Einsatz von Slow-Scan-TV und ISDN-Bildtelefonen

Christian Wolff mit ISDN-Bildtelefon im Studio in Kassel (Foto: Ali Altschaffel)

Im Hintergrund drei Panasonic-Bildtelefone im Studio in Kassel, im Vordergrund Salvatore Vanasco (Foto: Ali Altschaffel)

Benjamin Heidersberger (Van Gogh TV) mit einem Panasonic-Bildtelefon (Foto: Tilman Baumgärtel)

Die meisten Piazzettas sendeten ihr Programm per Bildtelefon nach Kassel. So umging man die kostspielige Satellitenübertragung, die das traditionelle Fernsehen für internationale Liveschaltungen verwendete – ein cleverer Hack des Mediensystems, der auch dadurch ermöglicht wurde, dass das zu dieser Zeit neu aufgekommene ISDN-Verfahren es erlaubte, große digitale Datenmengen zu übertragen. Piazzettas, die keinen Zugang zu ISDN-Anschlüssen hatten, nutzen Bildtelefone, die mit dem Slow-Scan-TV-Verfahren Einzelbilder über analoge Telefonleitungen senden konnten.

Für die Slow-Scan-Übertragung benutze man bei Van Gogh TV ein neu auf den Markt gekommenes Gerät. Das Panasonic WG-R2 war in Europa noch gar nicht erhältlich und scheint auch nur kurz auf dem Markt gewesen zu sein. Kathy Rae Huffman brachte etwa ein Dutzend Geräte aus den USA nach Kassel mit, die an die verschiedenen Piazzettas ausgeliehen wurden. Dieser Verleih wurde mit Leihscheinen quittiert; nach Ende des Projekts mussten die Geräte zurückgegeben werden. Laut einer Geräteliste für die Versicherung kosteten die Geräte 550 D-Mark.

Wer die Geräte an ein analoges Telefonnetz anschloss, konnte Einzelbilder übertragen. Die Technologie glich bis auf einige technische Details dem Slow-Scan-TV-Verfahren. Slow Scan TV (SSTV), im Deutschen auch Schmalband-Fernsehen genannt, kann in einer Minute mehrere Schwarz-Weiß-Bilder übertragen. Dabei werden die Aufnahmen ähnlich wie beim Fax-Verfahren in Frequenzimpulse dekodiert, die vom empfangenden Gerät wieder als Bild enkodiert wurden.

Das Panasonic WG-R2-Bildtelefon kam zum Bespiel bei den Sendungen der Piazzetta Riga, der Piazzetta Prag oder der Piazetta Ljubliana zum Einsatz. Der Videoclip zeigt einen Ausschnitt aus einer Sendung von der Piazzetta Riga. Die S/W-Bilder werden per Slow-Scan-Verfahren übertragen, der Ton kommt über ein mobiles Satellitentelefon. Rechts unten im Bild sieht man den Moderator Indulis Bilzēns, einen gebürtigen Letten, der in Kassel vor der Kamera sitzt und für das deutsche Publikum übersetzt.

Slow-Scan-TV-Signale können auch per Kurzwelle verbreitet werden und wurden ursprünglich bei den Weltraummissionen in den 60er und 70er Jahren benutzt, um Bilder aus dem All und von der Mondoberfläche zur Erde zu senden. Schon Ende der 70er Jahre experimentierten Künstler wie Bill Bartlett, Sharon Grace, Carl Loeffler, Liza Bear, Robin Winters. Paul Wong, Robert Adrian X und andere mit dem Medium. Sie nutzen es bei frühen, künstlerischen Telekommunikationsprojekten wie „The World in 24 hours“ (1982 bei der ars electromica), der Projektreihe Wiencouver (1979 – 1983) oder „Hands across the border“. Für die Künstler war das Verfahren ein Ersatz für den Zugang zu professionellen Videoübertragungstechnologien; seine Ästhetik, besonders der langsame, zeilenweise Aufbau der einzelnen Bilder, wurde in ihren künstlerischen Experimenten mit dem Medium gerne thematisiert.

Mit anderen Bildtelefonen aus dieser Zeit konnten man aber auch schon bewegte Bilder „streamen“, wenn man sie an das ISDN-Netz anschloss. So ging man zum Beispiel bei der Piazzetta Hamburg oder der Piazzetta Göttingen vor. Die Piazzetta Köln oder die Piazzetta Zürich ließen sich sogar eigens einen ISDN-Anschluss legen, um die Technologie nutzen zu können.

Slow-Scan-TV bei der Piazzetta Riga

Panasonic WG-R2

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