Interview mit Pit Schultz, 06.06.2018

Siehe auch: Piazzetta Berlin

Pit Schulz arbeitete bei der Piazetta Berlin mit und lebt heute als Medienaktivist in Berlin.

Interviewer: Okay. Gut, dann lass uns mal anfangen mit der Situation so ein bisschen, bevor das eigentliche Piazza virtuale Projekt gestartet ist. Könntest du uns so zum Anfang mal ein bisschen entweder eine Situation 1991, 1992 erzählen, was war so da deine Lebenssituation, und wie bist du mit der Gruppe in Kontakt gekommen?

Pit Schultz: Okay. 1991, 1992, also vorher oder bei Piazza virtuale?

Interviewer: Ja, ja. Also was für eine Situation war das, die dazu geführt hat, dass du dich für solche Sachen interessiert hast und in diese Szene geraten bist?

Pit Schultz: Okay. Also, ich habe jetzt nicht mehr darüber nachgedacht, wie ich dazu gekommen bin, die Projekte von Van Gogh TV zu kennen zum Beispiel. Aber die war mir dann auch schon bekannt über die Arbeit auf der Documenta eben. Über Radio, und ich war damals auch schon in der Piratenradioszene ein bisschen über Amsterdam und so weiter mit Geert Lovink in Kontakt. Habe auch bei Piazza virtuale, bei Radio Patapo mitgemacht. Und da gab es Verbindungen zu Minus Delta T, dann gab es Verbindungen zu Armin Medosch mit, wie hieß es, Radio Rabotnik, glaube ich, so in der Art. Oder irgend so ein Radio Sputnik. Ich weiß nicht mehr genau. Und jedenfalls gab es sozusagen so eine Radio Szene, in der ich damals schon so ein bisschen mit drin war. Und dann gab es eben auch die BBS hier, in der ich drin war. Also die Berliner BBS Szene, die dann wieder am Usenet war und dem ganzen Präinternet, Z-Netz, CL-Netz und so weiter. Und darüber hatte ich halt schon Interesse sozusagen medial wie, in welche, das hieß damals Konvergenz, also in welche Richtung geht eben, gehen die Medien, ja. Das hat mich damals schon interessiert. Aber eher aus der Sicht so des Informatikers, der sich für Kultur interessiert, so. Und ich weiß jetzt nicht mehr genau, wie ich dazu gekommen bin. Aber ich habe mich schon dann auch für Hotel Pompino interessiert, als es ausgestrahlt wurde. Weil auch in der Zeit schon eben dieses Thema interaktives Fernsehen schon diskutiert wurde. Und die verschiedenen Standardisierungsgremien haben ja auch damals BTX und so entwickelt. Und dann gab es eben die Idee, dass da irgendwann… von Internet wussten sie halt nichts, das hat sie dann kalt erwischt. Aber es gab sozusagen so eine Vision, dass es irgendwann ein interaktives Fernsehen geben soll. Das war so eine Art Technikpolitik, politische Vision. Dafür gab es dann auch so interaktive Standards, es gab halt Minitel schon, BTX. Und in diesem quasi, in dieser Vision, ist dann eben dieses Pompino aufgetaucht und hat das quasi umgesetzt, ja. Aber gleichzeitig war Pompino im Prinzip schon so eine Art, ja, eigentlich Vorwegnahme von etwas, was das Internet nachher gar nicht bewerkstelligt hat. Also es war ersetzt worden damit, aber es ist trotzdem, hat noch nicht das erreicht was quasi Pompino versucht hat in so eine Inszenierung zu realisieren. Nämlich im Prinzip ein performativer virtueller Raum. Und das war ja so gestaffelt, es gab vorher diese Pompinos, wie einen griechischen Chor die vorne so, in der Kulisse sind so Engelchen. Die haben immer so kleine Kommentare abgegeben. Und dann dahinter war die Blue Box und dazwischen konnten die verschiedenen Akteure in diesem Hotel eben Raum per Raum zum Teil interaktiv über so Gestenbewegungen dann Aktionen auslösen und im Prinzip so eine Art Quizshow, so, nein eigentlich Quizshow… eher so eine Dungeons and Dragons, was weiß ich, World of Warcraft, Role Playing Umgebung. Und da waren halt ziemlich schräge Typen dabei, der Captain Crunch dann zum Beispiel, also so Cyber Punk Heroen. Also auch Figuren die dann auch so als Akteure da drin dann eben Rollen gespielt haben. Das Ganze war wirklich schon sehr lustig, auch sehr spontan, aber auch extrem, finde ich, sehr extrem. Im Nachhinein fand ich das sozusagen ist mein Lieblingsprojekt, würde ich sagen, von Van Gogh TV. Wo so eine performative Verdichtung von so einem Spielraum geschaffen wurde.

Interviewer: Also, wenn man es sich heute anguckt, wirkt es auch sehr improvisiert und zum Teil, finde ich, auch so ein bisschen plump, also das hat dich nicht gestört, als du das im Fernsehen gesehen hast?

Pit Schultz: Na ja, wenn du heutzutage mal einfach in GTA fünf reingehst, ist es auch verdammt doof und plump und gegen den Strich und… Also da wird, oder wenn du jetzt auf Switch TV irgendwie so diese neuen Formate anschaust, wo Leute auch quasi Lets Play Sachen machen. Und gleichzeitig auf der Chatnet, dann ist unten das Fenster. Und das Ganze ist ja ein komplett interaktives Format. Und da geht es sozusagen nicht darum jetzt, was weiß ich, hochgradig abstrakte, philosophische Probleme zu diskutieren. Sondern es ist ein performativer Raum. Oder was heißt Raum, performatives Interface. Und das hat eben zum Teil extreme Einschaltquoten. Oder YouTuber, die halt ähnlich so auch mit so Layern arbeiten. Die haben ja oft nicht mehr nur einfach nur ein Bild, sondern arbeiten dann eben auch mit dem Bild sozusagen als Benutzerschnittstelle, wo dann irgendwelche Texte durchlaufen. Also ist schon ein digitales Bild eben. Und ich glaube, dass Van Gogh TV sozusagen da immer was versucht hat Abzweigungen zu nehmen, die gar nicht… die erst jetzt viel später, oder vielleicht noch in Zukunft irgendwie eine Art von Bedeutung haben wird. Weil quasi das klassische Fernsehen das eben nicht weiterentwickelt hat. Das ist ja weiterhin ein statisches Format, was wir heutzutage im Fernsehen sehen. Vielleicht selbst Bloomberg hat dann auch so diese Elemente mit diesen Tickern, aber es ist trotzdem, wenn dann da das Fenster ist, was da läuft, das sind klassische News Channel. Das hat sich ja im Grunde seit 30 Jahren nicht mehr geändert da.

Interviewer: Also du hattest Hotel Pompino im Fernsehen gesehen, das hat dich interessiert. Wie kam dann der persönliche Kontakt zustande, wo kamen die Kontakte her, die dazu geführt haben, dass du bei der Berliner Piazzetta mitgemacht hast?

Pit Schultz: Also das war so, dadurch dass ich im Botschaft e. V. war, da in Berlin diese interdisziplinäre Künstler Gruppe, da Kronenstraße, Leipziger Straße hatten wir so ein Areal. Und jetzt muss ich mit den Jahren, weiß ich nicht mehr so hundertprozentig was nach was kam. Das müsste ich jetzt auflisten. Jedenfalls war auch der Chaos Computer Club dabei und Dogfilm haben dann ein eigenes Videostudio gemacht. Also es ging sehr viel um mediale Projekte. Und in dem Fall wurden wir eingeladen als Gruppe, also auch ich sozusagen als Botschaft e. V. und habe dann eben andere mitgenommen. Und das war in dem Fall Daniel Pflumm und Gereon Schmitz. Und da haben wir schon mit Video experimentiert in der Zeit. Und da haben wir eben versucht aus, also von Daniels Loops und von Daniels quasi Found Footage im Werbebereich, der hatte dann so aus dem Fernsehen Sachen rausgeschnitten und daraus so Techno Videos gemacht. Und das haben wir versucht dort unterzubringen. Deswegen bin ich dann auch nach Kassel gefahren und habe versucht mit denen zu diskutieren, ob es nicht möglich wäre was anders zu machen, als was sie uns quasi vorgegeben haben, war es im Prinzip war, so eine Art Live Schaltung in einen bestimmten Format Uhr, wo dann gesagt wurde, jetzt ist es so und so Live. Wir wollten quasi in die Nachtschleifen rein und da ein bisschen so Ambient-TV-Formate vorschlagen. Und deswegen bin ich dahingefahren und hatte dann eben diskutiert, ob es da nicht Möglichkeiten gäbe so weiteren Video Content hochzuspielen.

Interviewer: Ja, jetzt sind wir schon mitten bei der Produktion (unv.) aber…

Pit Schultz: Ja, gut, und das war jetzt also Hallo TV und ja, so…

Interviewer: … und nochmal ein Stück zurück, was war denn diese Piazzetta physisch, was war das?

Pit Schultz: Piazzetta war im Grunde eben quasi eine Art Sub-Piazzetta, also Sub-Piazza-virtuale-Piazzetta, und da gab es eben verschiedene, quasi sternförmig Sub-Gruppen, die halt bestimmte Programmbereiche übernommen haben in dem Live-Feed auf 3 Sat eben. Ich glaube, es war 3 Sat. Und da war ich eben mit Gerald Schmitz und Daniel und dann eben Antje Umstädter und Thomax war noch dabei. Mit Anje hatte ich auch schon zu tun gehabt. Mit der habe ich am Fernsehturm oben so eine Installation gemacht, Tele Café. Und dann, mit Daniel haben wir eben dann Hallo TV gemacht. Und Hallo TV war eine direkte Reaktion auf diesen Medien beziehungsweise Massage Effekt, eben Van Gogh TV, wenn plötzlich so ein Format dann rein geploppt ist, dann war dann der Kanal offen und alle am hallo, hallo, ist da jemand? Ja, hallo ich bin hier, hallo, bist du da? Ja, hallo, hallo. Und dann war zum Teil wirklich mit diesem Echoeffekt noch, eigentlich nur im Prinzip wie so CB-Funker, die happy waren, dass der Kanal offen ist, ja. Das war also reine Performativität des Mediums. Ohne Inhalt. Und das haben wir irgendwie lustig gefunden und haben angefangen in Berlin dann alle möglichen Leute, Touristen auf der Straße anzusprechen, „sagen Sie doch mal hallo“. Und das wurde halt zusammengeschnitten, da waren irgendwie, ich glaube, 2000 Leute zum Schluss, die einfach irgendwo auf der Straße verpeilt, verstrahlt, tanzend hallo sagen. Und das war dann eben die Idee, dass da reinzubringen. Das hat aber nicht geklappt. Und das war so ein bisschen ungünstig. Da hatte ich mit Salvatore eben auch Diskussionen und der hat mir dann erklärt wie sozusagen ihr Konzept sich entwickelt hatte und was sie für eine Idee von nicht moderierten Inhalten hat. Also radikal demokratische Nicht-Zensur, oder so eine Art Form von Brecht’schem Radioapparat, also das war ein interessantes Gespräch. Aber ich war nicht hundertprozentig seiner Meinung. Und habe ja auch später, als wir (Netham?) gemacht haben problemlos auch dann auch gesagt, wir moderieren es. Also da war nicht unbedingt, auch was die Ergebnisse angingen, haben wir das sozusagen eher ironisch aufgegriffen, diesen Hallo-Effekt.

Interviewer: Aber dieses Hallo, das war ein Videoband, das ihr gemacht habt und es ist aber nie ausgestrahlt worden?

Pit Schultz: Ich kann mich nicht erinnern. Da müsst ihr die anderen fragen. Also (Geren?) lebt da nicht mehr und Daniel hat sicher die Tapes noch. Die wurden dafür produziert, aber es gab Diskussionen, also deswegen bin ich auch nach Kassel gefahren, das zu diskutieren. Wie man diese Art von (NBN?) TV Formate da reinbringt. Auch in der Idee natürlich, dass andere, dass also nicht nur wir, sondern eben andere auch im Prinzip so, das wurde dann später zu diesen Nachtschleifen mit den Eisenbahnen. Und sowas hatten die auch vorgeschlagen, dass man einfach bitte wenn die eh fast alle einpennen, man irgendwie einen anderen Content fährt. Statt immer diese Loops, wo immer der Kanal selber, mit sich selbst resoniert. Was schon lustig war, aber es war zum Teil extrem redundant. Und das Interface war sozusagen selbst performant, oder auch nicht, je nachdem wie man es sehen will. Und das war bei Pompino viel theaterartiger. Das war viel mehr Mensch orientiert sozusagen. Und es wurde im Van Gogh TV, wir sind technizistischer, was auch toll war. Also wir haben tolle Ideen drin gehabt mit Eike, ein Freund von mir, der hat dieses Fax-Interface auf dem (Next?) Computer gemacht, da habe ich mitgeholfen. Und da konnte man also direkt per Fax quasi in den Fernseher reinfaxen, dann kamen plötzlich dann so irgendwelche Grafiken so reingeflattert. Die wurden dann auch irgendwie in 3D so haben die sich so gedreht und sind so gerutscht. Also da, oder da gab es, im Hinterraum gab es so eine Robotic Kamera, die irgendwie von so einem, ich habe vergessen wie der hieß, so ein Hamburger Robotic Künstler, der hat das gemacht. War im Prinzip so eine Remote Kamera so eine autonome. Und dann halt diese See-you-see-me Geschichten mit Riga und das war also auch schon… Also medial war das schon ein tolles Setting. Also wenn man sozusagen den (Graf?) hat von der Medienarchitektur. Wie das sozusagen alles verschaltet war, dass was Bengie gemacht hat, diese, quasi die Netzwerkarchitektur des Backends. Ja, das ist wirklich schon richtungsweisend. Ich glaube auch, was so… Das war dann mit Horizontal Radio nochmal auf Ars Electronica. Der Fred Stocker, der hat auch nochmal sowas gemacht, also auch so eine Verschaltung international. Auch mit so einem ähnlichen Gedanken von Kommunizieren in Röhren, was so diese… Aber ich fand, also bei Van Gogh TV hat das so eine Hochform entwickelt, wie das Technische und das Performative irgendwie ineinandergegriffen hat.

Interviewer: Aber um jetzt mal zu Berliner Piazzetta zurückzukommen. Also ihr hattet schon so eine Vorgabe, dass ihr eigentlich nur Live senden durftest. Das ist kein Programm.

Pit Schultz: Genau. (Hund hat gebellt) Elli, ruhig, komm her.

Interviewer: Das ist kein Programm, kein vorproduziertes Programm gesendet werden durfte, sondern es musste …

Pit Schultz: Ja.

Interviewer: … vor den Kameras live produziert werden. Kannst du noch ein bisschen genauer erklären, was der Gedanke dahinter war von den Machern und warum du den abgelehnt hast?

Pit Schultz: Naja, wie gesagt, also… Naja, aber das erste ist, dadurch, dass Documenta immer so eine Art riesiger Durchlauferhitzer ist. Wo irgendwie Leute versuchen sich einzuschreiben und dann irgendwie mit ihrem Namen irgendwo, auch wenn sie nur, was weiß ich, zwei Minuten auftauchten nachher, in der Bio sagen können, sie waren auf der Documenta. Und das wussten die natürlich und deswegen haben die ziemlich radikal, fast antikünstlerisch versucht jeglichen künstlerischen Content im Grunde rauszuhalten. Also das war jetzt irgendwie ganz lustig. Auf der anderen Seite war der soziale Effekt ebenso, wir uns da zum ersten Mal getroffen haben. Und nicht nur wir, sondern auch in Hamburg, oder keine Ahnung, wo die überall waren, in Riga, war das quasi zu einer wichtigen Zeit, eben der Übergang quasi von den alten Massenmedien zu den digitalen netzwerkbasierten Medien, war das quasi eines der entscheidenden Projekte, die genau die richtigen Leute zusammengebracht haben, Künstler, Techniker. Und deshalb war nachher eben die Kerngruppe von Internationaler Stadt, die sich da zum ersten Mal getroffen hat. Da war auch Pengo eben dabei und so ein Netzwerk von Akteuren die so… das war nicht so entschieden, ob man jetzt Hacker ist, oder Künstler oder was so, oder… Das sind halt Akteure gewesen zu der Zeit. Und da waren die Piazzettas eben sozial extrem wichtig, glaube ich. Also in Berlin auch. Und wir haben dann eben uns darangehalten, haben mit dann mit Antya Umstätter zum Beispiel, haben wir so ein, was war das, ein Rosenkohl gefilmt auf einem Plattenteller. Und dann halt reingezoomt und dann halt sozusagen uns darüber alle belustigt, dass es eben so eine Art fraktales Apfelmännchen ist. Und das war sozusagen eine analoge Computergrafik. Und so Geschichten haben wir da gemacht, um das sozusagen Live zu machen, das war im Grunde ein inszenierter 3D Film, nur mit Analogmedien. Und, also war zum Schluss, glaube ich, haben wir gar nicht so produktiv da arbeiten können, weil es war eher eine Auseinandersetzung, wenn ich mich so richtig erinnere. Aber was daraus entstanden ist war eine sehr langjährige Zusammenarbeit da mit Gruppen und so weiter. Während, aber das müsste so, also ich kann ganz schlecht jetzt auflisten, was alles im Programm war. Wir waren zwar drin, ich saß dann in diesem (unv.) Raum oft und haben diskutiert. Und auch hin und wieder ein paar Sachen gemacht. Aber dieser Live Content war eben mit ein Grund, dass ich dahin gefahren bin um das zu diskutieren. Und wenn man das heutzutage mit YouTube und so weiter vergleicht, wäre das genau der Punkt der eben, was die halt noch nicht gemacht haben. Also sozusagen hätten sie machen können, sie hätten quasi sagen können, schickt uns Video Tapes und wir, was weiß ich, kuratieren die, selektieren die, schneiden die zusammen und machen damit was bestimmtes irgendwie. Aber es war halt nicht in deren Programm. Und da haben andere, ich glaube, (John Pike?) hat da eher mitgearbeitet mit Premaid Sachen und so eine Art Kunstradio, Kunstfernsehen gemacht, wo dann andere Leute Tapes einschicken konnten. Also es ist nicht so, dass sozusagen, oder Deep Dish TV, die haben nicht nur Live gemacht, das waren auch, ja, vorproduzierte Sachen.

Interviewer: Jetzt mal rein vom Zeitaufwand, oder vom Arbeitsaufwand her. Also wir haben jetzt die Sendepläne, die werden gerade digitalisiert. Und diese Piazzettas die kamen zum Teil, glaube ich, so ein-, zweimal in der Woche vor. Also das heißt, ihr habt da eine bestimmte Zeit gesagt bekommen, am Mittwoch um 23:00 Uhr seid ihr für eine halbe Stunde …

Pit Schultz: Genau.

Interviewer: Wie viel Vorarbeit war dafür notwendig?

Pit Schultz: Gut. Also das war halt so ein Slot Modell, eine große Rotation, großer Kalender. Und das ging, es gab vorher eine Format Uhr, die in der Stunde lief. Und dann gab es eben darüber hinaus halt nochmal einen Gesamtkalender, was die Woche angeht. Und dann sicher da drin auch bestimmt irgendwelche Einzelevents, die nur einmal vorkamen. Und das war übrigens auch eine Sache, die ich total spannend fand. Und es war für unser Radio später, glaube ich, ein entscheidendes Lernerlebnis zu verstehen, wie man sozusagen komplexe soziale Systeme, die sich nicht unbedingt alle immer, also immer heterogen sind. Nicht jetzt total alle an einem Strang ziehen, auch dezentral organisiert sind in einem zentralen zeitbasierten Zeitplan einordnet. Und das war etwas, was wir dann später mit Reboot FM gemacht haben und bis hin zu Hybrid Workspace, was ja auch quasi wieder so ein Slot Modell war. Und das haben die schon verstanden, weil sie damit eben eine soziale Komplexität irgendwie quasi prozessieren konnten. Und wir hatten dann eben diesen kleinen Slot, wo ich (glaube so sage?) so wöchentlich auf abends, glaube ich. Das war aber gar nicht so wichtig, weil wie gesagt, dass was dadurch in Gang gesetzt wurde, die Projekte, die man dann angefangen hat in dem Raum da zu machen, das war viel wichtiger. Diese kurze Live-Schaltung, das war eher eine Auseinandersetzung mit diesem Projekt, zum Teil auch kritisch eben. Und dadurch hat sich quasi ein Prozess entwickelt, ein sozialer Prozess über diese Medien nachzudenken. Und das war eigentlich viel mehr das, was quasi übrig geblieben ist von Van Gogh TV. Und was auch weiterhin quasi immer dann auch kritisch diskutiert wurde. Wie weit hat das geklappt, wie weit hat es nicht geklappt, was war daran richtungsweisend. Das ist bis heute quasi virulent geblieben. Das sind ja Vorschläge eher als endgültige Antworten. Es sind ja eher experimentelle Umgebung, wo man nicht immer, in jedem Fall darauf aus ist, dass es gelingt. Also wenn man versucht eben zu gucken, wie geht das, wenn man in die Richtung geht, was passiert da. Und es war schon als soziales, mediales Experiment, glaube ich, ein sehr richtungsweisendes Projekt. Und daraufhin hat die Documenta ja immer wieder angefangen, diese Wild Card Projekte an der Seite weiterzumachen. Es gab dann nach dem Van Gogh TV, glaube ich, immer, bei jeder Documenta, so ein Projekt, dem Hybrid Workspace mit Kunstwerke und so weiter, was wir da gemacht haben. Dann war es jetzt End, End, End und ich weiß nicht was, bei der letzten Documenta, habe ich nicht mehr so auf dem Blick gehabt.

Interviewer: Naja, es hatte vorher schon diese Beuys-Geschichten gegeben.

Pit Schultz: Ja. Gut.

Interviewer: Das war im Prinzip was Ähnliches, ja. Aber könntest du nochmal diesen Raum, den ihr da im (unv.) hattet, kannst du konkret da beschreiben, was gab es für eine Ausstattung, was ist euch von Van Gogh TV zur Verfügung gestellt worden? Gab es auch Eigenleistungen, selbst Eingebrachtes?

Pit Schultz: Also, ich glaube, das Einzige war dieser komische, war das von Sony oder irgend so ein ziemlich teures Gerät, was über ISDN Video transportieren konnte. Und ich habe den Namen nicht mehr im Kopf, irgendwas mit P, ein schwarzes Teil. Und das war quasi die Hauptinvestition, diese Schnittstelle. Und die hat dann eben bezeichnenderweise, weil die Verbindung im Podewl mit alter Telefonleitungen und so weiter, war wieder das klassische Problem, steht die Leitung, steht sie nicht. Da gab es also, wenn ich mich recht erinnere, ziemlich Probleme, dass überhaupt die Verbindung klappt mit dem Video. Und dann war, haben wir, glaube ich, Sachen mitgebracht einfach. Unsere Produktionsmittelrechner und so dahingestellt. Und, ich glaube, Thomas hat sogar irgendwie Sound, irgendwie Boxen und Mixer mitgebracht, wenn ich mich recht erinnere. Also es standen dann Sachen rum, an denen man bastelt. Wir hatten da ein kleines Medienlabor und das hat dann angefangen, dass die Leute selbst Sachen gemacht haben, die dann nicht unbedingt dafür benutzt wurden nachher gesendet zu werden. Das war also plötzlich so eine Art temporäres Medienlabor. Und wo man sich dann halt getroffen hat, über ganz andere Sachen geredet hat, als jetzt Van Gogh TV Projekte. Was aber auch okay ist, glaube ich. Und, also mit Antje habe ich dann über andere Sachen gesprochen, die wir dann anders wo gemacht haben. Das war also, glaube ich auch, dass was das Piazzetta ausgelöst hat, war nicht nur der Content für diesen Slot, sondern was dadurch sozusagen in Gang gesetzt wurde an Prozessen. Und deswegen kann ich mich an die Inhalte gar nicht so sehr erinnern. Ich glaube auch, das war gar nicht so erfolgreich unbedingt, aber das ist auch gar nicht so wichtig. Weil es auf einer sozialen und kulturellen Ebene extrem erfolgreich war. Also, dass was sozusagen an Prozessen damit getriggert wurde, bis hin zur Internationalen Stadt, oder was weiß ich, Kooperationen. Antya hat dann später mit Art+Com gearbeitet. Es war sozusagen so eine Art Initialzündung, ja.

Interviewer: Könnten wir sagen, dass 3Sat daran beteiligt ist, die Documenta daran beteiligt, die Telekom ist ein Sponsor und so weiter und sofort. Irgendwo ist da Geld, habt ihr von diesem Geld denn was abbekommen? Und wenn nicht, warum habt ihr euch da trotzdem darauf eingelassen?

Pit Schultz: Ja, also das ist jetzt im freien Radio auch so, dass man da kein Geld bekommt. Und dass da irgendwo man sich natürlich wünscht, dass es so einen Trickle-Down-Effekt gibt, dass jeder irgendwie was abbekommt, wäre natürlich schön. Aber ich weiß, dass Rudi Stoehrt selber, also da dann mit dem Frank Kunkel zusammen, die haben das zusammen gemacht organisatorisch. Da gab es irgendein Budget, aber es gab auch Unstimmigkeiten, was das Budget angeht. Und die wollten irgendwie mehr haben, um immer mehr zu machen. Und da gab es… also aber das habe ich selber nicht so quasi, ich sehe mich da selber nicht drin. Wir haben da sozusagen, wir waren eher freie Produzenten, die das gut fanden, dass sowas stattfindet. Und haben uns sozusagen ein bisschen inspirieren lassen. Und dachten eigentlich, es wäre gut, wenn man da mehr mitmacht. Und haben es ernst genommen, dass es sozusagen ein partizipatives Projekt ist, bin extra nach Kassel gefahren, um auch die Documenta mir anzuschauen. Habe da quasi eine Audienz bei Salvatore bekommen und war wirklich dann drei Stunden da. Habe mit Eike gesprochen, der dort dieses Fax-Interface gemacht hat. Bin rumgeführt worden durch die ganzen Backrooms, wie das aufgebaut ist, mit den Video Leuten gesprochen. Das war also total spannend mal quasi das Backend zu sehen, wie das überhaupt funktioniert. Wie da die Videokabel vernetzt sind. Und die haben sogar IRC sogar mit drin gehabt auch schon. Also es waren auch so erste Internet Elemente mit drin. Und dann, also wie das alleine verschaltet wurde, wo dann der, was weiß ich, der Textgenerator ist. Und wie dann überhaupt das automatisiert geswitcht wurde, oder halbautomatisiert, zum Teil saßen da ständig Leute, die sozusagen algorithmisch simuliert haben, was sie ja noch nicht konnten mit Rechnern. Und das war schon, also das war eindrucksvoll. Aber ich habe mich mit Salvatore über die Regiefragen eher, über die Content Fragen auseinandergesetzt. Und halt gehofft, dass er eben mehr künstlerischen Content reinlässt, weil es geht da ja eher um symbolisches Kapital. Nicht unbedingt, dass man bezahlt wird, sondern dass man da irgendwie tollen Content in das Projekt reinkriegt. Und da haben sie einfach kategorisch eben gesagt, nein, das ist kein Content Projekt. Das ist sozusagen, ja, was weiß ich, Brecht’sche Radiotheorie, der Kanal selber ist die Kunst, so ungefähr. Und das war, meiner Meinung nach, alleine schon quasi ein Rückschritt zu dem, was sie eben bei Pompino geschafft hatten, nämlich einen viel performativeren, künstlerischen Raum zu schaffen. Und der wurde quasi auf der Documenta interessanterweise technokratischer. Damit extrem effizient, also sehr eindrucksvoll für jemand der quasi… also als ein Programmierer, aber im künstlerischen Sinne ziemlich arm. Da gab es zum Beispiel diese eine Beichte, das war total lustig, jetzt dürft ihr beichten, wurde sozusagen so ein Trailer gestartet, mit so einem Choralgesang. Und was haben die Leute gemacht, hallo, hallo. Keiner hat gebeichtet Also es war, und davon gab es ganz viel Sachen, die wurden angetrailert mit irgendeiner Spielvorgabe. Aber die Leute haben sich darangehalten, weil es gab keine Agency dazwischen, keine Moderation, keine Figuren, mit denen man sich identifizieren konnte, um dann zu sagen, ja, da gehe ich jetzt mit, mit denen mache ich… also Spielfiguren gab es nicht. Es war sozusagen menschenleer, ja. Und diese Technokratie hat sich nachher dann nochmal weiter transportiert in das… bei dem, ich glaube, wie heißt das Montreal, wo war das da, das Olympia Projekt.

Interviewer: Die Olympiade in Los Angeles?

Pit Schultz: Ja. Nein, nein, war doch in Kanada, dachte ich. (Es handelt sich um die Olympiade in Atlanta – Anm.) Jedenfalls haben sie da ein VRML-Projekt gemacht, was, glaube ich, nie richtig stattgefunden hat. Was dann die totale Technifizierung das Dings immer war und was so hochtechnifiziert war, dass es sozusagen zu ambitioniert war irgendwie auf Userseite und Kommunikation, das war also ein ziemliches Debakel, soweit ich weiß. Aber diese Tendenz, sich zu sehr zu technifizieren, war für mich eine wichtige Erfahrung, um dann später zum Beispiel sowas wie nettime haben, extrem schlank zu machen, was die Technik angeht. Also nicht zu sagen, jetzt programmieren wir erstmal. Und was dann die Internationale Stadt gemacht hat, das war ja eher so eine Art Pre-Facebook-Social-Network, was auch toll war, aber das war sehr stark am Engineering orientiert.

Interviewer: Stopp, leider müssen wir jetzt Schluss machen.