weil das natürlich nicht so toll dokumentiert war.

Interviewer: Aber wofür ist die Mailbox? Wenn der Chat, den man im Fernsehen sah, nochmal eine eigene Entwicklung, ein eigenes Programm gewesen ist, wofür ist die Mailbox sonst benutzt worden?

Kate Rageth: Unter anderem, um Mails zu schicken. Weil, mit den Mail-Accounts war das nicht so einfach. Wir hatten dann eben wirklich Usenet-Accounts, die weltweit erreichbar waren, was ein Asset war. Sonst musste man sich in lokale Mailboxen immer lokal einwählen. Das heißt, wenn ich irgendwie in padeluuns Mailbox in Bielefeld etwas machen wollte, zum Beispiel, musste ich ein Ferngespräch aufbauen von Hamburg nach Bielefeld und musste dort einen Account haben, meine Zugangsdaten eingeben und dann konnte ich sehen, was in padeluuns Mailbox war. Mit einem Usenet-Account war man eineindeutig erreichbar.

Interviewer: Ich dachte, das Usenet war für mich eigentlich immer so eine Diskussionsplattform. Also, da gehörten auch E-Mail-Adressen dazu. Das wusste ich jetzt noch nicht.

Kate Rageth: Genau. Es gab zigtausende von Boards zu allen Themen, mehr oder minder technischer Natur, die man sich nur vorstellen konnte. Und es gab dann eben auch die persönliche Mailbox-Adresse. Das war ein Plus, das hatte nicht jeder. Die Studenten an der Uni, ja, klar, wenn man entsprechend in einem technischen Fachbereich war oder wenn der Professor auch im Geisteswissenschaftlichen entsprechend aufgestellt war, der Anteil war unter fünf Prozent, dann hatte man vielleicht so eine Internetadresse.

Interviewer: Und dann gab’s da noch das berühmte FidoNet damals. Hat das auch irgendwie eine Rolle gespielt?

Kate Rageth: Wir waren eigentlich nicht im FidoNet. Man konnte Fido-Boxen über das Usenet erreichen. Aber wir waren nicht speziell im FidoNet aktiv.

Interviewer: Okay, ich muss ja persönlich sagen, ich bin froh, dass das mit der Mailadresse damals noch nicht so gut funktioniert hat, denn dadurch ist er unheimlich viel, also eigentlich wahrscheinlich 95 Prozent der Korrespondenz, ist halt noch auf Papier und per Fax, per Brief durchgeführt worden. Deswegen haben wir dieses ganze Material, mit dem wir jetzt zum Teil wirklich so Tag für Tag und Stunde für Stunde rekonstruieren können. Da wird der Container geliefert, da wurden die Stühle geliefert, da kam die Kaffeemaschine. Wenn das alles zu der Zeit schon, wie jetzt, halt mit Mail gemacht worden wäre, wäre da nichts, weil halt alles verloren gegangen wäre. Was für ein Computer war das, mit dem das gemacht worden ist?

Kate Rageth: Irgendein Großrechner. Die Spezifikation habe ich leider nicht mehr im Kopf.

Interviewer: Also ein IBM-Klon?

Kate Rageth: Es war ein IBM-Klon, mit ohne Windows.

Interviewer: Ohne Windows, okay. Denn Benjamin sagt immer, er hat da noch irgendwie auch noch aus Hannover-Zeiten noch einen im Keller stehen und kann das zum Teil gar nicht mehr zuordnen. Vielleicht gucken wir dann doch nochmal, ob wir da was finden und diese Korrespondenz da auch noch ausfindig machen können.

Kate Rageth: Sonst gerne Fotos schicken, vielleicht kann ich ja helfen.

Interviewer: Danke schön. Und mit wem wurde dann per Mail korrespondiert? Denn, also, zum Beispiel die Sponsoren oder auch viele von den Leuten, also ZDF oder so, das ist ja alles noch auf ganz konventionellem Wege gelaufen, die Art von Kommunikation. Die wussten wahrscheinlich noch nicht mal, dass es sowas gibt.

Kate Rageth: Wesentlich ging es um technische Fragen, teilweise haben wir auch Künstlergruppen gesucht, haben teilweise Boards gelesen, haben uns da an der Kommunikation beteiligt. Also, dass sozusagen Mail die Überhand bekam, das war dann tatsächlich erst im Nachgang in Hannover der Fall.

Interviewer: Sie sind wahrscheinlich schon vorher mit nach Kassel dann gekommen, um da beim Aufbau mitzuarbeiten?

Kate Rageth: Genau.

Interviewer: Und dann ging’s los und dieses Programm und diesen Chat, die gab’s ja irgendwie schon. Das musste wahrscheinlich von Ihnen aber technisch betreut werden? Was gehörte da sonst noch zu den Aufgaben, die dann in Kassel anstanden?

Kate Rageth: Also, wenn ich vor Ort in Kassel war, habe ich bei den Sendungen mitgeholfen. Eben, was gerade zu machen war, habe sonst auch den Chat moderiert und ich war nicht lange vor Ort, weil ich ja arbeiten musste. Ich habe dann vieles von Hamburg aus gemacht. Dadurch, dass wir eben zwei Amstrad-Computer hatten, konnte ein Teil der Wartung auch vom Lab in der Koppel erledigt werden.

Interviewer: Das heißt aber dann, die Leute in Kassel waren ja schon richtig bezahlt worden. Das kam für Sie nicht in Frage oder das war nicht vorgesehen?

Kate Rageth: Das hat schlicht und ergreifend nicht ausgereicht. Ich habe keine Unterstützung von meinen Eltern bekommen. Ich musste sozusagen andere Summen aufstellen.

Interviewer: Da kann ich mal so ein bisschen aus dem Nähkästchen plaudern. Ich habe nämlich da auch Gehaltsabrechnungen gefunden. Irgendwann nach zwei Monaten ist denen das Geld ausgegangen und da musste ganz schnell irgendwie neues Geld herangeschafft werden und nach Österreich wieder geschrieben werden und dem ZDF wurde die Pistole auf die Brust gesetzt: „Wenn wir jetzt kein Geld von euch bekommen, dann machen wir Schluss.“ Und da haben die halt auch nochmal solche Budgets gemacht und dem ist zu entnehmen, ich sage jetzt keine Summen, aber die technischen Mitarbeiter haben deutlich weniger verdient als, zum Beispiel, die Öffentlichkeitsarbeiter. Also, es wäre heute undenkbar, ja, dass die Techies, die produzieren, die programmieren können, die die Maschinen bedienen können, da mit solchen Summen abgespeist werden würden und sich das auch gefallen lassen. Aber das hat wahrscheinlich auch mit dieser Dynamik zu tun, dass man halt das Gefühl hatte, man macht da an einem ganz avancierten Projekt mit, hat Zugriff auf diese ganze Technologie, die man sich sonst nicht leisten konnte, wie Sie das auch gerade beschrieben haben oder sehe ich das falsch?

Kate Rageth: Ja und nein. Es war halt so, dass insbesondere, glaube ich, auch im PR-Bereich, die Leute nicht mehr studiert haben, sondern dann eben auch einen anderen Finanzbedarf hatten und aber auch ein anderes CV vorzuweisen hatten. Wenn ich schon sagen kann, okay, ich habe hier schon für das ZDF dieses und jenes Projekt gemacht und wenn ich mich normal am Markt verkaufe, dann kriege ich Summe XY, dann ist natürlich auch die Bereitschaft da, mehr zu bezahlen.

Interviewer: Ja, aber ich meine, die, die da gearbeitet haben, die haben das Telefoninterface programmiert.

Kate Rageth: Das war Hightech und das ist vermutlich heute so nicht mehr möglich. Aber es war damals so und es war für uns okay.

Interviewer: Aber darauf wollte ich eigentlich hinaus: Gab’s da so eine Hierarchie? Erstmal kommen die Geisteswissenschaftler und dann kommen die Programmierer? Kann man das so sagen?

Kate Rageth: Das weiß ich nicht, dann müssten Sie aber auch dann mit Mike, Salvatore und so Benjamin sprechen, was die sich überlegt haben und was da die Motive waren.

Interviewer: Gut, das heißt, Sie waren in Kassel gar nicht so viel vor Ort. Können Sie irgendwie so ungefähr schätzen, wie lange das insgesamt war, eine Woche beim Aufbau oder…?

Kate Rageth: Ich war zwischendurch immer mal wieder da und dann auch immer mal wieder weg. Ich habe keine Terminkalender mehr, aus denen das hervorgehen würde.

Interviewer: Gut, aber Sie waren nicht so in der regelmäßigen Routine drin?

Kate Rageth: Ich war schon alleine dadurch in der regelmäßigen Routine drin, weil mein damaliger Partner das Musikstudio gemacht hat, wenn es um Gossip und so ging, war ich immer bestens orientiert, keine Sorge.

Interviewer: Aber auch da wieder die Frage: Wie haben Sie da so die Arbeitsatmosphäre in Erinnerung oder vielleicht auch im Kontrast zu Hotel Pompino?

Kate Rageth: Ich habe das Gefühl, im Rückblick, die Atmosphäre bei Piazza virtuale war wesentlich professioneller und auch strukturierter als die bei Hotel Pompino. Wir haben einige Sachen aus Hotel Pompino bewusst mit herüber genommen. Es gab Sendeplänen, es gab Sendeabläufe. Es gab jeden Tag vor der entscheidenden Sendung eine große Konferenz: Wer macht was? Wie ist es gelaufen? Das kann man vielleicht im Entferntesten heute mit Scrum-Meetings vergleichen, wenn Ihnen das ein Begriff ist. Wo sich das Programmierteam einmal am Tag trifft und einen kurzen und sehr pointierten Austausch macht, wie es gerade läuft im Projekt. Was die wichtigsten Tasks sind, was die aktuellen Schwierigkeiten sind, gegebenenfalls, wie man die Entwicklung umswitchen muss. Das wurde alles dort besprochen.

Interviewer: Aus diesen Protokollen, es gibt von so ein paar von solchen größeren Treffen gibt’s auch Protokolle, aus denen spricht aber schon auch viel Unzufriedenheit darüber, dass halt Hierarchien nicht klar sind, dass Verabredung nicht eingehalten werden, solche Geschichten. Wie haben Sie das in Erinnerung?

Kate Rageth: Ja, das gab es schon auch, aber es ist wie bei einer Livesendung immer: Man muss übermäßig viel Flexibilität mitbringen und bei einem eigentlich chronisch unterfinanzierten und unterbezahlten Kunstprojekt, was nicht offiziell auf der Documenta läuft, sondern nebenher, muss man das in besonders hohem Maß. Und ich denke, es gab schon Streit, es gab aber auch viele, viele gute Erlebnisse und ich glaube, unsere gesamte Arbeit, so wie wir sie dann auch in Hannover weitergeführt haben, hat sich in Kassel wesentlich professionalisiert.

Interviewer: Wenn sie es an die vier Chefs oder die vier Gründer denken, wie haben Sie das so in Erinnerung? Die Interaktion mit denen untereinander vielleicht auch?

Kate Rageth: Nach außen sind sie immer als Gruppe aufgetreten und haben die Entscheide, die sie sich teilweise auch hart abgerungen haben, immer mit einer Stimme nach außen vertreten. Und das war eigentlich in der Zusammenarbeit sehr, sehr angenehm.

Interviewer: Und dann gab’s während der Piazza virtuale auch Reihen, einmal so für Feste, diese italienische Nacht beispielsweise. Es hat eine Reihe von Musikauftritten gegeben. Es gab die Olympus-Nacht, über die wir vielleicht gleich nochmal gesondert sprechen könnten. Haben Sie da irgendwelche Erinnerungen an das Soziale, außen rum, an Kassel vielleicht auch?

Kate Rageth: Ich habe vor allen Dingen auch Erinnerungen an die sogenannten Usertreffen. In Mailboxen war es ja gang und gäbe, dass man sich auch in real life traf und wir oder auch zwei zusammenkamen. Besonders lustig und besonders gut war’s dann auch als Piazza virtuale etabliert war, dass es viele Zuschauer gab, die dann wirklich auch nach Kassel gekommen sind und uns vor Ort besucht haben. Und da hat es auch richtig institutionalisierte Userpartys gegeben. Und das war schön zu sehen.

Interviewer: Also, es gibt eine, diese sogenannte Olympus-Party. Das waren halt Leute, die immer wieder bei dem Olympus-Satellit-Sender angerufen haben. Da gab’s halt nicht so viele Zuschauer und deswegen konnten die da auch länger miteinander quatschen, haben sich kennengelernt und die waren einmal so auch eingeladenermaßen da und es wurde auch, glaube ich, gegrillt. Und die sieht man dann auch in den Sendungen, aber erinnern Sie darüber hinaus noch was? Also, die Mailboxen, wie Sie ja schon sagen, hatten auch so eine starke, zusammenführende Funktion. Ist da auch aus der Mailbox vielleicht sowas entstanden?

Kate Rageth: Ich glaub, aus den Chats sind eben die User gekommen. Die Mailbox selbst in Piazza virtuale war mehr live Kommunikation und fand tatsächlich wirklich vor Ort, auf dem Fernseher statt.

Interviewer: Trotzdem hat man bei diesen Leuten, die da chatten, manchmal so das Gefühl, die kennen sich irgendwie so ganz gut und dann fragt man sich: Sind das vielleicht auch Leute aus dem Team, die da mitmachen? Haben Sie da eine Erinnerung bei den Leuten, die sich da bei dem Chat eingeloggt haben? Gab’s da so regelmäßige Kunden, gab’s da besondere Charaktere vielleicht oder waren das einfach Mitarbeiter von Van Gogh TV?

Kate Rageth: Nein, das waren keine Mitarbeiter von Van Gogh TV. Das waren wirkliche, echte Fans, die sich verabredet haben. Und auch froh waren, einen von den freien Ports zu ergattern. Also, man hatte ja immer nur pro Leitung einen Teilnehmer. Das war nicht wie heute im Chat-Raum, der ist offen und so viele Leute wie da sind, können sich auch unterhalten, sondern man brauchte pro Teilnehmer eine physische Leitung. Zum Beispiel in der Hamburger Mailbox war es ähnlich, da gab es acht Ports und die waren am Wochenende heiß umlagert und umkämpft. Wo Leute, die sich zufällig dort verirrt hatten oder zur falschen Zeit eingewählt hatten, wurden auch gerne mal mehr oder minder freundlich raus geboxt. Und bei Piazza virtuale war das halt auch so. Ich glaube, es gab vier Ports, wenn ich mich nicht irre. Und bei einer durchschnittlichen Sehbeteiligung haben wir weiß ich nicht wie viel tausend Zuschauer. Auch wenn wenig Leute ein Modem hatten, war das ein Platz, den man ergattern wollte.

Interviewer: Also, das ist auch in dem Chat immer wieder Thema, dass man halt, genau wie bei den Anrufern auch, dass man halt froh ist, endlich durchgekommen zu sein. Es gab so ein paar Arrangements bei manchen Piazzettas, wo es eine zweite Mailbox offenbar gab. Zum Beispiel, um so quasi Interviews zu untertiteln. Also mit Jugoslawien gab’s das, dass da irgendwie was im Fernsehen gesagt wurde, dann von einem, der die Sprache verstanden hat, übersetzt worden ist. Ich wollte mal zurückkommen auf die Typen, die sich da getroffen haben, eingefunden haben: Können Sie sich da irgendwie an so bestimmte Charaktere erinnern, die da regelmäßig zu Gast waren?

Kate Rageth: Da kann ich mich im Moment leider nicht mehr erinnern. Es ist sehr, sehr lange her.

Interviewer: Ja, ich bohre deswegen auch so, weil da gab’s einen Bootsy. Und Bootsy erscheint mit einer Regelmäßigkeit.

Kate Rageth: Moment mal. Bootsy war doch auch in der Hamburger Mailbox-Szene aktiv, wenn ich mich nicht irre. Oder verwechsle ich da was?

Interviewer: Das weiß ich nicht.

Kate Rageth: Schwierig, fragen sie nochmal den Manuel und auch den Christian.

Interviewer: Okay, aber es war jetzt nicht so, dass man wusste: Das ist der gute, alte Bert?

Kate Rageth: Also, der Name Bootsy selbst kommt mir jetzt bekannt vor, aber ich habe weder eine Erinnerung an gute oder schlechte Stories.

Interviewer: Man könnte sich daran erinnern, dass da jetzt irgendwie jemand mit großem Elan regelmäßig versucht hat, in die Sendung zu kommen und ihm das auch gelungen ist. Und der fängt nämlich irgendwann auch an so Meta-Kommentare über die Sendung zu machen. Am Anfang wird da halt nur so gechattet halt und irgendwann fängt er dann auch an, sich so zu beschweren und auf dem Bildschirm einzumischen und zum Teil wird dann auch wieder auf ihn reagiert. Also deswegen dachte ich, dass das vielleicht irgendwie so eine besondere Figur gewesen ist.

Kate Rageth: Also, es war jedenfalls keine Figur aus dem Team.

Interviewer: Gut, Sie haben mir ja gerade schon gesagt, als Frau war man da, gerade wenn man sich halt mit diesen harten technischen Themen beschäftigt hat, so ein bisschen ein Paradiesvogel. Vielleicht können wir da auch noch ein bisschen sprechen. Wie haben Sie das in Erinnerung? Es war ja schon eine sehr „männlich“ geprägte Gruppe. Wie standen Sie da so da? Haben Sie da irgendwas erlebt, was Sie im Nachhinein ungut finden?

Kate Rageth: Es war halt schon eine sehr, sehr männliche Gruppe und man musste sich da durchsetzen können, mit allen Ellenbogen, die zur Verfügung standen und man musste auch dämliche Sprüche aushalten können, aber das ist überall so. Das ist auch nichts, was mich persönlich so sehr gestört hätte. Ich wollte lieber bei diesen Sachen dabei sein und zu dem Zeitpunkt habe ich eigentlich sämtliche Initiativen, wie „Frauen und Technik“, da gab es ja auch eine Gruppe innerhalb von Piazza virtuale… Das hat mir sehr wenig gesagt, da habe ich mich ferngehalten. Also, ich wollte lieber mit den großen Jungs spielen und nicht sozusagen meinen Frauengärtchen haben. Das war nicht mein Ansatz.

Interviewer: Aber auch in der Hacker-Szene dieser Jahre gab’s ja diese „Häcksen“ und es gab zum Beispiel Rena [Tangens]. Sie haben gerade padeluun erwähnt. Das hat aber jetzt nicht irgendwie so zu einer aktiven, weiß ich nicht, feministischen Orientierungen geführt? Sie haben einfach versucht, da Ihre Position sich selbst zu erkämpfen?

Kate Rageth: Ich glaube, ich bin heute wesentlich feministischer als damals und das hat mich aber nicht davon abgehalten mit Rena und mit Barbara gut befreundet zu sein. Also, das eine hat das andere nicht ausgeschlossen. Ich habe auch teilweise beim Chaos Communication Congress mit Rena mal den Frauenraum gemacht und das betreut. Es war einfach nicht meine Triebfeder. Ich glaube, bei Rena geht es wesentlich mehr oder ging es mehr um feministische Ansätze, damals wie heute, und damals war der Feminismus eben ausdrücklich nicht mein Ansatz.

Interviewer: Vielleicht noch so ein Resümee? Sie haben’s ja wahrscheinlich auch aus der Innenperspektive gesehen. Sie waren da in Kassel im Container dabei, aber Sie konnten sich’s auch einfach zu Hause am Fernseher angucken. Haben Sie das gemacht? Und wenn ja, wie sah das dann plötzlich aus?

Kate Rageth: Also, ich habe immer lieber mitgemacht als passiv kommuniziert. Nein, das ist falsch. Ich habe lieber mitgemacht als passiv zugeschaut, so rum ist es richtig. Es hat mich viel zu sehr in den Fingern gejuckt, dann eigentlich lieber vor Ort dabei zu sein.

Interviewer: Gut, das Projekt ist zu Ende. Also ist auch der Schwerpunkt unseres Interviews damit sozusagen abgeschlossen. Aber jetzt interessiert’s mich natürlich, wie das dann auch für Sie mit Van Gogh TV weitergegangen ist, wenn Sie da auch so lange dabei gewesen sind. Und unter diesen vier Gründern hat es ja letztlich zu einem Zerwürfnis auch geführt, wahrscheinlich auch zum Teil, weil das ein forderndes Projekt gewesen ist. Es sind da Konflikte hochgekommen, die vorher schon so latent waren. Mike Hentz steigt aus. Könnten Sie da irgendwie Erinnerungen teilen? Sind Sie dann irgendwann auch mal fest angestellt worden? Denn es hat ja dann auch so eine Entwicklung in Richtung Unternehmensgründung gegeben.

Kate Rageth: Ich bin dann in Hannover später auch fest angestellt gewesen. Ich war verantwortlich für PR und Kommunikation. Habe den ersten Ponton-Server gemacht. Der ist unter meiner Leitung mit entstanden, hab teilweise selber mit programmiert. Habe Redaktion gemacht, unter anderem für Café Deutschland. Und bin dann 1998 mit Salvatore nach Hamburg gegangen, um dort Ponton in Hamburg mitzumachen.

Interviewer: 1998? Ach so, okay. Aber in Hannover, das war ja eigentlich vor allen Dingen Benjamin Heidersberger, wenn ich das richtig sehe, oder?

Kate Rageth: Also, zu Anfang waren’s noch alle vier. Es gab die Förderung vom Niedersächsischen Ministerium, so und jetzt war das nämlich nicht das Kulturministerium, sondern das war, glaube ich, die Wissenschaftsbehörde, oder?

Interviewer: Das weiß ich auch nicht so genau. Aus dieser Periode ist auch so ganz schwer irgendwie aus denen was rauszubekommen. Da scheint sich da dann halt dieser Konflikt da irgendwie so entwickelt zu haben.

Kate Rageth: Also, es gab im Nachgang der Documenta eine große Förderung des Landes Niedersachsen, um ein Institut für Medien und Kultur zu machen. Das war zu Anfang auch bei der Uni mit angegliedert. Wir haben da auch noch Projekte auf der Ars Electronica gemacht. Zum Beispiel das… Wie hieß es denn? Worlds within? Das war, glaube ich, ’95. Wir haben das AVIS-Device entwickelt. Dieses kleine Modem, was Video übertragen konnte, Standbild. Ich sitze hier nämlich gerade vor dem Bücherregal und da steht der berühmte AVIS-Kasten.

Interviewer: Den können Sie uns gleich nochmal zeigen.

Kate Rageth: Das Videomodul in Form eines Schweizer Käses.

Interviewer: Doch, davon habe ich gehört und eine Skizze gesehen, aber ich habe es noch nie wirklich gesehen.

Kate Rageth: Ich habe das noch in der Originalverpackung und ich habe zusammen mit (Cora Franke?) das Handbuch dafür gemacht. Wir haben die Texte geschrieben und haben das ganze Layout gemacht. Das hat in Hamburg angefangen.

Interviewer: Gut, also wie gesagt, diese ganze Periode, da ist man so ein bisschen…

Kate Rageth: Ah, da ist er ja. Jetzt machen wir ein kleines YouTube-Video beim Auspacken.

Interviewer: Genau, ein Unboxing-Video.

Kate Rageth: So sieht er aus. So sieht er hinten aus. Das kommt dabei raus, wenn man versucht, Käsefarbe in China drucken zu lassen. Nicht unbedingt was Sinnvolles. Und ich glaube, dieses kleine Bild hier hinten, das da. Das ist jetzt schrecklich unscharf, aber ich glaube, das ist noch von Hotel Pompino. Wenn ich mich nicht irre. Vorne steht Ponton drauf, das ist alles sehr, sehr klein. Und jetzt müssen wir es so unboxen, dass es nicht kaputt geht. Da drin ist eine weiße Kiste. Da drin ist das berühmte AVIS-Manual. Sollte auch Käsefarben sein, war in den Ausdrucken, die wir in Hannover gemacht haben, auch wirklich schön pastellig und schön käsig. hat dann aber irgendjemand nachjustiert. Das AVIS-Manual, AVIS 1.0. Sehr aufwendig gestaltet mit QuarkXPress von Cora und von mir. Mit großen Diskussionen. Wir hatten nämlich sehr viel Spaß an grafischen Sachen und haben nebenher in einer Werbeagentur gearbeitet, das war das Büro Hamburg, und haben uns dort Typo-Bücher und alles ausgeliehen. Sehr zum Leidwesen von Benjamin, der, Achtung Gossip, fand: Wieso denn eine andere Schrift? Es gibt doch schon Helvetica. Noch mehr Gossip: Wir haben uns gerächt, wir haben’s in Univers gesetzt, die der Helvetica sehr ähnlich ist. Aber sehr, sehr aufwendig gestaltet. Und dann gab es eine Installationsdisc. Und dann gab es nämlich, aha! Es gab eine kleine Videokamera dazu. Und dann habe ich das hier festgeschraubt. Dann gab es ein grünes, serielles Kabel, wirklich grün. Und die berühmte AVIS-Box.

Interviewer: Die dafür war, um Bilder zu übertragen.

Kate Rageth: Die dafür war, um Bilder zu übertragen. Ich glaube, das müsste jetzt ja eigentlich im Manual stehen, in welcher Rate die überträgt, oder? Haben wir damals ein gutes Manual gemacht? Ich weiß nicht, ah hier: Noch ein Sende-Setup von der Service-Area. Hier stehen die F-Keys, der AVIS (Kringen?), senden. System Requierements. Das Mac-Programm. Outen, safe. Also, so schnell finde ich’s jetzt nicht unbedingt, aber wenn das jemand auswendig weiß, dann sicher der Christian.

Interviewer: Aber der Sinn war auf jeden Fall, also ich versuche jetzt mal, das in den Kontext von Piazza virtuale einzuordnen. Da war ja im Grunde auch das Defizit oder der Versuch halt bewegte Bilder zu übertragen und als Hilfsmittel gab’s dann diese Bildtelefone, die zum Teil halt mit diesem Slow-Scan-Verfahren nur Bilder übertragen haben. Das sollte das sozusagen mit einem normalen Computer möglich machen, ist das ist richtig?

Kate Rageth: Genau. Und eben habe ich noch einen Satz gefunden, also, dass der AVIS-Käse konstant sendet mit einer Geschwindigkeit von 19.200 Byte. Jetzt weiß ich aber nicht, wie viel Bilder das pro Sekunde sind.

Interviewer: Aber das war wahrscheinlich kein flüssiger Stream, sondern es war schon noch eher so, dass ein Bild nach dem anderen sich aufgebaut hat? Und wieso dieses Käse-Design, wenn ich fragen darf?

Kate Rageth: Ehrlich gesagt, ich habe keine Ahnung mehr. Es war Benjamins und Christians Pet-Project und vielleicht können die noch mehr dazu sagen, warum nun eigentlich Käse?

Interviewer: Ja, gut, und wie war der kommerzielle Erfolg dieses Pet-Projects?

Kate Rageth: Also, Benjamin hat sogar ein Patent dafür angemeldet übrigens, fällt mir ein, und auch bekommen. Und es war das erste kommerzielle vertriebene Produkt von Ponton. Ich kann mich jetzt nicht mehr erinnern, ob es sich gerechnet hat, aber ich erinnere mich, dass wir zum Beispiel das Marktsegment von Juwelier-Läden oder überhaupt Raumüberwachung nicht unbedingt im Vordergrund hatten, aber dann sehr viele Kunden hatten, die es genau dafür benutzt haben.

Interviewer: Interessant. Ich meine, ich habe ja nun wirklich schon viel mit Benjamin zu tun gehabt und geredet. Das wird irgendwie komischerweise nie erwähnt. Sie haben gerade gesagt, das war das erste Produkt von Ponton, kam dann noch mehr? Denn ich hatte eigentlich verstanden, diese Hannoveraner Ponton war eigentlich so eine frühe Multimedia-Webagentur dann letztlich. Das solche Sachen entstanden sind, das höre ich wirklich zum ersten Mal.

Kate Rageth: Also, das war eigentlich die Idee, dass es ein Forschungsinstitut ist und sich darum auch wirklich breit und generalistisch mit vielen Sachen rund um Kunst und Kommunikation beschäftigt. Es gab die Idee, interaktive Fernsehsendungen zu machen, die auch teilweise als Studien entstanden sind, wie zum Beispiel Café Deutschland. Das war eins der ersten Projekte in diese Richtung. Es ist sehr früh entstanden. Es gab Beteiligungen weiterhin bei der Ars Electronica. Zum Beispiel mit Worlds within und auch mit Service Area. Wir waren in verschiedenen Kunstprojekten weiterhin rund um den Bereich interaktives Fernsehen aktiv. Und dass das Ganze zum Schluss so eine Art Multimedia-Webagentur geworden ist, das ist ein bisschen dem geschuldet, dass es A die Möglichkeit gab, das zu machen, und dass es B auch die Notwendigkeit gab, Geld zu verdienen.

Interviewer: Also, irgendwann war diese Förderung vom Staat wahrscheinlich ausgelaufen, von Niedersachsen, und dann hat sich daraus ein kommerzielles Unternehmen weiterentwickelt?

Kate Rageth: Weiterentwickelt. Wir haben zu Anfang auch zum Beispiel Forschungsprojekte mit der damaligen DeTeBerkom gemacht. Dieses Schulprojekt Comenius. Ich weiß nicht, ob Ihnen das ein Begriff ist?

Interviewer: Davon hat Benjamin mal erzählt, ja.

Kate Rageth: In dem habe ich sehr aktiv mitgearbeitet.

Interviewer: Und dann gibt es bei diesen Bändern, die wir dahaben, so eine… Also, es tut mir leid, dass hier so solche Sachen frage, die eigentlich jetzt gar nicht im Mittelpunkt des Gespräches stehen sollten, aber irgendwie ist diese Phase immer von so einem Mantel des Schweigens umhüllt. Es gibt da auch so ein paar Pilotsendungen für eine Sendung, die im Grunde das Piazza-Virtuale-Projekts so ein bisschen fortführen. Die heißt 8.000 Byte oder so ähnlich? Richtig professionell in einem Studio aufgenommen mit Moderator Rocko Schamoni. Haben Sie daran…

Kate Rageth: Der Wurst-Man.

Interviewer: Wurst-Man sagt mir nichts, aber dass man anrufen konnte und mit quatschen konnte.

Kate Rageth: Ja, ich weiß nicht, ob der Arbeitstitel wirklich 8.000 Byte war. Das war eine interaktive Hitparade mit Rocko. Ich glaube, das war für VIVA. Oder man wollte versuchen, es Viva zu verkaufen. Beides kann wahr sein.

Interviewer: Ja, also ich habe da so Faxe mit MTV gehabt, da gab es schon auch mal Kontakt, aber es wirkt so, dass das für diese Arten von Musiksender gedacht gewesen ist.

Kate Rageth: Es kann auch MTV gewesen sein. Es können auch beide gewesen sein.

Interviewer: Kam das aus diesem Hannoveraner Ponton heraus?

Kate Rageth: Das kam noch aus dem Hamburger Ponton heraus. Das war noch vor Hannover und es gab eben so Zwischen-Einspieler. Ich weiß nicht ob Sie die erinnern, die sehen so ein bisschen aus wie so ein Wurstgesicht. Es gibt doch so Kinderwurst, so Fleischwurst mit Augen und einem Mund und die Vorlage war tatsächlich eine Wurstscheibe.

Interviewer: Die Zimbo-Wurst oder wie die heißt.

Kate Rageth: Live und in Farbe gescannt von Jendo Neversil, der auch das ganze Artwork für Piazza virtuale gemacht hat.

Interviewer: Das ist gut, denn da bin ich auch bisher noch nicht so richtig weitergekommen, wer denn eigentlich diesen visuellen Stil dominiert hat. Und dieser Jendo, nach dem frage ich immer, aber irgendwie… Ich weiß nicht, woran das liegt, aber Sie würden sagen, das war auch eine Frage, die ich Ihnen noch stellen wollte: Wenn man jetzt so nach jemandem sucht, der für dieses Interface-Design, also das, was man auf dem Bildschirm gesehen hat, die Animationen auch, zuständig war. Dann wäre das Jendo, ja?

Kate Rageth: Das waren Ole und Jendo. Also Ole Lütjens, mit dem Sie ja vermutlich auch schon…

Interviewer: Reagiert nicht. Das wundert mich auch, weil er ja auch da sehr tief drinsteckt, ganz offensichtlich. Und auch sehr engagiert war. Aber der ist irgendwie, ich weiß nicht, ob Sie das wissen, Vice President bei Disney Streaming mittlerweile und vielleicht deswegen unabkömmlich, aber wir haben’s immer wieder auf verschiedenen Wegen versucht, per E-Mail und so, um auch um so ein Gespräch zu bitten. Da kam leider nie so richtig was zustande, ja. Und dieser Jendo, da habe ich, glaube ich, auch keinen Kontakt. Sie wissen nicht zufällig, wo man nach dem fahnden könnte?

Kate Rageth: Der Jendo ist in Bern. Ich bin ja seit zehn Jahren hier in der Schweiz, aber im Wesentlichen in und um Zürich. Wir haben uns einmal getroffen, aber dabei ist es dann auch geblieben. Es gab ja einige Schweizer Team-Kolleginnen und -Kollegen. Das war eben der Jendo, das war der Kaspar Lüthi, der auch in Bern ist. Zudem ich vielleicht sogar Kontakt herstellen könnte. Von Jendo habe ich leider auch weder Adresse noch Mail, noch LinkedIn oder Ähnliches. Vom Kaspar hätte ich das aber. Eben das ganze visuelle Erscheinungsbild, das waren Ole vor allen Dingen, was das Screen-Design anging, und alles, was so die ganzen Animationen und alles, das hat alles Jendo mit seinem Amiga gemacht.

Interviewer: Ich versuche erstmal, selbst nochmal zu recherchieren, ob da irgendwie ein Kontakt hergestellt werden kann, ob ich da vielleicht doch irgendwas finde. Denn ich hatte, weil der auch relativ oft im Bild zu sehen ist, der war oft an diesem Access Point oder auch bei dieser Roboterkamera. Vielleicht wäre das doch tatsächlich jemand, mit dem wir mal sprechen sollten. Was ich halt auch an dem ganzen Projekt interessant finde, das es ja eigentlich vier Künstler waren, die es gegründet haben, aber eigentlich dieses visuelle Erscheinungsbild vollkommen irgendwann dann dem Stab sozusagen überlassen haben. Wie gesagt, Mike Hentz gibt so den visuellen Stil vor, aber die hatten ja dann auch relativ große Freiheit. Ja, wir sind eigentlich auch weitgehend fertig. Vielleicht jetzt auch, wo wir schon so sprechen, wie lange sind Sie dann da noch dabeigeblieben und das ist auch eigentlich eine Frage, die ich bei allen stelle: Wie hat diese ganze Zeit Sie so langfristig in Ihrem Werdegang, in Ihrer Entwicklung beeinflusst? Hat das dauerhaft eine Rolle gespielt für Sie?

Kate Rageth: Also, das hat schon dauerhaft eine Rolle gespielt und alles, was ich dort sowohl mit einbringen konnte, was ich ausprobieren konnte, was ich lernen konnte, hat mein professionelles Berufsleben auch stark geprägt. Von einigen Sachen, die man experimentell dort angefangen hat, profitiere ich heute noch. Also, technische Sachen wie Übertragung per FTP, HTML-Code lesen, das war ja damals alles viel einfacher, eine viel verschworenere Gemeinschaft, aber diese Techniken sind immer noch da und teilweise benutze ich sie täglich.

Interviewer: Darf ich fragen, was Sie da jetzt in der Schweiz beruflich machen?

Kate Rageth: Ich bin im UX-Bereich tätig. Ich habe einen Master in Computer Interaction Design gemacht. Also, mein Problem ist eigentlich, dass ich sozusagen immer hinterher alles das gelernt habe, was ich vorher vielleicht schon konnte oder schon angefangen habe. Das ist ein bisschen das Problem, wenn man Avantgarde ist und sich dann am Arbeitsmarkt verkaufen möchte und einem die entsprechenden Zettelchen fehlen. Aber als man sich das angeeignet hat, gab’s noch keine Zettelchen. Das ist dann schwierig. Und darum habe ich 2012 wirklich einen Master of Advanced Studies gemacht. Also, wirklich drei Jahre brav die Schulbank gedrückt und alles gelernt über Requirement Engineering, Interaction Design und einen Master in Computer Interaction Design gemacht, also am Markt heute ist das bekannt als UX und UI Design. Ich bin im Wesentlichen im Product Management tätig.

Interviewer: Also, das hat jetzt nichts mit Internet zu tun, sondern da geht’s wirklich um die direkte Interaktion mit dem UX-Computer?

Kate Rageth: Nein, da geht’s um die direkte Interaktion mit dem Nutzer. Also UX ist User Experience Design und die Wissenschaft beschäftigt sich damit, wie Menschen Programme benutzen und wie sie das effektiver tun können. Das heißt, es geht da viel um Anforderungsaufnahme, um Testen, um Prototypen bauen, um die Vermittlung generell zwischen denjenigen, die das Programm benutzen und denjenigen, die das Programm bauen. Ich bin also im Wesentlichen immer noch in der Kommunikation tätig und muss verschiedene Gruppen einander annähern beziehungsweise dort als Vermittler tätig sein.

Interviewer: Kann man sagen, dass eigentlich diese Van-Gogh-TV-Zeit für Ihre Entwicklung auf jeden Fall eine wichtige Rolle gespielt hat?

Kate Rageth: Genau.