Interview mit Nicolas Baginsky, 21.02.2019

Nicolas Baginsky baute für Piazza virtuale die ferngesteuerte Roboterkamera und lebt heute als freier Künstler in Hamburg.

Interviewer: Also dann fangen wir gleich an. 1992 hat ja da bei der Documenta dieses Piazza Virtuale Projekt stattgefunden. Vielleicht zur Einführung einmal kurz so bisschen ein Hintergrund. Wo warst du da in deinem Leben gerade? Was war das für eine Lebensperiode für dich?

Nicolas Baginsky: Das war eine ganz aufregende Zeit. Da hatte ich gerade mit einer Kollegin, einer Choreographin, eine Performance-Gruppe gegründet beziehungsweise da gerade aufgelöst, glaube ich sogar. Dann wieder, nachdem wir einige Jahre durch Europa getingelt waren mit der Mischung von Robotern und Tänzern auf der Bühne.

Interviewer: Wie hieß das?

Nicolas Baginsky: Die Gruppe hieß (Ko-ax?). Und war eine größere Gruppe. Ein Komponist war noch dabei und ein Mode-Designerin, die Kostüme gemacht hat und so. Ein sehr aufregendes Projekt. Und mein Fokus war die Maschine als Darsteller auf der Bühne.

Interviewer: Also das heißt, du warst in der Zeit schon ein Künstler mit einem Oeuvre und einem Werk sozusagen? Wie sind wir denn da hingekommen? Also wir haben ja jetzt schon vor der Aufzeichnung drüber gesprochen, aber damit wir es auch auf Band haben. Du hast keine traditionelle künstlerische Ausbildung gehabt, sondern wie hat sich das entwickelt?

Nicolas Baginsky: Ich habe irgendwann angefangen zu arbeiten und hatte das Glück einen Aushilfsjob am Theater zu bekommen in der Werkstatt und durch glücklichen Zufall da sehr schnell, sehr viel Verantwortung übernehmen zu können. Und Bühnenbilder zu entwerfen und habe so einen Schnelllehrgang am Theater gemacht und bin von dort ins Design und in die Bildhauerei und habe alle möglichen Genres und Handwerksberufe und gestalterische Berufe irgendwie ausprobiert. Und bin von der Kunst, von der Bildhauerei eigentlich, zur mechanischen Skulptur gekommen. Und habe die dann auf die Bühne gestellt.

Interviewer: Was waren da so Einflüsse? Was hat dich da in diese Richtung…

Nicolas Baginsky: Natürlich die großen Alten. Also (Hel Grieg?) kann man natürlich nicht übersehen. Also Rebecca Horn hat mich als Kind schon sehr beeindruckt, kann ich mich erinnern. Und dann natürlich die italienischen Futuristen mit ihrem Sound, mit ihren Klangmaschinen. Fand ich sehr spaßig. Aber so das frühste Erlebnis mit kinetischer Kunst war eigentlich Rebecca Horn mit ihrer fantastischen Arbeit. Die hat so einen Pfau gemacht. Ich glaube, auf der Documenta war das. Muss in den 70er Jahren gewesen sein, der im Verlauf eines Tages so langsam sein Rad aufstellte und abends dann wieder hinlegte. Sehr pathetisch und war auch heute vielleicht ein bisschen blümerant. Aber mich hat die Arbeit damals sehr beeindruckt und ich glaube, Weichen bei mir gestellt. Und dann kamen später Leute wie Jim Whiting, Survival Research Laboratory habe ich früh in den Staaten mal gesehen. Das sind so meine Eckpfosten eigentlich für die kinetische Kunst gewesen.

Interviewer: Und was war genau die Faszination daran? Also war das ein Statement über die Industrialisierung? Das Ende der Industrialisierung? War das einfach die Faszination, dass man da etwas ins Laufen bekommt, dass die Skulptur etwas Biologisches emuliert?

Nicolas Baginsky: Nein, es fing eigentlich an mit Chaos-Forschung. Ich habe irgendwann angefangen mich für Chaos-Forschung zu interessieren. So Mitte der Achtziger muss das gewesen sein. Und bin dann über das ebene Doppelpendel gestolpert. Das ebene Doppelpendel ist quasi, wenn man sich vorstellt ein Ärmchen, das an einem Punkt aufgehängt ist und pendeln kann und da dran ist ein weiteres Pendel, das pendeln kann. Und wenn dieses System in Schwingung gerät, erzeugt es eine chaotische Bahn, die sehr ästhetisch ist, sein kann. Und damit habe ich experimentiert und das mit Musik kombiniert. Also musikalische Impulse zur Ansteuerung dieses Pendels benutzt und da sind fantastische… Es war ein Ballett für sich so. Ein Arm schon war ein ganzes Ballett. So fing das an und damit habe ich eine Maschine gebaut und ein befreundeter Komponist hat Musiken dafür geschrieben. Und wir haben Performances damit gemacht und das war der Start eigentlich.

Interviewer: Und das war alles hier in Hamburg? Was war das für eine Kunstszene, von der man da umgeben war? Gab es eine Offenheit dafür, oder?

Nicolas Baginsky: Das war natürlich toll. Ich meine, so da hallte noch Punk ein bisschen nach, die Industrial-Szene war gerade am Flourishen und die Achse Hamburg-Berlin war sehr vital. Und es gab Clubs, in denen man auftreten konnte. Hier in Hamburg gab es irgendwie einen tollen Club, da hatte ich auch eine persönliche Beziehung dazu, weil ich den eingerichtet hatte. Und da konnte man solche Experimente auf die Bühne stellen.

Interviewer: Wie hieß der?

Nicolas Baginsky: Im Eimer.

Interviewer: Im Hamburg gab es auch einen Eimer?

Nicolas Baginsky: Ja.

Interviewer: In Berlin, weißt du ja, gab es dann den IM-Eimer.

Nicolas Baginsky: Ja, genau. Das war so eine merkwürdige Eck-Kneipe und die hatte ein Hinterzimmer. Und ein paar gute Leute haben aus dem Hinterzimmer einen wirklich tollen Club gemacht. (…)

Interviewer: Also das heißt, das hat weniger im offiziellen Kunstverein, Museen, Kunstvereine (eher wenig?) stattgefunden?

Nicolas Baginsky: Erstmal gar nicht. Nein, nein, das war Untergrund.

Interviewer: Musikszene und Untergrundszene.

Nicolas Baginsky: Ja.

Interviewer: War das so eine bewusste Entscheidung ‚Ich mach da nicht mit beim normalen Kunstbetrieb, oder?

Nicolas Baginsky: Die Frage hat sich mir nicht gestellt, da ich nie mit der Kunsthochschule in der Zeit was zu tun hatte. Eigentlich nur neidisch war auf die tollen Werkstätten, die befreundete Kunst-Studenten immer nutzen konnten. Aber für mich war die Entscheidung eigentlich ziemlich klar, das auf eigene Faust zu probieren, ohne Institutionen. Und da ich aus so einer, ja, aus der Musik-Ecke vom Freundeskreis her inspiriert war, ging es auch immer gerne in eine Richtung Musik und Performance und hat sich in der Richtung gemischt. Und dann aber eigentlich, um den Faden weiterzuspinnen, das Spannende war diese Figur auf der Bühne, die etwas macht, was nicht vordefiniert ist. Die ein Experiment auf der Bühne durchführt mit Musik, mit Licht, mit dieser Performance. Und daraus entstand der Gedanke eben mit KI zu arbeiten und wirklich selbständige Akteure zu entwickeln, die nicht nur auf der Bühne in allen möglichen Zusammenhängen sich vom Erschaffer löst. Die einen eigenen Charakter oder eine eigene Entscheidungsfreiheit, einen Freiheitsgrad bekommt. Die Skulptur, die eigenverantwortlich mit dem Besucher kommuniziert und sich loslöst vom Bildhauer.

Interviewer: Was dann aber auch bedeutet hat, dass da schon Computer ins Spiel gekommen sind? Dass man programmieren konnte? Das man sich auch wieder selbst beibringen musste? Sehe ich das richtig?

Nicolas Baginsky: Damals gab es ja keine Informationen. Man konnte ja nicht einmal schnell ins Internet gehen und gucken. Es blieb nur der Gang in die Zentralbibliothek. Und durch Jahrzehnte von Zeitschriften blättern und auf Verdacht irgendwelche Bücher bestellen. Und das war die einzige Informationsquelle. Das war sehr schwierig. Und auch die ganzen Tools und fertigen Elektronik-Teile gab es ja nicht. Man musste alles selbst erfinden. Wenn man nicht wahnsinnig reich war, was ich nicht war. Und deswegen habe ich angefangen meine Elektronik zu bauen und mir das beizubringen und die Feinmechanik zu lernen und all diese Dinge.

Interviewer: Alles ohne Abendkurse, ohne Volkshochschulkurse?

Nicolas Baginsky: Ich habe Gott sei Dank ab und zu immer wieder nette Menschen getroffen, die etwas auf dem Kasten hatten und bereit waren mir etwas beizubringen und etwas zu erklären.

Interviewer: In den 80er Jahren hat auch der Chaos Computer Club in Hamburg eine gewisse Rolle gespielt. Hattest du mit denen auch irgendetwas zu tun oder war das ein vollkommen anderes Umfeld?

Nicolas Baginsky: Nicht direkt. Die waren schon immer irgendwie so am Horizont und der Komponist Marq Lativ Guther, mit dem ich da immer gearbeitet habe, war da so ein bisschen assoziiert und neugierig. Aber ich persönlich habe da keine Kontakte gehabt.

Interviewer: Aber siehst du da, so wie soll ich sagen, geistige Berührungspunkte? Also ich würde jetzt mal ganz frech sagen, was du gemacht hast, hat auch Elemente vom Hacking gehabt. In dem Sinne, dass man Technologie sich zu Nutze…

Nicolas Baginsky: Aneignet. Ja. Auf jeden Fall. Und das war ein leuchtendes Beispiel, dass da Leute sind, die respektlos mit der Technologie und den Instituten umgehen. Das habe ich wohl wahrgenommen und hat mich bestärkt in dem was ich tue. Ja.

Interviewer: Aber das ist ja so ein bisschen nochmal in mich reingefragt, obwohl das eigentlich schon gesagt worden ist, aber damit man es auch so schneidbar hat, könntest du vielleicht nochmal erklären, was Hacking für dich bedeutet und für deine Arbeit?

Nicolas Baginsky: Ein viel gebrauchtes, vielmissbrauchtes Wort. Ja, schwierig.

Interviewer: Wir brauchen also ganze Sätze: Hacking…

Nicolas Baginsky: Hacking, als ich das Wort das erste Mal gehört habe und verstanden habe, was es bedeutet, hatte es die Bedeutung etwas zu knacken. Eine Sicherheitsvorrichtung auszuhebeln, um an Informationen zu kommen, die eigentlich nicht für einen bestimmt waren und hatte viel mit reverse, in meinem Fall, mit reverse Engineering zu tun. Das man also versucht bestehende Produkte, Lösungen auseinanderzunehmen und herauszufinden wie es funktioniert hat. Oder der Missbrauch auch von Technologie. Ich hatte eine ganz frühe … Es gibt so eine andere Schiene von Maschinen, die analog, aber auch mit einem hohen Freiheitsgrad, Musik erzeugen. Und da habe ich am Anfang einfach irgendwelche Microchips missbraucht und misshandelt bis sie irgendetwas interessantes gemacht haben. Und das ist, was man heute wohl als Hardware-Hacking bezeichnet, was aber eher ein Missbrauch ist und man knackt ja keinen Code. Sondern man haut nur so lange auf irgendetwas rum bis es einen neuen Ton hergibt. Nein, aber Hacken war ursprünglich der Versuch einen Code zu knacken, um an etwas Verstecktes ranzukommen.

Interviewer: Und das hat für dich, für deine Arbeit, auch direkte Parallelen?

Nicolas Baginsky: Ja, war nicht… Also ich war ein paar Mal in der Verlegenheit was hacken zu müssen, weil es anders einfach nicht ging. Aber eigentlich war es mehr ein Studium der Literatur. Ein Verstehen und Umsetzen in Code und damals gab es ja keinen (I-breeze?) die man hätte benutzen können, zum Beispiel für KI-Programme, sondern man hatte eine Formel in einem Buch und musste versuchen daraus eine funktionierende Software zu stricken.

Interviewer: Da haben wir jetzt mal so die Vorgeschichte oder das Umfeld so ein bisschen beleuchtet. Wie kam denn der Kontakt mit Van Gogh TV zu Stande?

Nicolas Baginsky: Van Gogh TV kannte ich natürlich vom Hören-Sagen, also nicht als Van Gogh TV, sondern als Minus Delta T, die eher in den 80er Jahren, frühen 80er Jahren, sehr eindrucksvolle, humorvolle Kunstaktionen gemacht haben, mit dem Stein, mit dem Felsen, den sie nach Tibet gebracht haben und andere lustige Dinge. Und Salvatore war ein Freund von mir. Und wir hatten eine Band zusammen, fällt mir ein. Wir haben mal zusammen… also so eine Band im größeren Sinne mit Video und Performance und Musik-Elementen und Film-Elementen drin und das war so eine interdisziplinäre Gruppe von fünf, sechs Leuten, wo auch Salvatore mit dabei war. Da haben wir uns kennengelernt.

Interviewer: Was hat diese Band konkret…

Nicolas Baginsky: Diskutiert hauptsächlich. Die hat nie wirklich… Wir haben versucht was auf die Beine zu stellen, aber es kam nie dazu. Aber es war für uns alle sehr wertvoll, weil wir so ein neues Gedankengut uns erarbeitet haben. Was, glaube ich, für alle Beteiligten später noch relevant geblieben ist.

Interviewer: Hatte diese Band auch einen Namen?

Nicolas Baginsky: Nicht das ich wüsste. Nein.

Interviewer: Und wer da sonst noch dran beteiligt?

Nicolas Baginsky: Rocko Schamoni, Salvatore, eine Filme-Macherin, Silke Panse und Marq Lativ
Guther
, der Musiker.

Interviewer: Aber es ist nie zur Bühnenreife entwickelt worden?

Nicolas Baginsky: Nein.

Interviewer: Aber auch da wieder, weil wir vorhin darüber gesprochen haben, wo haben denn solche Bands geprobt? Also wie muss ich mir da so das Umfeld vorstellen? Oder kam es auch zu Proben? Oder wo hat sowas so stattgefunden?

Nicolas Baginsky: Da hatte ich schon meine doch recht großzügigen Räume hier. Ich erinnere mich, dass wir ein paar Mal Musik gemacht haben. Aber das war ja die Zeit, wo man plötzlich Musik auch im Wohnzimmer machen konnte, weil es einen Sampler gab.  und ein kleines Geschirr sozusagen für den Musiker. Und wir hatten keinen Probenraum oder so, sondern man traf sich mal hier und mal da. Und das war, wie gesagt, wir haben sehr, sehr viel diskutiert über Konzepte und Gedankengebäude.

Interviewer: Also gut, daher kanntest du den Salvatore. Aber wie hat sich dieser direkte Kontakt, der da zu so einer Zusammenarbeit mit dieser Roboter-Kamera geführt hat?

Nicolas Baginsky: Na ja. Und dann fing Salvatore an von dem Projekt Piazza Virtuale zu erzählen und den Gedanken einer Roboter-Kamera ins Gespräch zu werfen und ich fand die Idee sehr spannend. Tele-Präsenz war damals völlig unerforscht und hat mich neugierig gemacht. Und die Idee, dieses doch sehr vertraute Medium Fernsehen sich anzueignen und um neue Komponenten zu erweitern, fand ich sehr lohnenswert. Und war sofort gerne bereit da mitzumachen. Auch wenn klar, dass es so ein bisschen ein Himmelsfahrtunternehmen ist.

Interviewer: Ach so, wirkte das am Anfang so? Denn ich meine, sie haben es ja gestemmt bekommen, es hat ja stattgefunden. Du hattest das Gefühl, das hätte auch in die Hose gehen können?

Nicolas Baginsky: Also hätten nicht so viele Menschen sich derart da hineingeworfen und selbst ausbeutend zur Verfügung gestellt, dann hätte es nicht geklappt und das zu stemmen, war schon sehr schwierig. Und das hätte leicht schiefgehen können und wäre nur ein Sponsor, ein Sende-Beteiligter ausgestiegen oder noch einer ausgestiegen… Ich habe die Details nicht mehr in Erinnerung. Aber das war immer sehr kompliziert, wann man Sendezeit wo bekommt und wäre das Ding nicht On-Air gegangen, dann wäre es natürlich verpufft. Und das war sehr wackelig. Teilweise hatten wir ja nur einen Satelliten, einen so einen experimentellen Wettersatelliten über den gebroadcastet wurde. Und es gab in Europa nur drei Leute, die das Programm gesehen haben. Das war aber sehr poetisch.

Interviewer: Da müssen wir gleich noch darauf zurückkommen. Aber nochmal zurück zur Genese von dieser Kamera. Also das klang jetzt fast so ein bisschen, naja, nicht als ob dir ein Auftrag erteilt worden ist, aber die Idee, wurde dir vorgetragen sozusagen.

Nicolas Baginsky: Jaja. Eine sehr naheliegende Idee natürlich für dieses Konzept, die aber, wenn ich mich richtig entsinne, von Salvatore kam. Der Vollständigkeit halber muss man auch noch sagen, dass ich diese Kamera nicht alleine gebaut habe, sondern mit einem Kollegen zusammen (Hinack Schmitt?), der eigentlich die meiste mechanische Arbeit an dem Gerät gemacht hat. Ich habe konstruiert, ich habe programmiert. Ich habe die Elektronik entwickelt und die mechanische Konstruktion wurde von (Hinack?) gebaut größtenteils. Und der war auch mit in Kassel, zumindest zum Aufbau.

Interviewer: Der steht auch in Abspännen drin als technischer Mitarbeiter.

Nicolas Baginsky: So soll es sein. Ja. Ganz wichtiger Mann.

Interviewer: Gibt es den noch?

Nicolas Baginsky: Ja, der designt, glaube ich, seit Jahren schon Icons für, ich will jetzt keine Namen nennen, eine große Internet- oder Software-Firma.

Interviewer: Interessant. Hier in Hamburg?

Nicolas Baginsky: Ja.

Interviewer: Gut, also es gab diese Idee so eine Kamera da zu inszenieren. Hat sich da während der Arbeit, hat sich dieses Konzept dann noch geändert oder war das von Anfang so gedacht, dass man eben unter der Decke eine mit Telefon-Signalen steuerbare Kamera hat?

Nicolas Baginsky: Diese Eckpunkte haben sich ziemlich schnell rauskristallisiert, weil die Decke war der einzige Raum, der noch frei war. Alles andere war schon verplant. Touchtone war ja eh gegeben als Technologie des Projektes. Und als Interaktions-Tool.

Interviewer: Vielleicht da einmal einhaken so für die jüngeren Zuhörern zu Haus vor den Geräten. Was war Touchtone überhaupt?

Nicolas Baginsky: Als ich ein Kind war, gab es nur Telefon mit Wählscheibe. Man drehte die Scheibe und lies los und die hatte verschiedene Löcher mit den entsprechenden Zahlen. Und je nachdem wie weit die Scheibe sich wieder zurückdrehte, machte sie klack-klack-klack-klack, gab sie kleine Impulse ab und das wurde als Wählsignal benutzt. Und dann in den 80er, Anfang der 90er, wurde das langsam umgestellt auf eine Technik, wo jede gedrückte Taste am Telefon einen spezifischen Ton erzeugt. Und darüber die Taste, die gedrückte Taste, identifiziert wird. Das war aber so eine schleichende Umstellung und hat während Piazza Virtuale zu vielen Problemen geführt, weil die Menschen nicht wussten, dass ihr Telefon in zwei Modi laufen kann. Und das mussten wir dann immer wieder erklären, aber da fing es an, dass die Telefone… In Amerika gab es das schon von Anfang an, glaube ich. Aber bei uns waren die Telefone damals noch zum Großteil auf Impulswahlverfahren eingestellt. Aber eben, wie gesagt, sobald sie eine Tastatur hatten, konnte man sie meistens auch umstellen auf Tonwahlverfahren.

Interviewer: Und was war der Vorteil von diesem Tonwahlverfahren?

Nicolas Baginsky: Ich glaube, das war robuster als das Impulswahlverfahren. Ich erinnere mich, in meiner Kindheit, konnte telefonieren indem man… Mach mal einen kleinen Break. Da ist ein Störgeräusch gerade.

Interviewer: Ja. Gut, wir waren stehen geblieben bei der Konstruktion, genau, beim Impulswahlverfahren.

Nicolas Baginsky: Ja, genau. Es gab … ich erinnere mich, in meiner Kindheit … mit dem Impulswahlverfahren gab es die Möglichkeit durch geschicktes Klopfen auf die Telefongabel zu wählen. Und man konnte ein Münztelefon wählen ohne Geld einzuwerfen, indem man die Impulse der Ziffern simuliert durch Schlagen auf den Hörer. Und vielleicht war das der Grund, weshalb das Impulswahlverfahren von der Post dann irgendwann mal ersetzt wurde durch das Tonwahlverfahren.

Interviewer: Hast du das selbst auch gemacht?

Nicolas Baginsky: Ich kann mich erinnern, das probiert zu haben. Ob ich jemals damit erfolgreich war … ich glaube, ich habe mal irgendjemanden … also ich habe es nicht geschafft. Es gab Menschen, die konnten wirklich eine Nummer wählen. Und wir haben einfach nur probiert, mit meinen Kumpeln, glaube ich … einfach. Und man bekam dann irgendwann mal jemanden an die Leitung. Also, es hat dann gewählt.

Interviewer: Beim Captain … (Unv) waren das ja Blinde, die da irgendwie die großen Entdeckungen gemacht haben, weil die ja sonst nichts zu tun hatten. Und irgendwie ein gutes Gehör hatten und deswegen da irgendwie die ganzen Geheimnisse von AT&T geknackt haben.

Nicolas Baginsky: Ja, es gab ja auch Leute, die konnten das pfeifen. Die brauchten ja nicht mal irgendein Instrument, sondern konnten das ja wirklich pfeifen oder singen oder was auch.

Interviewer: Plastik-Flöte. Ok. Das heißt aber, du warst im Grunde mit dieser Technik jetzt auch nicht in dem Sinne vertraut wie so ein Telekom-Techniker. Was ist eigentlich der Hintergrund? Du hast es so vorgefunden und versucht … ich denke mal, das ist auch Teil der technischen Herausforderung gewesen, diese relativ neue Technik halt zu steuern, von einem Objekt irgendwie zu nutzen. Kannst du darüber ein bisschen was erzählen, wie das technisch sich dargestellt hat?

Nicolas Baginsky: Das war insofern ganz gut, als dass die komplette … das komplette Telefon Interface für mich transparent war. Das heißt, das hat … das war, Benjamin und Christian haben das entwickelt. Und es gab einen seriellen Bus durch das ganze Studio, an dem wir alle hingen. Und darüber wurden Steuersignale von dem Telefon Interface übertragen. Das heißt, ich bekam einfach eine serielle Nachricht auf der Serienleitung, wenn eine Taste gedrückt wurde. Und musste mich nicht weiter um das Telefon Interface kümmern. Aber natürlich adäquat auf die Befehle des Nutzers reagieren, klar.

Interviewer: Also, das musst du für technische Laien nochmal ein bisschen genauer erklären. Also, es gibt dieses Fiepen und das wurde durch dieses Telefon Interface umgesetzt in was genau? Kannst du vielleicht das nochmal erklären?

Nicolas Baginsky: Also es gab diese Töne, die durch das Telefon kamen. Und ein Interface, was die Jungs entwickelt hatten, dass das in Befehle umwandelt. So dass sich also … dass ein Computer verstehen kann, ah, es wurde die Taste zwei gedrückt. Und das wurde quasi … es gab ein Netzwerk, einen Bus, der alle Computer miteinander verbunden hat. Und da wurden dann immer die Informationen rausgeschickt, Taste zwei gedrückt, Taste drei gedrückt, kodiert in eine Hexadezimalzahl. Und die konnte man ganz einfach empfangen mit so einer Software und entsprechend darauf reagieren.

Interviewer: Also, das war jetzt nicht unbedingt richtig High Tech, sondern es war…

Nicolas Baginsky: Ne, es war nicht High Tech, aber es war sehr solide. Also, ich erinnere mich, der Bus zum Beispiel war verdrillte Klingel-Leitung. Was völlig technisch bei den Baudrahten, die damals möglich waren, völlig adäquat war, in Ordnung. Aber einfach zwei Drähte verdreht, verdrillt. Das ist entscheidend, weil das das Brummen cancelt, wenn der Draht verdreht ist. Aber das war einfach Telefondraht, Klingeldraht, der da durch das Studio mäanderte und wo sich jeder quasi einklinken konnte. Und darüber kamen serielle Befehle. Darum musste man sich gottseidank nicht kümmern.

Interviewer: Generell wo wir gerade über die Technik sprechen, da ist ja auch sehr viel selbst entwickelt und erfunden worden. Wie würdest du das denn beurteilen so? Waren das sehr komplexe Lösungen, waren das eher so Hacker-Lösungen? Wie wenn man das ganze Telefon Interface, auch immer diesen ganzen Mats Bereich anguckt, das ist ja auch alles so ein bisschen Marke Eigenbau.

Nicolas Baginsky: Das war sehr innovativ. Es war schön Low Tech auf eine Art und High Tech, wo es sein musste. Also wie gesagt, der Bus war eine serielle Leitung mit 9200 Baud, langsames Übertragungsprotokoll, aber sicher. Selbst in so einem schwierigen Umfeld. Aber das Telefon Interface hatten die Jungs entwickelt, das war komplett neu. So was gab es nicht in der Form, soweit ich weiß. Und die Software-Ideen, die da drinstecken, waren auch extrem innovativ und neu. Und die Idee, überhaupt sowas mit Spiele Software zu verbinden, also Online Spiele möglich zu machen, sowas gab es ja nicht. Klingt vielleicht eingebildet, aber Piazza virtuale hat das wirklich erfunden, dieses Format, online spielen, interaktives Fernsehen. Das sind alle Dinge, Vokabeln, die wurden vorher nie ausgesprochen. Die sind erst in dem Kontext Piazza virtuale zum ersten mal erprobt worden.

Interviewer: Was ja dann später auch im Mainstream-Fernsehen zu entsprechenden…

Nicolas Baginsky: Was daraus wurde, ist wieder eine ganze anderen Geschichte. Ja also … aber ich meine, das ist ja etwas, was man häufiger beobachten kann, dass Künstler sich tolle Dinge ausdenken, die dann hinterher zu fragwürdiger Anwendung kommen. Was sicherlich auch hier der Fall ist. Die … und ich glaube, wer am meisten profitiert hat von unserer Forscher-Arbeit dort, ist Home Shopping Center. Die würde es nicht geben ohne Piazza virtuale. Das ist wahrscheinlich der nachhaltigste Impact, den Piazza virtuale auf die Welt hatte, dass sie den Home Shopping Center möglich gemacht hatte. Denn da wurde als erstes diese Touch down Technologie, die wir entwickelt hatten, kommerziell genutzt.

Interviewer: Und was mir auch so eine Besonderheit zu sein scheint, ist, dass die halt viel mit handelsüblichen Verbraucher-Computern gearbeitet haben. Also, nicht irgendwelche Spezialfertigungen, sondern die Macs und die Commodores, die zu der Zeit einfach so auf dem Markt waren. Wie würdest du das …?

Nicolas Baginsky: Das war eine bunte Mischung dort. Ja, da war alles vertreten. Und nett. Also die Amigas für grafische Geschichten, die Ataris für den Sound. Macs gab es auch ein paar, ja, und halt PCs.

Interviewer: Ok. Möchtest du ein bisschen was darüber sagen, wie konkret die Arbeit an dieser Roboter-Kamera aussah? Also, wie viel Zeit hatte man? Wie sah die genaue Entwicklung aus?

Nicolas Baginsky: Es war sehr holterdipolter. Ich glaube mich zu erinnern, dass wir einen Monat vor der Eröffnung der Dokumente, habe wir Geld bekommen, um Material zu kaufen. Wir hatten, glaube ich, einen Monat für die komplette Entwicklung. Dementsprechend war es natürlich Tag und Nacht. Und extrem stressig. Und auch sehr buggy am Anfang. Denn wir wussten ja auch nicht, was … es gab ja keinen Probelauf und so. Die Zusammenarbeit mit Telefon Interface und dem ganzen Studio und der Sendetechnik war unerprobt. Wir kamen dahin und haben aufgebaut und angefangen zu debuggen und versucht, den ersten Sendetermin zu schaffen. Haben wir auch geschafft.

Interviewer: Das heißt, es gab überhaupt keine Testphase hier in Hamburg. Wie auch? Sondern es wurde installiert und musste funktionieren.

Nicolas Baginsky: Ja.

Interviewer: Oder auch nicht. Ok.

Nicolas Baginsky: Aber ich glaube, ein Monat war unsere Entwicklung Zeit gewesen. Es war extrem kurz und schwierig gewesen. Und die Bildqualität hat, glaube ich, am meisten drunter gelitten. Wir haben versucht zu funken. Wir haben alles Mögliche versucht und in einem geschlossenen Metall-Körper, der voll ist mit Computern und Leitungen, irgendwie ein einigermaßen vernünftiges Videosignal von einer mobilen Kamera zu übertragen, war extrem schwierig.

Interviewer: Das sieht man ja auch bei den Aufnahmen im Fernsehen.

Nicolas Baginsky: Ja.

Interviewer: Wenn ihr gerade um die Ecken biegt, wackelt das Bild.

Nicolas Baginsky: Bricht das Bild. Ja, ja. Und die Stöße. Ganz schwierig war die Bildübertragung in dem Container. Und jedes Mal, wenn die Schiene einen Stoß hatte, also ein Schienensegment zum nächsten, gab es auch Bildabbrüche und wir hatten riesige Antennen und versucht das drahtlos zu machen. Und über die Stromschiene das Bild zu übertragen alles. Gab sehr viel Arbeit, bis es einigermaßen stabil lief.

Interviewer: Wie viel Meter waren das insgesamt, die die Kamera fahren konnte?

Nicolas Baginsky: Also, ich weiß gar nicht mehr. Waren das zwei oder drei Container hintereinander? Ein Container ist sechs … zwei, und das waren, glaube ich … was waren das, die großen haben neun Meter, glaube ich, neun und 18 Meter Schiene, glaube ich. Eine Gerade, einmal quer durch das Studio.

Interviewer: Ja, und der fährt ja auch irgendwie so um Ecken. Also, ich habe schon das Gefühl, das ist wie so Bahnen, so verschiedene.

Nicolas Baginsky: Ne, das war nur eine Gerade. Weil dadurch, dass der Kopf schwenken konnte und rauf und runter fahren konnte, hatte man eine ganz gute räumliche Wahrnehmung dort. Und das war eben auch sehr schön, weil die Kamera doch auf Kopfhöhe sich im Raum bewegte. Und man wirklich dann eine Telepräsenz, eine relativ realistische Telepräsenz hatte durch das Kamerabild.

Interviewer: Hat das jemals irgendein Techniker oder irgendein Baudings abgenommen? Oder …

Nicolas Baginsky: Nee.

Interviewer: Weil, das wäre wahrscheinlich vorbei gewesen, oder?

Nicolas Baginsky: Wir hatten sicher … die hatte Sicherheits-Tentakeln, die Kamera. Die konnte … also hat gestoppt, wenn irgendwo ein Hindernis war. Und hatten wir uns schon Gedanken drüber gemacht.

Interviewer: Ok. Das heißt, du warst auch die ganze Zeit vor Ort in Kassel, abgesehen von diesem einen Monat, wo es aus Krankheitsgründen nicht ging. Wie war denn da so die Arbeitsatmosphäre? Was hast du noch so in Erinnerung?

Nicolas Baginsky: Es war, glaube ich der heißeste Sommer seit hmhmhm in Kassel. Und man kann sich vorstellen, so ein Berg Container bis zum Rand vollgepackt mit Computern, auf denen viele Stunde am Tag die heißeste Sonne brennt. Es war die Hölle da drin. Und man … so tagsüber konnte man es kaum länger als eine Stunde aushalten. Es war extrem laut, Ozon-belastet und stinkig und feucht. Also die Arbeitsbedingungen waren wirklich krass dort. Aber es war auch sehr … dann ging man raus und dann gab es Schatten. Und wir hatten unser Kaffee dort. Und es war ein toller Sommer. Und die Stadt flirrte von Besuchern aus aller Welt. Und es war natürlich auch sehr mondän auch. Aber sobald man wieder in die Kiste musste, wurde es wirklich hart. Also, es war harte Arbeit und man saß da schweißüberströmt in diesen Containern und musste echt leiden.

Interviewer: Und was ist daraus für eine Arbeitsatmosphäre entstanden oder was für eine Art von Interaktion? Waren die Leute gestresst, aggressiv, freundlich, lustig?

Nicolas Baginsky: Es war so ein … schon so, ich sage mal, eine Kameradschaft, so ein gemeinsames „wir fahren jetzt wieder ins Bergwerk“- Stimmung. Und alle natürlich auch extrem angefixt von der Herausforderung. Und jeder hatte an seinem Arbeitsplatz mit Entwicklungsproblemen zu kämpfen und da waren ja die Softwareentwickler und haben on the fly neue Programme entwickelt. Und die Spiele und das Orchester, das man zu mehreren bedienen konnte. Das ist ja alles vor Ort entstanden während der Zeit der Dokumenta. Oder es gab auch rudimentäre Ansätze, die dann weiterentwickelt wurden. Und alle saßen dort und haben gearbeitet von früh bis spät. Und ja, ok, vielleicht ist mal jemand an den See gefahren und war mal baden zum Beispiel. Aber es war wirklich … alle waren von der Arbeit beseelt und unheimlich ambitioniert und haben versucht, da was Einzigartiges zu stemmen, was es noch nicht gab. Und es ist ja auch einigermaßen geglückt.

Interviewer: Aber irgendwie ist das doch komisch, dass so Leute, die eigentlich, du hast vorhin gesagt, so eine humoristische, auf jeden Fall so eine bohemistische Performance Kunst und Aktions-Kunstgruppe gegründet haben, plötzlich so eine Firma quasi leiten. Wie hast du das so wahrgenommen?

Nicolas Baginsky: Das war ja damals noch keine Firma. Das war ja eine Künstlergruppe.

Interviewer: Ja, aber es hat ja Strukturen gehabt wie ein Unternehmen in Wirklichkeit.

Nicolas Baginsky: Ja, ja. War ein logischer Schritt, um Dinge dieser Größenordnung zu realisieren. Da kannst du keinen Diskutierclub gebrauchen. Also den hast du eh immer noch, aber da muss natürlich einen Hierarche funktionieren, um Projekte in dieser Größe zu stemmen. War auch … stimmt, das war etwas ungewohnt und meine frühere Zusammenarbeit mit Salvatore sah ganz anders aus. Aber die Notwendigkeit war offensichtlich, da ein bisschen eine strammere Struktur reinzubringen. Und eine Ansage zu machen, was jetzt gemacht werden musste, damit man termingerecht fertig wird.

Interviewer: Wenn man sich so die … (unv) anguckt und so, muss man ja auch sagen, dass es eine sehr männlich dominierte Gruppe waren. Also, diese ganzen Techniker und so waren natürlich alles Jungs. Hat das auch zu so einer jungshaften Atmosphäre geführt? Oder wie hast du das so in Erinnerung, die Zusammenarbeit mit den weiblichen…

Nicolas Baginsky: Ne, ne, ich weiß gar nicht mehr. Also, ich erinnere mich an Kate, die eine ganz wichtige Rolle gespielt hat. Und da für Kommunikation gesorgt hat und einen starken Einfluss auf meine Empfindung des Projektes hatte. Und es gab schon auch ein paar andere Frauen, die da mitgearbeitet haben. Und ich kann mich nicht erinnern, dass da zotige Witze an der Tagesordnung waren. Oder irgendwie chauvinistische … dass das so eine chauvinistische Szene war. Ich glaube, das war sehr offen und sehr … das war überhaupt kein Thema, Männer und Frauen. Das ergab sich dann von selbst. Auch wenn es wahrscheinlich hauptsächlich Jungs waren, das stimmt. Aber da habe ich nie drüber nachgedacht.

Interviewer: Und wie würdest du die Macher beschreiben, die waren doch TV-Leute, was sind das so für Charaktere gewesen, dass die sowas überhaupt betrieben haben oder betreiben konnten?

Nicolas Baginsky: Ich habe eigentlich erst in Kassel Benjamin und Karel näher kennen gelernt. Und war teilweise schon ein bisschen erstaunt ob des autoritären Tones. Aber wie schon gesagt, sehe ich auch die Notwendigkeit, um so ein Projekt auf die Beine zu kriegen, dass man auch mal irgendwo ein bisschen lauter wird. Und Leuten, die Mist gemacht haben, auf die Füße tritt. Und ein autoritäres Verhalten an den Tag legt. Aber das fühlte sich ungewohnt an. Und ich bin eher ein Freund von gleichberechtigtem Zusammenarbeiten. Und mich hat das auch nie tangiert, weil ich bin doch so self contained, dass ich mir nicht viel sagen lassen brauche, denke ich mal. Aber manchmal war der Ton etwas eigenartig, bei Besprechungen. Und etwas sehr cheffig. Aber ich verstehe den Spagat, den man machen muss, um so ein Ding auf die Beine zu stellen.

Interviewer: Diese Techis waren ja auch relativ jung, so Anfang, Mitte 20. Wenn ich mir das heute so angucke, diese ganze Struktur da auch einfach, wie es da so aussah, erinnert mich das so ein bisschen Start Ups der Gegenwart. Siehst du diese Parallele auch?

Nicolas Baginsky: Es war diese Ansammlung von vielen jungen Talenten, die … ja, wahrscheinlich ist das sehr ähnlich heute. Kann ich mir durchaus vorstellen, dass die Stimmung heute auch wieder so sein kann und so eine Goldgräberstimmung entsteht.

Interviewer: Gut, das Programm läuft, die Sendung läuft, die Kamera läuft. Warst du denn dann mit dem Resultat zufrieden? Wie wurde das angenommen? Wie waren die Reaktionen?

Nicolas Baginsky: Wir haben gefiebert. Also, es gab Zeiten, wo wir ganz wenig Exposure hatten und nur auf einem kleinen Satellitensender ein paar Leute erreicht haben. Und da wurde um jeden User gekämpft. Oder jeder User wurde bejubelt, „ach wir haben wieder einen, der was macht.“ Weil da waren halt nur fünf Leute irgendwie in Europa, die das Ding gesehen haben. Und das … und wir waren ja abhängig davon, dass Leute von außen mitmachen. Und wenn man nur eine geringe Zuseherschaft hat, ist es sehr schwierig, genügend Interaktion zu bekommen. Und da haben wir gefiebert und gekämpft und gewartet und gebangt. Und es gab sehr einsame Nächte, kann ich mich erinnern, wo keine Zuschauer da waren. Und es gab sehr poetische Momente, wo nur drei Zuschauer da waren. Aber die … ich erinnere einen Augenblick, wo ein Anruf kam, „ja, hier ist so und so. Ich sitze in der Wetterstation in den Schweizer Alpen und empfange über den Wettersatelliten euer Programm.“ Und dann haben wir ein bisschen mit dem geredet. Und dann klingelten ein zweites Telefon und ein anderer Wissenschaftler aus den österreichischen Alpen, der auch in einer Wetterstation saß, schaltet sich ins Gespräch mit ein. Und Piazza virtuale und diese beiden Berggipfel-Bewohner unterhielten sich. Und da das Ganze nur über Sattelit übertragen wurde, hatten wir ein irres Delay. Und dann haben die beiden angefangen zu jodeln mit Satelliten-Echo. Es gab also eine Verzögerung von bestimmt zwei Sekunden oder so durch … und auch unterschiedlich in die Schweiz … aus der Schweiz und aus Österreich. Und die beiden jodelten dann mit Satelliten-Echo. Das war, glaube ich, der größte Moment des Fernsehens, den ich jemals erlebt habe. Das war so anrührend. Und keiner hat es gesehen außer uns und den beiden und vielleicht noch drei. Und da ist es dann toll, dann reicht das … das reicht dir für den Tag. Da ist man natürlich glücklich. Und es dauerte, glaube ich, eine ganze Weile, bis wir dann auf dem großen Sender waren und mehr Publikum hatten und mehr Zuspruch. Und die Leute auch geschnallt haben, „ah, um 22 Uhr passiert immer dieser Programmpunkt und das finde ich spannend. Da schalte ich mich ein. Und da sind die Piazzetas zu gewissen Zeitpunkten …“ Bis das so einen Sendealltag bekam, hat das eine ganze Weile gedauert.

Interviewer: Ich muss ein bisschen aus dem, was ich jetzt aus den Unterlagen weiß, korrigieren. Das ist von Anfang an jeden Tag 3SAT zu relativ denselben Zeiten gelaufen?

Nicolas Baginsky: Für eine Stunde oder so.

Interviewer: Genau, ja. Dann gab es halt über Eutelsat, das ist das, was du meinst, eine Sendung. Und da ist auch interessant, wenn man sich die Mitschnitte anguckt und vergleicht, dass, wie du schon sagst, bei diesen Satelliten-Konversationen, weil das halt viel weniger Leute waren, die das empfangen konnten. Zum größten Teil halt auch Technik-Nerds, die auch sicher was zu sagen hatten, weil die sich alle für dieselben technischen interessiert haben. Da kommen ganz andere Gespräche zusammen. Aber es war jetzt von Anfang an … es war 100 Tage lang jeden Tag bei 3SAT zu sehen.

Nicolas Baginsky: Ja, aber nur winziges Fenster.

Interviewer: Benjamin ist heute noch sehr stolz rauf und zeigt immer noch die Listen, wo sie irgendwie auf Platz drei der Einschaltquoten des Tages bei den Kabelprogrammen waren oder so. Aber es stimmt schon, das ist halt diese … also mit dem Wetter-Satelliten meinst du Eutelsat, ja?

Nicolas Baginsky: Ich vermute mal. Ich weiß nicht mehr, wie der hieß. Aber es gab so experimentelle Frequenzen, die nur ganz wenige Menschen empfangen konnten. Auf denen wir dann den Rest des Tages gesendet haben, weil eben das öffentliche oder das 3SAT-Fenster war zeitweise wirklich nur eine Stunde am Tag in meiner Erinnerung.

Interviewer: Nur ist gut. So viel Zeit muss man erst mal bekommen.

Nicolas Baginsky: Ja, ja, klar. Aber das Sendekonzept ist natürlich eigentlich 24-7. Die Maschine, die immer läuft sozusagen. Wir haben ja … wir sind rund um die Uhr gelaufen sozusagen.

Interviewer: Und jetzt mal abgesehen von deiner … ne, genau, das war noch eine Frage: wie hat das Publikum konkret auf die Roboter-Kamera reagiert? Hat man da so das Gefühl gehabt, da gehen die Pfoten hoch? Da gehen die Interaktion hoch? Was hat man da so mitbekommen?

Nicolas Baginsky: Also, das hat Spaß gemacht. Telepräsenz war bis dato unbekannt. Und die Leute haben Spaß damit gehabt. Auch wenn es natürlich durch die Delays problematisch zu bedienen war. Also, bis der Impuls von dem gedrückten Telefon-Taste bei der Roboter-Kamera angekommen ist und sie reagiert hat, hat das eine Weile gedauert. Und es ist natürlich frustrierend, ein Gerät zu bedienen, was erst mit Verzögerung reagiert. Und dann haben viele Leute Schwierigkeiten, sich darauf einzustellen. Und das Bild kommt ja auch erst verzögert. Also, der ganze Interaktionskreis war sehr behindert durch die verschiedenen Delays, die da im Spiel waren. Aber trotzdem gab es tolle Momente, wo Leute einfach das Studio erkundet haben. Und dadurch, dass die Kamera auf Kopfhöhe saß, konnten wir ja richtig an Menschen herangehen. Und die konnten uns ansprechen, indem sie in den Telefonhörer sprechen. Da gab es einen offenen Kanal im Studio. Genau, wir haben gehört, was sie ins Telefon gesprochen haben. Und was wir gesagt haben, ging eh über den Sender. Das heißt, da konnten wir zurück sprechen. Und die hatten das Kamerabild und sind dann wirklich … haben das erforscht. Sin irgendwohin gefahren, haben gefragt, „was machst denn du da?“ „Lass mich in Ruhe, ich muss hier arbeiten. Fahr mal da hinter, da gibt es mehr zu sehen.“ Und das war wirklich eine Tele-Präsenz im reinsten Sinne. Auch wenn sie technisch ein bisschen lahmarschig war. Und ich glaube, einige Leute haben das kapiert und hatten großen Spaß damit, unser Studio dort zu erkunden und sich teilweise nach Kasel zu portieren.

Interviewer: Und davon mal abgesehen, wenn … war sonst eine Wahrnehmung von dem Programm? Also, ich meine, das war mit sehr großem Aufwand verbunden. Hättest du gesagt, das hat sich jetzt gelohnt, das ist irgendwie so Utopie, dass alle beim Fernsehen mitmachen können, ist das jetzt irgendwie eingelöst? Oder wie hast du das wahrgenommen?

Nicolas Baginsky: Also, für mich war es ein … ich habe profitiert davon. Für mich war es eine völlig neue Erfahrung und ich habe sehr viel über Wahrnehmung und Interaktion gelernt. Und doch profitiert von dem Projekt. Abgesehen von den technischen Dingen, die man sich ja sowieso erarbeiten muss, fand ich das sehr wertvoll. Die Internet-Formate, die später entstanden sind, basieren sicherlich auch zum Teil auf Erfahrungen, die wir gemacht haben. Das Fernsehen hat sich ja nur im kommerziellen, also im Home Shopping Bereich daran angelehnt. Naja, gut, inzwischen gibt es Spielshows, wo gevoted wird per Telefon oder so. Aber das ist nicht wirklich eine Interaktion, das ist ja nur eine Abstimmung und eine Geldmacherei des Sendeveranstalters. Also, da ist, glaube ich, viel verpufft von den Erkenntnissen, die man hätte gewinnen können, weil einfach Fernsehen soll Fernsehen bleiben. Und keiner will … die Leute wollen inaktiv vor dem Fernseher auf der Couch sitzen. Ist letztendlich meine Erkenntnis gewesen daraus. Und mit dem Entstehen des neuen Mediums Internet ist eine völlig neue Herangehensweise möglich geworden, die dem Fernsehen immer verwehrt geblieben ist. Das Fernsehen ist Couch-Potatoe-Land und das wird immer so bleiben.

Interviewer: Ja, da haben wir das gute Stück. Dann erklären Sie doch mal, um was handelt es sich dabei?

Nicolas Baginsky: Also dies war die Roboterkamera, der (unv.) Virtuale. Das Schwarze oben ist die Schiene, die durchs gesamte Studio ging. Hier haben wir jetzt nur eineinhalb Meter davon. Und darauf fuhr dieses Gerät hin und her. Hier sind die Sicherheitsschalter sozusagen. Also wenn das Ding irgendwo angestoßen ist, ist es stehen geblieben. Und hier unten war die Kamera montiert und ließ sich schwenken. Und dieser Arm – das kann man jetzt ohne Strom nicht herstellen – fuhr also runter. Man konnte so auf Schreibtischhöhe etwa runter oder auf Kopfhöhe hoch. Und hier gibt es einen optischen Link, wo per Infrarot-Datenübertragung die Befehle zur Kamera kommen. Das heißt also, die Tasten, die auf dem Telefon gedrückt werden, werden in elektrische Impulse, in digitale Signale umgewandelt. Die wiederum werden in Licht umgewandelt und hier empfangen, durch diese Linse. Was gab es noch Besonderes daran? Die Stromübertragung funktioniert über die Schiene. So sind wir also kabellos gewesen.

Interviewer: Kommt das Videosignal da wieder raus?

Nicolas Baginsky: Und das Videosignal, ja, da haben wir verschiedene Dinge probiert. Zum einen haben wir auf die Stromschiene das Videosignal aufmoduliert. Also da ist eigentlich Gleichstrom drauf, zur Stromversorgung für den Roboter. Und da kann man aber ein hochfrequentes Signal aufmodulieren, zurückschicken und dann von der Schiene wieder abgreifen. Aber wenn dann der Roboter auf der Schiene fährt, gibt es so Doppler-Effekte und an den Übergängen der Schienen ruckelt das immer und das Bild bricht zusammen. Und da wir damals ja noch mit analogem Video gearbeitet haben, das von – wie hießen die Dinger, Frame Grabbern – erstmal digitalisiert werden musste, brach alles zusammen, wenn das Videosignal zusammenbrach. Dann dauerte es Sekunden, Minuten fast, bis das Bild wieder stand, war keine Lösung. Dann haben wir später noch eine Antenne montiert an dem Roboter – die ist jetzt aber nicht mehr dran – und per Funk die Bilder zurückgespielt. Und das hat ein bisschen besser funktioniert. War aber auch problematisch in dem engen Metallgebäude. Schwierig, da gab es auch stehende Wellen, stehende Fernsehwellen, Radiowellen im Raum sozusagen. Und man sah, wie die Maschine durch die Wellentäler und -berge fuhr.

Interviewer: Also ich habe das jetzt gerade richtig verstanden? Diese ganze Schiene da oben stand unter Strom, unter Gleichstrom? Ist das nicht gefährlich?

Nicolas Baginsky: Nein, es war Niedervolt, 24 Volt oder so.

Interviewer: Aber wenn man drangefasst hätte, hätte man schon so einen kleinen bekommen?

Nicolas Baginsky: Nein, bei 24 Volt, das ist harmlos, nicht so viel Leistung dahinter. Nein, das ist ungefährlich. Wenn man mit der Zunge von der Unter- zur Oberseite der Schiene… dann hätte man…

Interviewer: Ach so.

Nicolas Baginsky: Aber man hätte beide Dinger mit feuchten, schwitzigen Händen oder so berühren müssen, dass man was spürt. Also das ist völlig ungefährlich. Das ist nicht wie ein Weidezaun.

Interviewer: 24 Volt, ist das so eine Batteriestärke? Oder wo kommen…

Nicolas Baginsky: Nein, gab es irgendwo ein Netzteil, was das erzeugt hat.

Interviewer: Ja, ich meine, wie stark ist das nochmal? Denn das ist ja schon ein ganz schön großes Gerät, das da bewegt werden muss.

Nicolas Baginsky: Ja, aber wir haben… Nein, aber das Ding hat nicht viel Strom verbraucht. Also das waren alles qualitativ hochwertige Motoren und gute Technik, die da eingebaut ist. Das hat nicht viel Strom verbraucht. Auf der Schiene war nicht viel Leistung. Also das war zu vernachlässigen. Also auch allein schon wegen… Also hier gibt es Rollenkontakte für die Stromübertragung, damit es nicht funkt und so. Da darf da gar nicht so viel Strom fließen. Nein, nein, das Einzige, was wirklich ganz, ganz schwierig war, war das Bild wieder rauszukriegen aus dem Baby und auch eben die Verzögerung möglichst gering zu halten. Möglichst schnell zu reagieren auf die Tastaturimpulse war problematisch.

Interviewer: Hast du das später, was du da entwickelt hast, in anderen Arbeiten noch weiterverwenden können? Oder war das ein Unikat?

Nicolas Baginsky: Nein, nicht wirklich. Also, ja gut, ich habe 100.000 kleine Betriebssysteme für Roboter geschrieben. Und die sind natürlich alle eins aus dem anderen hervorgegangen und irgendwie miteinander verwandt, weil Basic, da gibt es so Basics, die braucht man häufiger. Und so sind sicherlich Teile aus der Software auch irgendwo nochmal wieder mit eingeflossen. Aber ich habe nie wieder mit Touch Down gearbeitet. Und nie wieder so direkt Interaktionen hergestellt, weil mich doch immer eher die autonome Roboterseite viel mehr interessiert hat als die ferngesteuerte.

Interviewer: Und es hat sich auch nie ein Unternehmen oder ein Fernsehsender bei dir gemeldet, gesagt: „Könnten Sie uns für unsere Show daraus was weiterentwickeln?“

Nicolas Baginsky: Nein, nicht daraus. Aber ich habe später dann ja mal für Studio Moor einen Moderator gebaut, einen sechsbeinigen Roboter, der mit dem Dieter Moor zusammen die Sendung moderiert hat. Und da gibts in Sachen Telepräsenz sozusagen, gibts da gewisse Überschneidungen. Und das ist der Roboter im Studio, der eine gewisse Funktion erfüllt, die ist nur mehr vor der Kamera als hinter der Kamera. Aber da gibts eine Verwandtschaft.

Interviewer: Aber das hat, meine ich, keine direkte Konsequenz aus dieser…

Nicolas Baginsky: Nein, völlig unabhängig davon.

Interviewer: Das wussten wahrscheinlich auch gar nicht so viele, wer eigentlich hinter dieser Geschichte gesteckt hat, oder?

Nicolas Baginsky: Nein, die hat soweit alle… Also, es war ja relativ anonym, also die einzelnen Kreativen traten ja in keinster Weise in Erscheinung.

Interviewer: Okay. Vielen Dank.