Interview mit Benjamin Heidersberger, 14.04.2018
Siehe auch: Die Technik
Benjamin Heidersberger war einer der Gründer von Ponton und Van Gogh TV und ist heute freier Künstler, Autor und Kurator.
Interviewer: Also lass uns doch mal in der Zeit zurückreisen nach 1992. Wir sind jetzt in der Mitte von diesen hundert Tagen. Das ganze Projekt hat sich so ein bisschen eingespielt. Kannst du einfach mal so einen typischen Tag beschreiben? Oder gab es überhaupt typische Tage oder war jeder anders?
Benjamin Heidersberger: Also es gab natürlich so einen Rhythmus. Also wir hatten ja diese hundert Tage von 3sat als verschiedene Zeitfenster zugewiesen gekriegt und die waren manchmal vormittags, manchmal aber auch zu anderen Uhrzeiten und parallel dazu gab es ja die Ausstrahlung auf Olympus, die über diesen eigenen Uplink der Telekom liefen, das heißt ich glaube, dass wir im Schnitt sieben Stunden am Tag gesendet haben, was für ein Live-Fernsehen, also gut, es ist ja jetzt nicht so ein … Da wird ja nicht was abgespult, sondern da generiert sich ja was selber, aber trotzdem ist natürlich das schon eine erhebliche Belastung irgendwie sieben Stunden am Tag live auf Sendung zu sein.
Interviewer: Und wie sah so ein Tag denn aus, der sich um diese Termine…
Benjamin Heidersberger: Na ja, wir hatten halt Teams eingeteilt, also soweit ich mich erinnere, Teams eingeteilt, die dann sozusagen die … Also die Sendung als solche lief erstmal automatisch. Also wir hatten damals ja schon ein System entwickelt. Gerade Christian Wolff hatte so ein System, wo wir eigentlich alle Komponenten der Sendung elektronisch hochfuhren. Es gab so ein Netzwerk, wo das Schedule der Sendung an die Geräte verteilt wurden. Die Geräte wussten dann, was sie machen sollten, und dann ging das mehr oder weniger automatisch so. Trotzdem, also es gab halt Teams, man fand sich halt eine Zeit lang vorher ein, zum Teil auch relativ knapp vorher. Dann kam halt die Standleitung, wir hatten eine Standleitung, glaube ich, zum ZDF nach Mainz. Dann redet man mit denen so ein bisschen: Hallo, da seid ihr wieder. Manchmal war es, glaube ich, auch bei Olympus so, weil der Satellit musste halt immer freigeschaltet werden, so dass man da halt so Teams auf beiden Seiten hatte, die halt die Sendeabwicklung und die Sendekontrolle gemacht haben. Und dann ging es halt los. Wir haben natürlich, dadurch dass viel auch nicht perfekt war, gab es natürlich immer wieder Ausfälle, Schwarzbilder minutenlang, die die Herren vom ZDF-Sender sehr nervös gemacht haben so, weil plötzlich kein Signal mehr kam oder nichts. Oder Computerabstürze live in Sendung mit dem Macintosh-Logo dann, weil es lief ja alles, glaube ich, die Sendedings, die Senderechner waren Macintosh IIfx und dann ging es halt so darum, sich da durchzuhangeln bis es fertig war.
Interviewer: Karel hat gesagt, es waren in Kassel fast neunzig Leute vor Ort, die zum Teil so ein Haus…
Benjamin Heidersberger: Genau. Wir hatten so ein Haus vor…
Interviewer: …in Kassel, zum Teil in Wohnungen in der Innenstadt, man hat sich schon ziemlich auf der Pelle gehangen… zu was für einer Arbeitsatmosphäre hat das geführt?
Benjamin Heidersberger: Also ich fand das jetzt nicht so dicht. Wir haben zum Teil dieses Haus gemietet gehabt da irgendwo in so einem Vorort von Kassel. Es war schon eher eine Bruchbude, sage ich mal, aber die war nicht unschön gelegen mitten im Wald, und einige hatten halt Wohnungen in Kassel. Wie war die Stimmung? Also ich glaube, es gibt so Momente im Leben, da weiß man, dass man irgendwie auf der Goldader sitzt und da entwickelt sich auch so eine eigene Sicherheit draus im Umgang miteinander und im Umgang mit anderen und das empfand ich so, war das allgemeine Gefühl. Also wir machen jetzt genau das Richtige zur richtigen Zeit und das ist einfach so. Das war das vorherrschende Gefühl. Und dann ist natürlich auch, wenn man so hundert Tage live auf Sendung ist, ist man ja eigentlich eine Medienpersönlichkeit, eigentlich wie so ein TV-Moderator eigentlich, weil wir zum Teil natürlich auch in der Sendung auftauchten. Und da gibt es natürlich dann diese ganze Spannung von Publikum und denjenigen, der auf dem Bildschirm zu sehen ist. Also ob man jetzt vielleicht schlecht geschlafen hat, ob man sich mal wieder rasieren sollte? Wie gesagt, das ist, glaube ich, dieses Gefühl so eine Mission zu haben und die abläuft, das war eigentlich das vorherrschende Gefühl, fand ich.
Interviewer: Karel hat gesagt, dass alles so Stress gewesen ist, (unv.) Gedanken gemacht hat, und deswegen euch das erst nachher so klar geworden ist.
Benjamin Heidersberger: Ich weiß es nicht, vielleicht verklärt man Dinge auch. Natürlich war es stressig, wie gesagt wir haben ja, anders als in einer normalen „Live-Fernsehsendung“ waren wir ja wirklich live auf Sendung, das heißt wenn jetzt einer „Ficken Heil Hitler“ schreit, dann ist das eben so. Ne? Und dann ist das auch auf Sendung. Dann hast du keinen Loop, dann hast du keine Zeit, das war schon auch immer eine sehr intensive Beobachtung von dem, was da passierte. Die Identifizierung der Telefonleitung ist immer wieder ein Problem gewesen. Also das heißt, wir hatten, glaube ich, zwanzig Telefonleitungen, die da ankamen. Und wenn jetzt einer angerufen hat, dann galt es auch herauszufinden, auf welcher Nummer der jetzt gerade ist, damit man das schnell dann auch beenden kann oder modifizieren kann oder darauf Einfluss nehmen kann so. Das ist schon eine Anspannung, natürlich, ob die Technik läuft. Und wie gesagt, nach einiger Zeit fängt man dann halt wirklich an, auf dem Zahnfleisch zu gehen, weil es eben so eine Daueranstrengung ist.
Interviewer: Was war denn da konkret deine Aufgabe, deine Rolle oder dein Titel?
Benjamin Heidersberger: Titel? Also ich sage mal so, wir sagen das ja so, dass es sozusagen so ein Kernteam gab, was die Konzeption gemacht hat, das sind halt Karel, Mike, Salvatore und ich gewesen. Meine Aufgabe war, glaube ich, so der Chief of Technology. Ich möchte jetzt meine Rolle… also ich bin jetzt zu der Zeit gerade, würde ich sagen, auch nicht so sehr künstlerisch unterwegs gewesen. Also ich glaube, dieser Grundgedanke der Interaktivität kommt von mir. Also dass man sozusagen irgendwas ausstrahlt, was beeinflussbar ist durch das Telefon, und das habe ich halt realisiert letzten Endes. Ja, und dann habe ich naturgemäß immer so den besten Draht zu den Technikern so, weil ich deren Sprache kenne und die meine Sprache kennen, und wir so ein bisschen wissen, was sind die Knackpunkte. Also wenn das Signal jetzt schlecht ist oder wenn die Farbsättigung nicht da ist oder der Farbträger nicht synchronisiert ist oder so, das sind halt alles Dinge, da weiß ich, was das bedeutet und dann fühlt sich die Gegenseite auch ein bisschen sicherer so.
Interviewer: War das so ein, wie soll ich sagen, kollegiales Miteinander oder wurde da rumgebrüllt? Gab es Hierarchien?
Benjamin Heidersberger: Sicher mal du hast ja mit dem eigenen sozialen Umgang von Van Gogh TV schon deine eigenen Erfahrungen gemacht. Ich glaube schon, dass es zum Teil relativ heftig war immer. Also wir hatten ja so … Also wir vier saßen, also Mike war ja viel auch unterwegs im Osten, aber wir drei hatten unten in so zwei zusammengebauten Containern, glaube ich, oder dreien vielleicht, unser Büro. Da saß sozusagen die Elefantenrunde, wie das immer hieß, und so ein offenes Büro, wo halt irgendwie, von wo das alles mehr oder weniger gesteuert wurde. Wobei es lief eigentlich auch sehr viel von selber. Also es war ja so ein Work in Progress und von daher, ist es jetzt auch nicht so, dass da irgendwas abgespult ist, was man vorbereitet hatte, sondern da sind am laufenden Bild gelötet worden, so, wenn es nicht ging, das ist jetzt auch kein Problem.
Interviewer: Die Frage war jetzt so nach dem Miteinander. Ich spreche nicht das Konkrete an, dieses heftige…
Benjamin Heidersberger: Ja, das Miteinander. Also ich sage mal, das kenne ich, viele Sachen was soziale Verbindungen angeht, kenne ich eigentlich immer nur aus dem Nachhinein, weil ich das einfach nicht mitkriege aus irgendeinem Grund. Also da gab es natürlich immer irgendwelche Pärchen, die sich gebildet haben, irgendwelche zwischenmenschlichen Verbindungen. Dann unter uns sicher, also jetzt unter dem Kernteam sicherlich auch immer wieder sehr heftige Schreiereien, würde ich sagen, obwohl ich mich jetzt nicht konkret an irgendwas erinnern kann, ehrlich gesagt so. Ich glaube, dass auch sehr viel so, was man heute als flache Hierarchie bezeichnet, damals existiert hat, so dass eigentlich jeder auch so ein bisschen mehr wusste, was er eigentlich machen muss, als dass das jetzt angeleitet wurde so.
Interviewer: Gehen wir doch mal die verschiedenen Sendungen durch. Ach so, ein Thema, das da noch aufkam, war, neunzig Leute wie wurden die eigentlich verpflegt? Wusste Karel nicht, scheint auch nicht so Thema gewesen zu sein.
Benjamin Heidersberger: Ja, gute Frage. Also ich weiß, wir hatten so ein kleines Café da eingerichtet, und Katja hieß die aus Tschechien sagte irgendwie, dass sie gekocht hätte. Also ich kann mich da jetzt nicht daran erinnern, aber ich glaube, dass es so eine Mischung war aus selbstgekocht und dann irgendwie verpflegt so.
Interviewer: Ja, ich habe hier diese Liste der verschiedenen Formaten, die würde ich jetzt einfach so durchgehen und du sagst mir, was du da so in Erinnerung hast.
Also in alphabetischer Reihenfolge kommt als erstes: Das Atelier, zwei Telefonbenutzer malten zusammen ein Bild.
Benjamin Heidersberger: Da haben wir auf der einen Seite natürlich diese starke Anlehnung an die bildende Kunst erstmal, ganz klar. Wir haben natürlich die Limitierung gehabt auf zwei Benutzer, die über die Telefontastatur verschiedene Tools auswählen konnten, wo sie was zusammen gemalt haben. Das wurde auch akustisch untermalt mit bestimmten Geräuschen. Wenn halt der Pinsel wechselte oder so und ich sage mal, ich glaube jetzt nicht, dass da tolle Sachen entstanden sind also auf dem Bildschirm, aber eben dieses Gefühl sozusagen, das was jetzt Millionen Menschen sehen könnten, wird da live von mir zu Hause generiert, das ist schon auch eine wichtige Qualität vom Atelier gewesen. Ich glaube, die konnten auch zusammen reden während der Zeit, weil ja diese Touch-Töne vom Telefon über dieselbe Leitung übertragen werden. Manche haben halt da mehr oder weniger sinnige Sachen gemalt, auch so Buchstabenfolgen, soweit das irgendwie ging. Aber wie gesagt, ich glaube nicht, dass das vom Inhalt so interessant war, aber rein theoretisch ist sozusagen ja ein wichtiges Experiment, weil es telekommunikativ auf derselben Leinwand was zu machen, zu malen, schon auch wichtig war so.
Interviewer: Aber gegenüber von Leuten aus der bildenden Kunst, die konnten dann natürlich gleich sagen, das ist ja Pipifax, oder ein paar Punkte, ein paar Striche, das entspricht nicht unserer ästhetischen Anforderung, Vorstellungen, anachronistisch?
Benjamin Heidersberger: Also ich bin jetzt gerade, wo ich ja wieder Kurator bin, mal wieder mit solchen Fragen natürlich sehr beschäftigt: Was ist Kunst? (lacht) Ich glaube, das wichtige Werke der Kunst tatsächlich nicht mehr sind als das, was da entstanden ist. Von daher da fällt es mir schwer, in den Chor derer einzustimmen, dass das jetzt irgendwelchen Ansprüchen nicht genügen soll.
Interviewer: Beichtstuhl, ein meditativer Ort zum Beichten.
Benjamin Heidersberger: Wir haben ja sehr viel versucht. Also es ist eigentlich klar, dass der Bildschirm und die technischen Möglichkeiten für die Leute … Also zahlenmäßig gibt es ja so ein Ungleichgewicht von dem, was auf diesem kleinen Bildschirm real gleichzeitig passieren kann und zwischen dem, wieviel Leute was tun können und wollen. Also du hast ja selber erzählt, du hast auch versucht anzurufen, bist auch nicht durchgekommen. Beim Beichtstuhl war das jetzt insofern anders, als eine Leitung für eine Person frei war, da ging es auch nicht um eine Interaktion. Sondern da war sozusagen dieser virtuelle Raum in diesem Kreislauf zwischen Sender und Empfänger geöffnet, und die Leute waren aufgefordert, ihre Sünden zu beichten. Das hatte auch so eine gewisse Ästhetik von so einer Kirche, also jetzt vom Bildschirm her. Aber das war sozusagen die, ich glaube, der Gedanke war so, dass man eben diesen öffentlichen Raum hat, um irgendwie so Confessions zu machen. Das ist natürlich immer wieder das Problem gewesen, dass die Ausgestaltung, also die technische und inhaltliche Ausgestaltung von dem Raum, in den der Zuhörer und dann Mitspieler sozusagen reinkam, oft das nicht genügend bestimmt hat, was da passierte. Also zum Beispiel in anderen Modulen ist halt dann das Quatschen sozusagen immer da, während hier halt, also von Leuten miteinander, während hier halt eben diese einzige Person irgendwas sagen kann.
Interviewer: So, es lädt ja auch ein bisschen zu Missbrauch ein. Kannst du dich da an Beispiele erinnern?
Benjamin Heidersberger: Also da wird natürlich jetzt tatsächlich nach 25 Jahren wird interessant, diese Tapes alle mal zu sehen. Ich selber kann mich nicht an schlimme Missbräuche erinnern. Natürlich lädt so ein offener Raum, der letzten Endes realistisch nicht zu kontrollieren ist, immer zu Missbrauch ein, und das war sicherlich immer grenzwertig oder oft grenzwertig. Aber ich habe jetzt nicht das Gefühl gehabt, dass das über die Strenge ging so.
Interviewer: Karel hat auch gesagt, dass es eigentlich bei anderen Projekten der Missbrauch häufiger war, dass es hier durchaus so eine gewissen Grundanstand gab. Würdest du das unterstreichen oder gab es da auch die Trolle, die dann die Gelegenheit genutzt haben, um sich auszutoben?
Benjamin Heidersberger: Es gab ja immer wieder so sicherlich sowas wie Trolle oder wie Leute, die vielleicht auch durch den emotionalen Druck, drei Wochen lang, die Nummer gewählt zu haben und dann endlich online zu sein, dann irgendwie durchgedreht sind. Ich glaube, dass Trolle fast schon eher ein Phänomen einer entwickelteren Kommunikationskultur ist. Also, ich würde sagen, dass wir auf der einen Seite halt dieses Neuartige hatten, dass ich irgendwo anrufen kann und live auf Sendung bin, hat die Leute schon, glaube ich, auch sehr beeindruckt und irgendeine Art von Anstand auch generiert, den ich oft eben heute auch vermisse, wenn ich Spiegel Online verfolge, was Leute zu normalen Themen des Lebens so sagen. Und auf der anderen Seite es gab auch sehr schöne Kommunikationsphasen in Piazza virtuale, es waren aber oft auch Nachtstunden, wo so Leute dann über Satellit oder zu anderen Uhrzeiten letzen Endes miteinander geredet haben. Also ich glaube, dass… Ich fand das eigentlich erstaunlich zivilisiert, was da ablief.
Interviewer: Da denken Leute, die um drei Uhr nachts beim Fernsehen anrufen, sind vielleicht auch in Zuständen, alkoholisiert, auf Droge, schlaflos, dass sie da…
Benjamin Heidersberger: Klar, könnte man vermuten. Also ich kann mich tatsächlich jetzt nicht so dran erinnern. Klar, dass man ein Bier oder zwei getrunken hat und mal ein bisschen lustiger ist, darüber reden wir jetzt nicht, sondern ich hatte nicht den Eindruck, dass da die Büchse der Pandora aufgemacht wurde.
Interviewer: Coffeehouse, die angesagte Location auf der Piazza virtuale. Klönen, diskutieren, Fun haben, mit je vier Telefonen und Modem-Leitung, einer Fax-Leitung und den Entry Points. Was ist dazu zu sagen?
Benjamin Heidersberger: Ja, sozusagen Coffeehouse ist eigentlich so Piazza virtuale in Verbindung zu Coffeehouse ist eigentlich relativ logisch, es war so das generische Kommunikations-Interface, was eine eigentlich relativ geringe, zumindest anfänglich geringe Ausrichtung hatte. Ganz spannend sind halt diese verschiedenen Medien, die dadrin gelaufen sind, also zum Beispiel Kommunikation zwischen Modem-Benutzern und Voicern oder der Entry Point, wo man sich halt in so einem Fenster einfach da einschalten konnte. Das sind alles Dinge, die in Coffeehouse gelaufen sind. Wir haben dann später auch versucht, das in verschiedene Richtungen auszurichten. Also es gab ein Gay Coffeehouse, es gab sicherlich auch ein lesbisches Coffeehouse, es gab verschiedene andere Versuche, das in irgendeiner Weise thematisch so ein bisschen aufzugliedern oder in eine Richtung zu bringen.
Interviewer: Hier steht auf FHB und Olympus gab es zusätzlich noch das Womens und das Gay Coffeehouse.
Benjamin Heidersberger: Dann hieß es Womens und nicht Lesbian, so. Da zum Beispiel ist das, was ich vorhin gesagt habe, eigentlich von Bedeutung, also gerade das Womens Coffeehouse ist dann natürlich, da haben natürlich auch Männer anrufen können, weil wir ja nicht mit den technischen Möglichkeiten damals vorhersehen konnte, ob jetzt jemand Mann oder Frau ist, und da hat es auch lustige Formen der Sprachverstellung gegeben und Leute haben versucht, sich da sozusagen reinzuschleichen, aber das waren alles sehr moderate Versuche, fand ich.
Interviewer: Aber diese Identitätsspiele, die auch so im Internet so eine große Rolle gespielt haben und zum Teil noch spielen, das hat da schon stattgefunden?
Benjamin Heidersberger: Also man musste sich sicherlich, glaube ich, nicht mit einem klaren Namen anmelden auf dem Modem, und sicherlich haben die Leute da Phantasienamen benutzt. Ich glaube, dass wenn der Mensch sozusagen über seine Stimme identifizierbar ist, dann hat das nochmal eine sehr kontrollierende Wirkung auf den Menschen so.
Interviewer: Okay. Hier gibt es jetzt, kommen wir doch nochmal auf die Moderation und vor allen Dingen auch auf diesen roten Knopf zurück. Das war so einer, dass der höchstwahrscheinlich nicht zur Anwendung gekommen ist. Karel hat behauptet, das hätte es jetzt gar nicht gegeben oder so, war sich gar nicht sicher, ob dieser Notknopf tatsächlich eine Wirkung gehabt hat und dafür hätte es aber diese Möglichkeit unter den Usern gegeben zu zensurieren. Kannst du da ein bisschen Licht ins Dunkel bringen?
Benjamin Heidersberger: Das ist jetzt spannend. Also ich sage mal so, dieser rote Knopf als roter Knopf, weiß ich nicht, ob der jemals existiert hat. Was ich weiß, ist, dass Katrin…
Interviewer: Ich sehe gerade Katrin Brinkmann, da vor nem roten Knopf…
Benjamin Heidersberger: Roten Knopf?
Interviewer: Gut. Würde ich nicht beschwören wollen, aber…
Benjamin Heidersberger: Also Katrin Brinkmann war ja dann sozusagen nach dem Vorfall mit Helmut Kohl und Stolte war sozusagen die Zensorin oder sagen wir mal…
Interviewer: Ich muss dich da unterbrechen, du musst jetzt erzählen, denn das kann man nicht voraussetzen natürlich.
Benjamin Heidersberger: Also es war halt so, zumindest meiner Erinnerung nach, war jetzt die Zeit von Helmut Kohl und natürlich werden ja auch Intendantenstellen in Deutschland nach politischen Preferenzen und Parteibüchern vergeben. Und es war wohl so, Dr. Walter Konrad, der damalige Intendant von 3sat war sicherlich sehr konservativ, aber erstaunlich liberal letzten Endes vor diesem konservativen Hintergrund und dann passierte halt Folgendes: Es rief jemand an. Die Vermutung ist, dass es Christoph Schlingensief war und rief ins Telefon: Tötet Helmut Kohl. Und dann eskalierte das ziemlich. Und nach meinen Informationen musste dann Stolte damals im Bundeskanzleramt antreten. [Im Laufe der Aufarbeitung wurde klar, dass die Verunglimpfung von Helmut Kohl beim Projekt „Hotel Pompino“ (1990) ablief und deshalb ein Zensor bei Folgeprojekt „Piazza virtuale“ zum Einsatz kam.]
Interviewer: Stolte? Wer ist das?
Benjamin Heidersberger: Stolte, der Intendant vom ZDF, der damalige Intendant vom ZDF, Stolte, musste antreten im Bundeskanzleramt und hat dann, also ich sage mal, Van Gogh TV war ja schon ein Kunstfernsehen auf einer Kunstveranstaltung, das heißt einen gewissen Freiraum hat man uns sicherlich zugestanden, aber es war schon so, dass Stolte ja in irgendeiner Weise reagieren musste und hat dann eben eine damals recht junge Mitarbeiterin abgestellt, Katrin Brinkmann, die bei uns direkt an der Sendezentrale saß, und dann mit den Leuten, die halt die Identifizierung der Benutzer gemacht haben, gesagt haben: Jetzt reicht es. Und dann wurden diese Leute halt einfach entfernt. Um das transparent zu machen, haben wir dann halt so einen Einblender gehabt im Fernsehen, da stand darauf: „Censored“. Oder was auch immer, und ich glaube, dass die Bestrafung eigentlich witzigerweise für die Leute ganz schlimm war, weil es für sie ja sehr aufwendig war, in diese Sendung zu kommen. Also vielleicht war das tatsächlich auch ein sehr moderierender Faktor, dass sozusagen der Aufwand in diese Sendung zu kommen, für die Leute sehr groß war, und deswegen haben sie sich wahrscheinlich auch vernünftig benommen, so.
Interviewer: Interact with Piazza People, das Forum für Partys und Veranstaltungen auf der Piazza in Kassel mit dem Flair einer italienischen Nacht.
Benjamin Heidersberger: Es gab sozusagen die virtuelle Piazza, aber es gab auch diese reale Piazza. Zwischen diesen Containern gab es so einen kleinen Platz. Und wir haben dann ab und zu so Partys,Veranstaltungen gemacht, wo die Community aus dem Netz mit den Leuten vor Ort kommunizieren konnte. Und da gab es verschiedene Sachen. Auf dem Videoband sieht man halt, glaube ich, so einen Pizzabäcker, der da irgendwas macht und singt mit Leuten, so.
Interviewer: Und Karel hat gesagt, da haben sich auch so richtig gehende Fan-Clubs gebildet, die das zu Hause zusammen geguckt haben in der Kneipe und dann nach Kassel gekommen sind auf Besuch.
Benjamin Heidersberger: Ja, also das ist vielleicht auch nochmal wirklich spannend, ist ja das Mengengerüst dieser ganzen Sendung. Also wir hatten ja zum Teil über 100.000 Anwahlversuche pro Stunde in Deutschland. Wir hatten zum Teil, gerade jetzt wenn im normalen Fernsehen nicht mehr so viel lief, erklägliche Marktanteile von zum Teil über zehn Prozent. Und es ist völlig normal, heute, glaube ich, gar nicht mehr, weil für mich ist Fernsehen eigentlich nicht mehr präsent seit der Zeit. Aber ich glaube, dass damals sozusagen diese mediale Erhöhung, die durch das Fernsehen stattfindet, dazu geführt hat, dass Leute halt irgendeinen Bezug dazu gewinnen wollen so. Es gab anscheinend viele Fan-Clubs oder Leute, die sich zu Hause auch ihre eigene Workstation quasi zusammengebaut haben, weil du ja irgendwie Telefon und Bildschirm, also Fernsehbildschirm, Telefon und Computerbildschirm in irgendeiner Weise an einen Platz zusammenbringen musst, also da muss man ein bisschen was für tun, also Kabel ziehen und so. Und ich glaube, dass dadurch viele Leute auch zusammengesessen haben und das gemacht haben und damit interagiert haben.
Interviewer: Aber kannst du dich selbst an solche Besuche erinnern?
Benjamin Heidersberger: Vage, vage, also ich muss auch zugeben, dass ich sozusagen als Techniker oder als derjenige, der viel mit Technik zu tun hatte, also ich bin persönlich weniger an diesen Interaktionen interessiert und andere in dem Team sind da, glaube ich, wesentlich mehr interessiert gewesen. So von daher haben die, glaube ich, mehr das mitgekriegt als ich.
Interviewer: Aber Karel hat gesagt, dass eigentlich auch die Container, wenn nicht gerade Sendung war, eigentlich alle offen gestanden haben, dass da auch die documenta-Besucher reinmarschieren konnten.
Benjamin Heidersberger: Wir hatten oft Besuchergruppen tatsächlich, also ich weiß, dass viele Offene Kanale uns damals besucht haben. Wenn jetzt da so jemand … Gut, ich meine, da liegen ja Sachen rum, die zum Teil auch Geld kosten oder deren Abhandenkommen ja irgendwie auch ein Nachteil für die Sendung bedeutet hätte. Ich denke schon, dass wir ein bisschen aufgepasst haben, aber es war relativ offen. Also die Offenheit in der Sendung, die war halt auch real in Kassel da.
Interviewer: Interactive Classic Orchestra, vier klassische Instrumente, die über die Telefontastatur gespielt werden konnten. Hast du da Erinnerungen dran?
Benjamin Heidersberger: Also wenn man sozusagen… es gibt ja verschiedene durch die Telefontastatur und Touch-Tone gesteuerte Dinge, die wir da realisiert haben, eine von denen war halt die Steuerung von Synthesizern im Studio. Das heißt, wenn ich jetzt eine bestimmte Zahl, also ich kann ein Instrument auswählen, wenn ich eine bestimmte Zahl drücke, kriege ich halt eine bestimmte Tonhöhe dieses Instruments auf Sendung und das war sicherlich auch öfter eher eine Kakophonie als jetzt sinnmachende Musik, aber es ist genauso wie bei dem Interactive Atelier, also tatsächlich passiert da im virtuellen Raum ein Zusammenspiel von Menschen über Musik.
Interviewer: Market Place, kaufen, verkaufen, tauschen, handeln. Klingt wie Ebay.
Benjamin Heidersberger: Klingt wie Ebay, und ich glaube, dass wir damals … Also Ebay gab es natürlich noch nicht, logischerweise. Und die Idee war eher sozusagen, so ein Thema wie so ein Kleinanzeigenmarkt oder sowas ins Internet zu heben. Ich finde das auch im Nachhinein sehr interessant, dass wir solche Gedanken schon hatten sozusagen über so ein öffentliches Medium eben, auch solche, ich will jetzt gar nicht sagen, kommerziellen, weil es doch eher um, ja, aber doch kommerziellen Interessen zu vertreten und denen eine Plattform zu bieten.
Interviewer: Kannst du dich da an Missbrauchsversuche erinnern oder auch an besonders interessante Transaktion? Was ist da so verkauft worden?
Benjamin Heidersberger: Also ich glaube, Market Place war eine von den Modulen, wo wir besondere Probleme hatten inhaltlicher Ausrichtung auf das Thema zu erzielen. Es gibt da in dem Videoband auch die eine Stelle, glaube ich, wo Dieter Selin sagt: Dass es hier um Market Place geht und nicht um das allgemeine Gequatsche so. Ich kann mich selber nicht erinnern, was da verkauft wurde, und ob das irgendwie besonders spektakulär war.
Interviewer: Media Landscape, die Diskussion von zwei Telefon- und zwei Modembenutzern wurden von einer Datenbank begleitet, wenn das Stichwort fiel, wurde das entsprechende Multimedia-Dokument zugespielt.
Benjamin Heidersberger: Media Landscape ist, glaube ich, was Salvatore besonders zu verantworten hat. Das ist eben, die Kommunikation von Benutzern wird durch automatisch eingespielte Medienfetzen stimuliert, also es gab tatsächlich erstaunlicherweise damals schon eine digitale Videodatenbank, wo so Filmschnitzel drin waren. Es gab Töne, Bilder und da wir damals noch nicht so KI-Sätze hatten wie heute, wurden, glaube ich, hauptsächlich die Modem-Benutzer analysiert, also nach den Buchstaben, was sie da getippt haben und dementsprechend wurden dann halt Medienfragmente eingespielt, die zum Teil auch dann wiederum die Kommunikation beeinflusst haben.
Interviewer: War das ästhetisch überzeugend aus deiner Sicht?
Benjamin Heidersberger: Das ist ein spannendes Phänomen. Also man könnte jetzt von der großen Freiheit reden, die der Benutzer letzten Endes immer hatte. Ich selber hatte immer so ein bisschen das Gefühl, dass dieser Mantel sozusagen, also die Übersetzung der Interaktion in bestimmte Themen schon auch eine sehr große Einschränkung bedeutet und da besonders da hatte ich das Gefühl oft.
Interviewer: Mobby Dicks Eye, ISDN-Verbindung zu Forschungsstationen und Forschungsschiffen in aller Welt.
Benjamin Heidersberger: Bei dem Modul ging es hauptsächlich um, wie will man es heute sagen? So eine Science-Sendung. Die zwei großen Worte sind ja „live“ und „interaktiv“ in diesem ganzen Konzept, und das macht halt auch den Unterschied zu einem Dokumentarfilm aus, der vielleicht möglicherweise dichter ist, aber eben nicht diese Eins-zu-eins-Kommunikation ermöglicht. Und hier hatten wir tatsächlich zum Beispiel eine Forschungsplattform in der Nordsee, die wir mit Verbindung versehen haben, wo dann ein Wissenschaftler über seine Forschung auf dieser Plattform redet.
Interviewer: Heute würde man ja sagen, das bringt so die Forschung ins Wohnzimmer von anderen Leuten. Hat das funktioniert aus deiner Sicht?
Benjamin Heidersberger: Das hat auch funktioniert. Ja.
Interviewer: Wissenschaftler sind ja nicht notwendigerweise Medienstars oder Medien…
Benjamin Heidersberger: Das ist ja sicherlich, das ist ein Phänomen, das hat man dann auch… obwohl so Carl Sagan oder solche Leute, die waren ja schon auch Medienstars und zugleich Wissenschaftler, das hat es sicherlich immer gegeben. Aber ich selber fand eigentlich, dass es besonders sympathisch war, dass es sozusagen wirklich echte Forscher waren, die vor Ort da irgendwas gemacht haben und wo diese ganze Medienpräsenz eigentlich eher … Das war eher so ein bisschen hausbacken und das war eigentlich ganz schön an diesen Sendungen.
Interviewer: Muskart? Die Robotkamera.
Benjamin Heidersberger: Wir haben ja verschiedene… Also wir haben grundsätzlich Kameras überall installiert gehabt im Studio, so Überwachungskameras, relativ einfache Schwarz-Weiß-Überwachungskameras, die einen festen Standort hatten. Und mit Muskart hatte Nick Baginsky so eine Art Roboterkamera gebaut, die man über die Telefontastatur durchs Studio fahren konnte. Das heißt man konnte da sozusagen selber das Studio erforschen. Wie weit das jetzt wirklich sinnvoll passiert ist, muss man vielleicht nochmal anhand der Tapes analysieren, aber es gab mitunter recht lustige Interaktionen zwischen quasi diesem durchs Studio fahrenden Auge und irgendwelchen Akteuren, die vor Ort waren.
Interviewer: Professor Fox?
Benjamin Heidersberger: Professor Fox, wir haben Versuche damals gemacht, die Moderation zu automatisieren. Das heißt, wir haben eine Kunstfigur geschaffen, die durch ASCII-Eingaben gesteuert werden konnte so, und da war halt die Frage: Wie weit kann man klassische Rollen im Fernsehen durch Automatisierung ersetzen? Also so eine Art virtueller Charakter, der steuerbar war, und der dann eben bestimmte Dinge da gemacht hat.
Interviewer: Also als ASCII erstmal den Text eingeben und der hat den gesprochen. Und warum klingt der wie Karel Dudesek?
Benjamin Heidersberger: Warum klingt der wie Karel Dudesek? Ich muss sagen, das ist so ein Punkt, wie weit jetzt dieser … Also ich erinnere mich an diese Figur, wie die aussah, ich erinnere mich aber nicht mehr daran, wie das technische Setting letzten Endes war, also was da sozusagen dahinter stand, das zu animieren.
Interviewer: Rap’em Higher, Disco Fever, die virtuelle Disco.
Benjamin Heidersberger: Das war so ein ähnliches Modul wie das interaktive Orchester, nur ging es da um andere Instrumente. Und wir hatten auch nochmal, wo wir gerade über diesen Moderator gesprochen haben, wir haben so Charaktere geschaffen, die man in so einer Disco bewegen konnte. Also es ging nicht nur darum, dass da Musik kam, sondern man konnte halt quasi diese virtuellen Figuren tanzen lassen.
Interviewer: Ah ja, das sieht so ein bisschen aus wie GIF-Animationen heute. Recorder, die interaktive Anrufbeantworter. Tonband-nimmt-deine-Message-auf-Maschine.
Benjamin Heidersberger: Kann ich mich nicht dran erinnern.
Interviewer: Konnte Karel sich auch nicht dran erinnern. Sarah und Daniel? Das Quicktime-Liebespaar der Piazza virtuale. Die Parts von Sarah und Daniel wurden von je einem Zuschauer übernommen, die sich…
Benjamin Heidersberger: Also es ging so, es war so eine klassische Beziehungsarie, glaube ich, die da irgendwie inszeniert wurde. Und ich glaube, dass da Fragmente von so typischer Beziehungskommunikation aufgenommen wurden, die vom Zuhörer, Zuschauer, Mitmacher abgerufen werden konnten.
Interviewer: Ach so, ich hatte das gerade auch von Karels Erklärung so verstanden, dass das so eine Kontaktanbahnungsgeschichte gewesen ist.
Benjamin Heidersberger: Kann ich dir echt nicht mehr sagen.
Interviewer: Tazetta, die TAZ live und aktuell auf Sendung.
Benjamin Heidersberger: Die TAZ ist ja mitunter recht modern so. Und wir hatten, obwohl die sind eigentlich immer wieder erstaunlich so. Und damals hat tatsächlich die TAZ uns eine Zusammenarbeit angeboten und wir haben regelmäßig die TAZ Texte bekommen zum Abruf oder die haben uns die geschickt. Und wir haben die mit einem eigenen Interface in Sendung eingeblendet. Das heißt, sozusagen, dass die News of the Day waren sozusagen von der TAZ auf dem Bildschirm zu lesen in anderen Formaten.
Interviewer: Tic, Tac, Toe?
Benjamin Heidersberger: Tic, Tac, Toe ist ganz lustig, weil es sozusagen das Urmodul war. Also Tic, Tac, Toe ist ja dieses Drei-mal-drei-Feld, wo man versuchen muss, bestimmte Linien, Figuren zu ziehen, indem man Steine draufsetzt und dieses Feld entspricht halt voll der Telefontastatur. Und das war das erste Modul, was ich mit einem Freund damals, Rainer Koloc, zusammen gemacht habe, das lief auf dem Amiga.
Interviewer: Faktisch spielte man das gegeneinander, ohne weiteren Hintersinn…
Benjamin Heidersberger: Genau, es ging halt nur erstmal darum, das war sozusagen ein Testmodul, weil die Bildschirmrealisierung eigentlich besonders einfach und naheliegend ist. Du hast da dieses Drei-mal-drei-Feld und du setzt halt die Steine, und je nachdem sind es eben Kreuze oder Kreise gewesen. Das lief, glaube ich, damals auf dem Amiga und war sozusagen so eine erste Applikation, so eine Testapplikation. Ich bin gar nicht sicher, ob Tic, Tac, Toe später auf Sendung überhaupt gelaufen ist. Aber das war sozusagen das Testmodul, mit dem man auch sehr schön zeigen konnte, wie zwei Telefone, die Telefonleitung, die Sendung, die Ausstrahlung, wie dieser Kreislauf sich schließt und dann eben dieser Interaktion möglich ist.
Interviewer: Wie ist das eigentlich programmiert worden? Also hast du da auch eine aktive Rolle gespielt? Oder hast du vor allen Dingen überwacht und Anweisungen gegeben?
Benjamin Heidersberger: Ich glaube, meine Rolle, also ich bin ja kein besonders guter Programmierer und es gab jeweils da Spezialisten für die verschiedenen Bereiche. Also das ganze Ding lief in einer… wie hieß denn das noch? Oh Gott, irgendso ein Multimedia Produktionswerkzeug war das, steht sicherlich irgendwo. Das waren so vorprogrammierte Felder, Bilder, Bilderhintergründe, das war alles komplett automatisiert, und das hat hauptsächlich Christian Wolff vom Netzwerk, vom Protokoll gemacht und Ole Lütjens von der grafischen Benutzeroberfläche. Und ja, meine Rolle war, glaube ich, eher Inspirationsgeber, weil ich vielleicht diese Vision hatte oder die Grundidee oder sowas. Aber ich habe nicht an der konkreten Realisierung von Sachen gearbeitet.
Interviewer: Also die Programmierer haben sozusagen auf Anweisung gearbeitet, oder kam von denen auch was?
Benjamin Heidersberger: Also wie gesagt, ich habe das nie so empfunden, dass da jemand Anweisungen entgegengenommen hat, sondern ich glaube, dass alle wussten, was sie tun müssen und man in gemeinsamen Gesprächen halt die Sachen ausgearbeitet hat, die sie dann umgesetzt haben, aber auch mit sehr viel eigenem Input.
Interviewer: Okay. Dann als letztes: Zensor für einige Teilnehmer wird bittere Realität auf der Piazza virtuale. Drei Stunden gewählt, endlich durchgekommen, daneben benommen und gleich wieder rausgeflogen. Der Zensor trat immer dann unnachsichtig in Aktion, wenn jemand gegen die Spielregeln verstieß.
Benjamin Heidersberger: Klar, das hatte ich auch vorhin schon erklärt, das war sozusagen die grafische Benutzeroberfläche des Vorgangs, dass eben Leute zensiert wurden.
Interviewer: Was war denn die Spielregeln? Woher hätte man die kennen sollen? Das war ja eigentlich erstmal so eine offene Plattform.
Benjamin Heidersberger: Das stimmt. Ja, also die Spielregeln waren der allgemeine Anstand, würde ich sagen so, was man in der Öffentlichkeit sagen kann und was nicht.
Interviewer: Kann man in bestimmten Situationen ja auch mit Sinn provozieren mit einer bestimmten Kommunikationsabsicht. Aber da hat es nie eine, wie soll ich sagen, Kanalisierung oder so ein Regelwerk gegeben?
Benjamin Heidersberger: Nein, glaube ich nicht. Vielleicht ist das trotzdem nochmal ein spannendes Thema. Es gab bei uns ja lange Diskussionen: Wie weit eigentlich Sendungen moderiert sein sollen und wie weit sie nicht moderiert sein sollen? Und bei einer Moderation hat man natürlich immer einen Ansprechpartner auf dem Bildschirm, mit dem man irgendwie interagieren kann. Bei unmoderierten Sendungen, und das ist ja, sagen wir mal, Facebook heute eigentlich mehr oder weniger vor den neuen Gesetzen, hat man diese Möglichkeit halt nicht, und da muss man gucken, wie man doch eine gewisse Kanalisierung hinkriegt so.
Interviewer: Das wären diese Sendungen gewesen. In dem Dokumentarfilm gibt es ja so ein Interview mit dir, wo du sagst, es hätte sich eine virtuelle Gemeinschaft gebildet. War das damals so in der Begeisterung über die aktuelle Situation irgendwie gesagt? Oder würdest du das heute noch so sehen, dass sich da so eine Virtual Community gebildet hat?
Benjamin Heidersberger: Also, wenn ich meine Äußerung von damals kritisch betrachte, würde ich sagen, da war so ein bisschen auch der Wunsch Vater des Gedankens, trotzdem in Ansätzen gab es das natürlich so. Also ich glaube, Virtual Community ist ja dieser Begriff von Howard Rheingold letzten Endes und das war ja auch so ein bisschen diese Umsetzung dieses Gedankens im Medium Fernsehen. Vielleicht war es auch damals so, als ich dieses Interview gemacht habe, dass wir auch anfänglich ein bisschen Probleme hatten, dass also von der Qualität der Kommunikation, von dem, wie gut sich Benutzer verhalten, und ich denke, es ist beides. War einmal auch der Wunsch und einmal auch ein Teil Realität.
Interviewer: Es ist ja schon erzählt worden, dass gerade am Anfang die Kommunikation ja auch gar nicht so stattgefunden hat wie gewünscht. Kannst du das nochmal ein bisschen erzählen und dann eben auch sagen, ob das sinnvoll ist, sich dann da einzumischen, Leute zum Reden aufzufordern und zum Anrufen beispielsweise. Auf einem Band gibt es nämlich, dass Karel sagt: Jetzt ruft doch mal. Hier ist ja nichts los.
Benjamin Heidersberger: Klar. Van Gogh TV ist ja sozusagen als der Hallo Sender in die Geschichte eingegangen. Was ist Hallo? Hallo ist und sage ich auch heute noch, wenn ich irgendwo anrufen will und testen möchte: Was ist das für ein System? Wie funktioniert das? Werde ich gehört? Was ist eigentlich los?
Interviewer: Wir waren stehengeblieben bei der Frage, inwiefern man motivierend eingreifen sollte, wenn man so ein System gebaut hat, das eigentlich dazu da ist, dass die Leute selbst sich einbringen.
Benjamin Heidersberger: Das war ja alles komplett neu. Also so, das ist ja ein System, dessen Benutzung und dessen Verhalten man ja nicht kennt als Zuschauer. Denn das geht ja so zurück bis Brecht oder was auch immer, aber Sender sind eben Sender und nicht Empfänger so. Und dieses Aufbrechen, das musste der Zuschauer glaube ich auch erst mal verstehen so. Und glaube, dass gerade am Anfang das ein bisschen gedauert hat, bis das in die Gänge kam so. Ich glaube, dass dann später sehr schnell dieser Druck vom Zuschauer auf den Sender auch sich in konkreten Aktionen realisiert hat. Aber es kann sein, dass das zu Zeiten oder am Anfang oder so nicht so heftig war.
Interviewer: Dann haben wir noch die Piazzettas, die habe ich mir für den Schluss aufgehoben. Könntest du das noch ein bisschen beschreiben.
Benjamin Heidersberger: Also Piazzettas ist ja der Versuch, so quasi wie die reale Piazza noch mal verschiedene Flecken auf der Welt zu finden, wo interessante Dinge passieren, die wir in irgendeiner Form in diese Sendung einbinden wollten. Und ich glaube, wir hatten 32 Piazzettas, wenn ich mich recht erinnere. Das war zum Teil von also von Japan bis Moskau und aus den USA einige Sachen, wo halt zum Teil Künstlergruppen oder zum Teil Akteure Dinge gemacht haben, die wir in irgendeiner Form dahin übertragen haben und die da eingebunden wurden.
Interviewer: Hattest du da so besondere Favoriten oder was ist für dich besonders gut gemacht?
Benjamin Heidersberger: Also wir hatten da einige Künstlergruppen, die aus verschiedenen Städten Deutschlands vorbereitete Sachen gemacht haben. Die zum Teil mehr oder weniger gut funktioniert haben. Wir hatten eine WG in Göttingen glaube ich, die von der Telekom sogar ein eigenes Bildtelefon hingestellt gekriegt haben, die sich dann immer wieder sozusagen als dieses WG eingeschaltet haben.
Interviewer: Big Brother?
Benjamin Heidersberger: Big Brother, ja. Haben… Was waren für mich die schönen Sachen? So, wir hatten ja so ein bisschen Kontakt auch zu NHK, die sich auch über eigene Satellitenverbindung glaube ich eingewählt haben.
Interviewer: Was ist NHK, würde mich einfach mal so…
Benjamin Heidersberger: NHK ist das japanische Fernsehen, ähnlich wie dem ZDF, auch staatliche Fernsehen. Und ich bin jetzt gar nicht so sicher, wieso es eigentlich… Ich dachte immer, dass NHK vorher… Na, egal, auf jeden Fall es gibt definitiv Sendemodule, die vom NHK gestartet wurden. Dann aus Moskau, also NHK war insofern interessant, weil es halt… Ist ein Kontakt, der später auch noch existiert hat. NHK hat als offizieller Sender des Staates sich Gedanken über die Zukunft gemacht und sich da eingeschaltet. Das war eine Satellitenverbindung, die NHK glaube ich immer hatte, um ihre Einspielungen zu machen. Dann hatten wir aus Moskau Künstlergruppen, die über eine sehr komplexe Verbindung, also über einen Digitalkanal, auch über Satelliten mit einem sehr eigenen, teuren Modem sich eingeschaltet hatten. Das hatte die Telekom irgendwie ermöglicht, die diese Verbindung da hatte. Was hat besonders funktioniert? Es gab schon schöne Module, wo sozusagen Interaktionen zwischen den Künstlergruppen und den lokalen Akteuren in Kassel stattgefunden haben so.
Interviewer: Okay. Wie sah es eigentlich mit der Bezahlung aus? Sowohl von den Leuten, die da gearbeitet haben wie auch von euch?
Benjamin Heidersberger: Ich muss dir ehrlich gesagt sagen, ich weiß das gar nicht mehr. Ob da überhaupt bezahlt wurde. Oder ob es so eine Nominalbezahlung gab, die sicherlich nicht groß war. Also ich weiß, dass wir… Also hier die schöne Zahl ist ja sozusagen, dass angeblich dieses Projekt zweieinhalb Millionen an Sponsoring an sich gezogen hat. Aber, das war natürlich meistens nicht in Geld, sondern in irgendwelchen Sachleistungen. Keine Ahnung, wie viel die Telekom für 100 Tage Satellitenschüssel hin berechnet so. Aber ich weiß, dass wir relativ schnell auch kein Geld mehr hatten. Ich weiß, dass ich dann irgendwie beim ZDF angerufen habe und gesagt habe, wir hören jetzt auf zu senden, wenn ihr uns nicht 60.000 € überweist. Das haben die auch gemacht, tatsächlich. Ich weiß gar nicht mehr, wie so was heute geht eigentlich (lacht). Aber, es war ja eine laufende Sendung, die auch geplant war und so. Und offensichtlich war das Erpresserpotenzial damals da und das haben die dann auch gemacht also.
Interviewer: Und wofür waren diese 60.000? Einfach für den Aufrechterhaltung des technischen Betriebes, oder…?
Benjamin Heidersberger: Genau sowas, ja…
Interviewer: Damit keiner verhungert?
Benjamin Heidersberger: Genau. Also ist ja so, wir hatten auch richtig einen Vertrag mit dem ZDF. Und dieser Vertrag also ist ja schon fast legendär, der Vertrag sieht halt die Ablieferung eines sendefähigen Signals vor, sonst nichts. Also über Inhalte wurde da nicht diskutierend, Fragen wurden nicht gestellt. Und das ist wirklich erstaunlich, dass so ein wildes Konzept… Ich weiß noch nicht mal ehrlich gesagt, ob es ein richtiges Konzept jemals gegeben hat, mit dem wir uns da beworben haben oder so.
Interviewer: Heute undenkbar!
Benjamin Heidersberger: Heute undenkbar!
Interviewer: Auch kein Versuch der inhaltlichen Einmischung oder Mitbestimmung?
Benjamin Heidersberger: Nein. Also, es gibt ja auf einem der Videotapes habe ich neulich gesehen, gibt es eine Pressekonferenz, wo die Vertreter von 3sat sind ja die lokalen, also von… Sind die lokalen 3sats von ZDF, ORF, SRG, die haben sich also sozusagen zusammengetan, um diesen 3sat zu machen, deswegen heißt es auch drei und Sat, weil es halt auch über Satellit läuft. Und alle haben glaube ich versucht sozusagen, das für sich zu interpretieren, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass wir da mit einem Konzept aufgelaufen sind und gesagt haben, genehmigt ihr das oder so was so.
Interviewer: Meinst du, dass die Sender, sogar ZDF und 3sat, die damit zufrieden gewesen sind, was ihr da geliefert hat?
Benjamin Heidersberger: Das ist eine spannende Frage. Also es gibt ja… Also 3sat hat ja entweder damals schon oder später diesen Claim gehabt, anders Fernsehen. Ich bin der Meinung, das hätten sie gemacht, nachdem wir da das gemacht haben. Es gibt eine sehr umfangreiche Pressemappe mit glaube ich 600 Artikel, die auch vom ZDF zusammengestellt wurden.
Interviewer: Ja, aber das machen die routinemäßig.
Benjamin Heidersberger: Machen die vielleicht routinemäßig. Ich weiß aber, dass wir ständig natürlich Inhalte der Redaktionskonferenzen waren, wo wir immer dann auch die Einschaltquote und so mitgeteilt gekriegt haben. Und ich denke, dass es so eine schräge Mischung ist. Also ich glaube, dass Fernsehen damals das Konzept nicht richtig verstanden hat, grundsätzlich. Wie auch die documenta das vielleicht nicht grundsätzlich richtig verstanden hat. Dass man aber gemerkt hat, dass es doch eine erhebliche Resonanz gibt und man alleine deswegen das schon ernstgenommen hat.
Interviewer: Ja, das ist eine Sache, vorher nicht zu wissen, was da auf einen zukommt, was ja schon erstaunlich ist. Aber ist eine andere eben, wenn dann was auf dem Bildschirm stattfindet, kann man ja eine Meinung dazu entwickeln.
Benjamin Heidersberger: Also, ich nehme mal an, dass die intern wie extern ganz schön Argumentationsschwierigkeiten hatten, so was erlaubt zu haben und gemacht zu haben. Auf der anderen Seite hat es auch immer wieder glaube ich so eine Art Stolz gegeben, das ermöglicht zu haben so.
Interviewer: Na gut! Dann würde ich sagen, soweit erst mal. Und dann haben wir noch den einen kleinen, wo du uns dieses (Marinchen?) erläuterst. Und dann die…
Benjamin Heidersberger: Also ich nehme mal an, dass die intern wie extern ganz schön Argumentationsschwierigkeiten hatten, so was erlaubt zu haben und gemacht zu haben. Auf der anderen Seite hat es auch immer wieder glaube ich so eine Art Stolz gegeben, das ermöglicht zu haben so.
Also mir ist noch mal so aufgefallen beim Reden, wie sehr sich Erinnerungen auch durch das Wiederholen, durch das Anekdotische, durch diesen konzeptionellen Ansatz irgendwie vielleicht auch verfälschen oder in irgendeiner Weise… Also frage ich mich halt: Wie kriegt man hier ein möglichst realistisches Bild von dem, was damals wirklich passiert ist, eigentlich hin? Und ich glaube, das kann halt nur so sein, dass man eben ein breites Spektrum von Leuten befragt. Dass man irgendwie versucht, diese 25 Jahre zu überbrücken, indem man vielleicht Menschen damit konfrontiert, was da gelaufen ist auf Videobändern? Dass man gemeinsam drüber redet, vielleicht vor so einem laufenden Bildschirm oder so was. Wir haben ja alle, wahrscheinlich alle vier von uns haben ungefähr eine Millionen Präsentationen gemacht auf dieser Welt. Diesen Film kenne ich bis in den letzten Tonschnipsel genau so. Und ich glaube, irgendwie muss man versuchen aus dieser Falle rauszukommen so. Aus dieser Falle, die dadurch entsteht, dass man den Wunsch hat, wie was ist. Dass es ein Konzept gibt, wie es sein sollte. Auf dass man vielleicht auch Dinge entschuldigen will oder erklären will und am Ende, ja, muss das irgendwie durchbrochen werden so. Das fände ich toll, wenn das irgendwie passieren könnte.
Interviewer: Naja, du hast ja auch gesagt, dass dir die Sendungen zum Teil gar nicht so gefallen, wenn du sie jetzt wiedersiehst.
Benjamin Heidersberger: Klar! Ich habe vor einigen Jahren ja mal angefangen mir so Sendungen anzugucken und ich finde das nach wie vor ein tolles Projekt. Und finde das auch einzigartig und alles genial, was auch immer. Ich persönlich habe ab und zu so ein Problem, wenn ich diese Sendungen sehe und was ich mir letzten Endes… Also ich sehe so eine Diskrepanz zwischen so einem theoretischen Konzept und zwischen dem, was da wirklich bei rauskommt. Also bei mir hat sich halt auch sehr viel Skepsis gegenüber Interaktivität und Schwarmintelligenz und solchen Dingen eingestellt. Also muss ich sagen… Ja. Gut, den Plan.
Interviewer: Dann lass uns mal einen Blick auf den Plan da werfen. Ruft das irgendwelche Erinnerungen hervor? Wo warst du da? Was war so dein Beritt?
Benjamin Heidersberger: Gut, es ist ja erst mal unglaublich, dass diese Pläne plötzlich wieder da sind. Nicht nur, dass man da sozusagen das Datum richtig sieht. 10.05.1992.
Interviewer: Na, eigentlich auch ganz schön knapp, ne? Anfang Juli macht die “documenta“ auf. Also…
Benjamin Heidersberger: Ja ja, also es war schon knapp so. Und auch die ganzen Leute. Die Postleitzahlen sind noch vierstellig damals. So und wir haben ja jetzt hier drei Pläne in verschiedener Ansicht und Größenordnung. Ich gehe mal ganz von vorne los. Also wir haben hier sozusagen diesen Platz hinter dem Fridericianum. Also dies hier ist sozusagen die Hauptcontainer-City gewesen, diese zwanzig Baucontainer. Die Piazzetta selber hier mittendrin. Wir haben hier, dieses Café war hier hinten, glaube ich, drinnen. Hier oben ist die Treppe. Da ist, glaube ich, jetzt alles zu, gibt es gar nicht mehr so. Hier ging es zur Eisdiele Venezia, wo wir viele unserer Treffen gemacht haben. Weiter hier rechts war Lobeck. Also es gab ja sozusagen ein Parallelprojekt auf der “documenta IX“, von der Kunsthochschule Kassel, mit der wir anfänglich mal zusammenarbeiten wollten. Was aber nie geklappt hat. Und die haben auch ein eigenes Kunstfernsehen gemacht. Vielleicht ist auch mal interessant das irgendwie zu erforschen, was da sich abgespielt hat? Ich weiß noch, dass ich fünf Bände von Lobeck, “Geschichte des Radios in Deutschland“ noch habe irgendwo, die ich ihm vielleicht mal wiedergeben sollte. So! Ja, hier ist sozusagen dann der zentrale Platz der “documenta“ gewesen. Und wir haben da ja richtig 100 Tage gelebt. Also das ist ja, wie man sich so ein eigenes Territorium erobert. Schön finde ich auch, dass das Wort Provisorium hier steht. Also ich war neulich mal da in Kassel, zufällig zur “documenta“, und habe noch mal versucht so ein bisschen die alten Orte zu identifizieren. Das war schon nicht mehr einfach so. Ja, der nächste Plan ist hier, dann einen Teil vergrößert. Also wie gesagt, hier die Baucontainer. Wenn ich die hier so zähle, sind es gar nicht zwanzig, wie ich vorhin behauptet habe, sondern vielleicht nur zwölf. Wir haben hier verschiedene andere Räume, die wir auch aufgebaut haben, genutzt haben. Diese Treppe war da, die ist auch in den Videos zu sehen. Diese ganzen Container waren ja auch so beklebt. Mike hatte das glaube ich gemacht, mit so Folien, die so ein bisschen das Innere, also jetzt natürlich auf eine künstlerische Art, das Innere dieser Vorgänge da dargestellt haben. Ja.
Interviewer: Wo sind Sie da?
Benjamin Heidersberger: Hätte ich vielleicht hier gesagt, aber vielleicht ist hier sogar noch besser. Also wir hatten das Büro von Karel, Salvatore und mir war, glaube ich… Das Musikstudio war hier. Da war der Tessloff und wir waren daneben, glaube. Genau, hier steht es ja auch. Diese beiden Container waren das Zentralbüro von dem Kernteam. Dahinten war das Tonstudio, aber das ist ja alles zweistöckig. Also es war hier sozusagen, das sieht man immer am Plan noch so drüber. Ich habe hier gesessen, da aus dem Fenster geguckt. Soweit ich mich erinnere, war genau darüber die Sendeabwicklung, also die Verbindung zum ZDF, die Standleitung, was da alles ankam. Und hier oben war auch so viel Werkstatt und hier lief die Roboterkamera durch, durch dieses Ding hier. Dieser Kurzwellenempfänger war damals schon dabei. Der stand hier hinten. Da haben wir gerne damals die Funkfernschreibverbindung der Nordkoreaner abgehört und solche Sachen gemacht. Ja, hier gibt es auch ein Video, oft Szenen, die sich hier abspielen. Meine persönliche Erinnerung ist ein bisschen anders, wie das ganze Setting hier war. Ich bin nicht ganz sicher, ob das irgendwie verändert wurde, oder ob ich einfach eine falsche Erinnerung habe. Hier hinten stand ganz groß die Schüssel der Telekom und zeigte auf diesen Satelliten Olympus, den wir von der ESA gesponsert gekriegt haben. Ja und hier haben wir vielleicht noch mal so noch eine weitere Vergrößerung dieser Zentralcontainer. Man sieht hier rechts eben das zweigeschossige Aufbau. Oben war die Livesendung-Abwicklung. Unten waren Büros, Treffpunkte. Die Büros, hatte ich ja schon vorhin gesagt, von uns. Die Treppe hier. Anscheinend sind hier sogar schon die Stühle und so weiter und die… Sind hier verschiedene Möbel schon eingezeichnet, an die ich mich gar nicht erinnern kann beziehungsweise, die auch vielleicht gar nicht so waren. So. Mehr fällt mir dazu auch nicht ein.
Interviewer: Wieso hat das mir der Kunstschule nicht funktioniert?
Benjamin Heidersberger: Ich würde heute mal sagen, so klassische Egoprobleme. Das ist auch vielleicht sogar noch mal ganz spannend, das auch rauszufinden, wie das war. Also ich weiß, dass Lobeck, der ist ja kein schlechter Typ so, ich glaube, dass er auch ganz wichtige Aufgaben übernommen hat, das überhaupt alles zu ermöglichen. Und möglicherweise haben wir dann einfach gedacht, wir können es besser oder so. Aber es war auf jeden Fall immer so eine Art Konkurrenzsituation und wir haben das auch immer so ein bisschen belächelt tatsächlich, was die da gemacht haben. Und ich habe auch das Gefühl, aber das ist vielleicht mein eigener Wahnsinn, dass sich der Scheinwerfer der Öffentlichkeit auch mehr auf uns gerichtet hat als auf Lobeck.
Interviewer: Okay!
Benjamin Heidersberger: Hier ist das Büro gewesen, hier unten das Tonstudio. Oben, dann sieht man also auf dem anderen Plan, der zweite Stock. Hier die Piazza. Hier hinten geht es dann durch zur Eisdiele, dass man dann hier den anderen Plan sieht. So der Überblick. Hier hinten Lobeck, wir, dann der Platz von der documenta. Und hier die Satellitenschüssel, die in den Himmel zeigt. So und hier die Ansicht eben in den zwei Etagen von dem zentralen Containergebäude. Gut!