Interview mit Geert Lovink, 06.06.2018

Geert Lovink ist ein holländischer Medientheoretiker, der an der Hogeschool van Amsterdam lehrt.

Interviewer: Ich würde dich bitten einmal selbst deine eigenen Erinnerungen daran zu schildern, deine eigene Einschätzung der ganzen Geschichte. Dann haben wir gerade schon gehört, dass es da so eine…

Geert Lovink: Ja, aber es gibt natürlich viele Geschichten, auch viele Namen – deswegen frage ich, denn Van Gogh ist natürlich einer unter vielen Namen, nicht. Welche Episode? Worüber reden wir? Wann fängt es offiziell an und wann hört es offiziell auf für euch?

Interviewer: Piazza virtuale steht im Mittelpunkt, das Documenta-Projekt. Es hat eine Vorgeschichte gegeben. Das wäre interessant, weil zum Beispiel dieser, jetzt habe ich den Nachnamen wieder vergessen, Menno…

Geert Lovink: Grootveld.

Interviewer: Grootveld, genau, sagt, dass das halt letztlich in Amsterdam inspiriert worden ist. Wenn du das mitbekommen haben solltest, wäre das natürlich sehr interessant auch von dir davon zu hören. Möchtest du nicht so gern darüber sprechen?

Geert Lovink: Nein. Das kann er machen, aber ich würde so einen Claim nicht machen, nein. Klar, gibt es Verbindungen, es gibt natürlich persönliche Verbindungen. Es gibt natürlich auch gewisse Praxen, die vielleicht in Amsterdam weiterentwickelt waren zu der Zeit. Wir hatten ja viel mehr Möglichkeiten, um Sachen zu machen.

Interviewer: Dann fangen wir damit an. Die Medienlandschaft im Amsterdam Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre war ja relativ vielfältig. Es gab diese alternative Medienkultur. Vielleicht kannst du einmal anfangen, dass du das so ein bisschen beschreibst, diesen Humus, den es zu der Zeit gegeben hat.

Geert Lovink: Ja, angefangen hat alles natürlich mit der Hausbesetzerbewegung, 70er Jahre, eigentlich Ende 60er. Und daraus sind dann bestimmte Medienpraxen hervorgegangen. Nicht nur im Bereich Print, Zeitschrift. Wir haben eine Wochenzeitung gemacht Anfang 80er Jahre. Und schon damals, 1980, gab es eine Wiederaufbelebungvon den freien Radios, die auch 1973, 1974 schon in den besetzten Häusern damals vorhanden waren. Und das hat sich dann fortgesetzt und richtig etabliert. Angefangen hat das mit einem Sender und dann ab 1982 kam ein zweiter dazu; es war mehr kulturell. Und dann gab es gewisse Abspaltungen. Es gab ein feministisches Radio, es gab ein Radio dann wieder etwas größer, so undergroundmäßig. Es gab dann die Abspaltung, dass die politische Fraktion der Hausbesetzerbewegung und die sozialen Bewegungen, autonomen Bewegungen dann ein eigenes Radio weitergeführt haben: Vrije Keyser, Radio 100, dann gab es auch noch ein richtiges Undergroundradio: Radio Patapoe. Ende der 80er Jahre hatten wir so etwa vier bis fünf freie Radios, die alle aus den besetzten Häusern gefunkt haben.

Interviewer: Nennst du es jetzt freie Radios, man könnte natürlich auch sagen „Piratensender“. Oder hatte niemand…

Geert Lovink: Nein, es gab auch Piratensender. Die gab es in Holland auch oder gibt es teilweise immer noch. Ich glaube, wir haben diesen Begriff nicht benutzt, weil, ja, es hört sich natürlich ein bisschen tapfer an. Natürlich ist es illegal, aber das war nicht die Idee. Die Idee war, das von den besetzten Häusern aus zu machen. Und es war Teil eines eigenen Verständnisses, nämlich, dass man eigene selbstorganisierte Infrastruktur aufbaut. Und das Radio ist nur ein Teil dessen. Und es gibt dann Wochenzeitungen, eigene Druckereien, Verlag oder mehrere Verlage. Es gibt Art und Weisen wie man Pamphlete verteilt, es gibt auch zum Beispiel Telefonketten. Das ist Teil einer Organisation, einer Selbstorganisation. Und ich glaube, wenn man Piratenradio sagt, dann bekommt man das nicht so richtig mit, dass es Teil einer viel größeren Ökologie ist. Und es ist genau diese Ökologie, die später so wichtig wurde und dann auch eine eigene, sagen wir mal, Ästhetik und eine eigene Kultur hervorgebracht hat. Weil, wenn man das ein paar Jahre macht, dann entsteht so eine Eigendynamik und wird das nicht mehr so instrumentell wie vielleicht vorher, nämlich als Tool von bestimmten Bewegungen. Aber entsteht da ein Freiraum, die eigentlich eine eigene Kultur und Ästhetik hervorbringt, die weitergeht als das, was die Bewegungen selbst vielleicht vorhatten oder in der Lage waren, das zu äußern. Und das sieht man, sagen wir mal, in den 80er Jahren vor allem aufkommen. Und natürlich gibt es da noch ein bestimmtes Beispiel oder Medium und das ist Fernsehen. Und Fernsehen ist natürlich in gewissem Sinne eine Ausnahme, weil, es gab Zeiten, wo versucht wurde, das richtig illegal zu machen. Und das war lustig, dass es überhaupt möglich war, dass man so ein Signal, sagen wir mal, wenn das deutsche Fernsehen um 23:20 Uhr aufhört zu senden, tut man so, als ob man das deutsche Fernsehen ist und sendet man zu diesen Antennen ein Signal, was tut als ob es das Zweite Deutsche Fernsehen ist. Aber dieser Trick hat eine gewisse Zeit funktioniert, aber dann auch nicht. Also das ist dann die berühmte Zeit von Amsterdamer Piratenfernsehen, aber die hat nicht so lange gedauert. Die gleichen Gruppen und die gleichen Leute haben weitergemacht innerhalb von der Amsterdamer Kabelrat und haben eigene kulturelle Kunstinitiativen, Undergroundinitiativen gemacht und die hatten alle auch Sendezeit.

Interviewer: Wir können zusammenfassend sagen, es hat eine sehr lebendige und vielseitige Graswurzelmedienbewegung auf ganz verschiedenen Kanälen gegeben. Van Gogh TV haben ja eher so exemplarische Situationen gemacht und waren auch mit so einer linken, autonomen, alternativen Szene nicht so verbunden. Aber bevor wir da diesen Unterschied ein bisschen genauer beleuchten, kannst du vielleicht erstmal sagen, wie du die kennengelernt hast, wann du zum ersten Mal davon gehört hast, was so dein Eindruck war.

Geert Lovink: Schon über Amsterdamer. Über Franz Feigl, insbesondere NL Centrum. Ich glaube, das war für mich der Anfang. Er hat diesen Raum Anfang 80er Jahre besetzt, daraus so eine Galerie gemacht und sehr viele aus der frühen Zeit von Van Gogh TV sind da irgendwann mal aufgetaucht. Ich würde sagen, dass ist dann 1985 oder 1986, so um diese Zeit. Und, ja, das ist eine gewisse Ästhetik. Sagen wir mal Industrial, Post-Industrial. Teilweise ist das Musik, teilweise Subkultur, Underground. Es gibt natürlich viele, was darüber heutzutage schon geschrieben wurde, was genau Industrial war Mitte der 80er. Ob das nur Musik ist oder ob das … Das Gute an Van Gogh fand ich, dass sie wenigstens versucht haben, daraus ein Videobild zu machen oder sie haben wenigstens diesen Versuch gemacht, über die Musik hinauszugehen. Weil, damals gab es ja nicht sehr viel mehr als Performance und Musik. Es gab ein sehr kleines Bisschen auch zeitgenössischer Kunst oder Versuche in die Richtung. Ja, und dann über Franz habe ich die Leute kennen gelernt. Ich muss auch sagen, Anfang 1989 bin ich Teil von dem Editorial Board von Mediamatic … habe ich richtig da angefangen. Wir haben als Gruppe, als Agentur Bilwet, haben wir seit 1988 an Mediamatic beigetragen und dann seit 1989 bin ich da richtig eingestiegen. Und das war nochmal eine andere Art und Weise, weil, Mediamatic hat immer über Videokunst geschrieben und war ganz explizit Teil dieser Szene. Und es war für mich dann auch so eine Formalisierung – für mich selbst auch – dass ich, ja, auch offiziell Teil der Kunstszene oder so mich verstanden habe, weil ich natürlich eine andere Vergangenheit habe. Ich habe Politikwissenschaften studiert, Philosophie, dann natürlich auch hier in Berlin viel Medientheorie gemacht. Aber so ganz langsam seit 1985, 1987 ist mein Interesse an Video und Videokunst und natürlich die Sachen im Kabelfernsehen sind dann so organisch gewachsen. Weil, die kamen alle auch aus der Hausbesetzerszene und ich auch. Und ich kannte die von NL Zentrum und andere Orte. Und Performances, die ich gesehen habe, aber dann erst Ende 80erJahre bin ich da eingestiegen und habe ich mitgemacht.

Interviewer: Piazza Virtuelle, das war ja dieses Documenta-Projekt. Hast du da irgendetwas von der Vorbereitung mitbekommen, hast du das gesehen während es lief?

Geert Lovink: Das ist 1992 Documenta? Ja, das ist eigentlich für mich schon relativ spät, nicht? Ja, ich bin da gewesen und ich habe nicht mitgemacht, aber ich war da. Und das war meine erste Documenta, glaube ich. Die habe ich also besucht und aber, ja, und weil ich die Leute so am Rande kannte. Ja, schon. Vielleicht wegen Mediamatic oder wegen Agentur Bilwet oder wegen damals auch schon die Vorbereitung für Next Five Minutes, weil die fand direkt danach statt. Die erste Next Five Minutes über Tactical Television fand Januar 1993 statt in Paradiso und da kommen dann auch sehr viele Dinge zusammen.

Interviewer: Das heißt, einerseits warst du in Kassel, hast da diese Routina Installation gesehen. Was war denn da so dein Eindruck? Wie war da so die Arbeitsatmosphäre? Oder war das ein offener Ort, wurde man da eher so toleriert, wurde man eingeladen reinzukommen?

Geert Lovink: Nein, das würde ich nicht sagen. Nein, so nicht. Nein. Aber, ich meine, die waren ja nicht 24 Stunden am Tag auf Sendung, nicht? Also in dem Sinne war das kein Dauerbetrieb. Da fanden bestimmte Sachen statt. Aber ich glaube nicht, dass ich da war, als irgendwas stattfand. Darum bin ich auch nicht unbedingt dahingefahren. Nein, das war für mich eher so ein informelles Treffen. Ich habe mir das angeschaut. Ich bin eine Weile dageblieben, aber mehr nicht. Nein.

Interviewer: Warst du beeindruckt von dem technischen Aufwand, der da betrieben wurde?

Geert Lovink: Nein, überhaupt nicht. Das war damals schon nicht der Fall. Wir hatten ein ganz klares Konzept, alle. Das hieß, taktisches Fernsehen. Und das hatte einen Grund. Wir glaubten damals schon nicht mehr an Hightech und an Fernsehen auch damals schon mit alles, was zur Verfügung stand, war ein gutes Stück schon demokratisiert. Und die Geräte und alles, die waren so halbwegs professionell, aber nicht mehr. Das war damals schon im Übergang, würde ich sagen. Vielleicht 1992, da kann man noch so ein bisschen so fragen. Natürlich, es gab nicht die richtig billigen digitalen Kameras. Alles war noch analog. Computer waren da, sowieso. Die Amigas und so weiter. Die wurden auch benutzt und eingesetzt. Aber nur begrenzt. Es war nicht voll digitalisiert. Aber schon, ja, das war … War das teuer? Nein. Nicht alle hatten diese Geräte und die musste man mieten und die brachen zusammen. Ja, das schon. Aber war das professionelle Fernsehqualität? Nein.

Interviewer: Das wäre jetzt genau die nächste Frage. Das ist einerseits, da gibt es halt die Situation vor Ort in Kassel, dann gab es das, was im Fernsehen gelaufen ist. Hast du das gesehen?

Geert Lovink: Ja.

Interviewer: Und was war dein Eindruck?

Geert Lovink: Ja, gut. Ich finde das ist Trash TV und das ist gut. Ich meine, heutzutage ist es besonders schwierig Trash TV zu machen, weil es geht nicht mehr. Die Geräte erlauben uns das gar nicht mehr. Wenn man also 4G oder 4K Kameras im Handy hat, was soll das noch? Was kann da noch schief gehen? Aber damals war dieser Abstand zwischen professionellem Fernsehen und das, was man mit VHS und so weiter macht, war riesig. Und das war auch Teil unserer Ästhetik. Das war also nicht so lala: Wir haben kein Geld und wir sind zu arm. Nein, überhaupt nicht. Das war eine ganz bewusste Entscheidung Trash TV zu machen. Man kann nicht sagen, dass das so war, weil die Leute keine Knete hatten.

Interviewer: Aber das betrifft jetzt vor allem so die visuelle Qualität. Der Clou an Piazza virtuale war, dass man anrufen konnte, dass man mit der Mailbox chatten konnte. Das ging ja eigentlich darum, den Sender mit zum Empfänger… umgekehrt, den Empfänger zum Sender zu machen. Das müsste dich doch eigentlich interessiert haben. Hast du das Gefühl, dass das funktioniert hat?

Geert Lovink: Nein, aber das Nichtfunktionieren war wirklich auch besonders spannend. Ich habe nie gedacht, dass diese Experimente gemacht wurden, um irgendwann besser zu funktionieren. Die Idee, dass man solche Sachen zusammenknüpft, die sind auch da, um diese barocken Schaltungen irgendwie auch zu einer visuellen und technischen Explosion zu bringen. Es ist nicht gedacht als Perfektion. Es ist anti-perfektionistisch. Trotzdem sind es Experimente und man kann sagen: „Ja, warum macht man dann solche Experimente und nicht andere?“ Dann kann man sagen: „Ja, warum ist man dann trotzdem daran interessiert, dass andere anrufen können, da beitragen können?“ Und ich glaube schon, darüber haben wir damals auch als Agentur Bilwet im Medienarchiv und in anderen Publikationen darüber spekuliert und theoretisiert. Die Idee war da, um das Begriff Medium selbst in Frage zu stellen und zu explodieren. Aber das geht nicht durch eine einfache Sendung von A nach B. Das reicht nicht. Damit bewirkt man nichts. Damit stellt man es nicht in Frage und damit kommt diese Idee von so einer Explosion des Medienbegriffes wird dadurch nicht bewirkt. Und ich glaube, wir haben damals sehr viele solche Versuche gemacht, um da in diesem Medienbegriff da einzubohren und richtig zu versuchen das auszuholen oder zu entleeren, sagen wir mal. Und das ist besonders gut gelungen.

Interviewer: Das Interessante an Van Gogh TV ist das es ja so fünf Minuten vor dem Internet sozusagen stattgefunden hat. Es gab zwar schon Internet, aber es wurde halt noch nicht in dem Sinne benutzt, wie es dann zwei Jahre später durch die Einführung des Worldwide Webs passiert ist. Wenn du das jetzt vergleichst, was damals in der Sendung passiert ist mit der Netzkultur von heute, siehst du da irgendwelche Sachen, wo die was vorweggenommen haben, wo man ja so Verbindungslinien sehen könnte?

Geert Lovink: Ja doch. Ich meine, darum geht es, die herrschenden Verhältnisse in Frage zu stellen und zu entleeren. Und da so viel Müll reinzubringen, dass es… kann man offiziell sagen implodiert oder explodiert oder in sich zusammenbricht. Darüber können wir dann reden. Was dann genau passiert, wenn man da so viel Scheiße reinbringt und das dann auch wirklich geplant macht und dass es nicht einfach passiert, sondern dass das eine Architektur hat, eine Idee hat, die da richtig eingebaut ist, die so was bewirkt.

Interviewer: Es hat ja gelegentlich auch so Schimpfereien, Pöbeleien auch vom Sender gegeben. Nach sowas suche ich eigentlich auch. Würdest du sagen, das ist so ein Vorläufer des Shitstorms von heute?

Geert Lovink: Doch, klar eindeutig. (…) Ja, aber dann im Medium Fernsehen und sehr viel später, sagen wir mal fünf, zehn, fünfzehn Jahr später, gab es solche Experimente im Fernsehen, im Kabelfernsehen nicht mehr. Die waren dann vorbei und dann haben alle Leute sich auf das Internet gestürzt und da sind wir jetzt noch. Und solche Experimente wie Van Gogh TV kann es allein deswegen jetzt nicht mehr so geben.

Interviewer: 1989 ist ja auch der Fall der Mauer. Osteuropa öffnet sich so. Van Gogh TV nehmen das auch, vollziehen das auch mit, Riga und Moskau. Kannst du dazu noch was sagen?

Geert Lovink: Ja, gut. Das ist natürlich ein Teil auch meiner eigenen Biographie. Ich war in den 80er Jahren auch in Osteuropa unterwegs, habe auch gute Verbindungen zu Ostberlin. Habe damals auch schon… und dann Budapest, Anfang 90er Jahre, dann Rumänien und Aufbau auch von Soros Network, da aktiv dazu beigetragen, die europäische Variante, sei es von den Niederlanden aus oder von Deutschland aus, egal, um diese kulturellen Netze europaweit aufzubauen. Und Van Gogh TV war da ein Teil von, aber man kann auch sagen, dass es war nur ein beliebige Station, wo es sehr viele Stationen gab, vorher und nachher.

Interviewer: Was meinst du mit beliebiger Station?

Geert Lovink: Naja, gut. Ich meine beliebig. Es gab sehr viele.

Interviewer: Für Van Gogh TV war das beliebig, nach Osteuropa zu gehen?

Geert Lovink: Nein, aber umgekehrt. Für die Leute in Osteuropa kamen sehr viele vorbei, gab es sehr viele Verbindungen. In dem Sinne. Es gibt da keine Zweckmäßigkeit oder nicht mein Schicksal, dass Van Gogh TV über irgendwelche metaphysischen Verbindungen die Heimat im Osten suchte. Das ist alles Quatsch. Nein, darum geht es eben nicht. Es geht darum, dass die kulturelle Vielfalt und die Auseinandersetzung mit dem was im Hier und Jetzt passierte. Was die zeitgenössische Kunst und Kultur und Politik angeht, da war ganz im Mittelpunkt die Auseinandersetzung mit Osteuropa. Und natürlich 1992 lief schon der Jugoslawien-Krieg voll. Das müssen wir auch nicht vergessen. Das hat Ende 1991 angefangen. Und 1992 gab es die Bombardierung von Sarajevo und so weiter. Das fand damals während der Documenta statt.

Interviewer: Zum Schluss so eine vollkommen spekulative Frage noch. Es wurden da solche Mailbox-Chats eingeblendet, wo es da zum größten Teil um technische Probleme ging. Stellen wir uns mal vor, 1992 hätte es schon so ein zugängliches Internet über das Worldwide Web gegeben. Kannst du dir vorstellen, dass das irgendeinen Unterschied gemacht hätte?

Geert Lovink: Nein, das hätte überhaupt keinen Unterschied gemacht. Allein deswegen, weil, sagen wir mal… Naja gut, technisch hat das Internet nicht so viel mehr zu bieten. Ich finde nach wie vor eigentlich, die BBS Software, die es damals gab, finde ich interessant, hochwertig und auch für heutige Standards superinteressant. Also man kann da nicht rückblicken und sagen das war primitiv. Überhaupt nicht. Da macht einen grundsätzlichen Fehler, wenn man sagt, dass das, was damals da gemacht war, primitiv ist im Vergleich zu dem, was wir jetzt machen. Nein, überhaupt nicht. Konzeptuell ist es sehr, sehr interessant und noch heute, wenn wir die große Diskussion haben gegen Facebook, Google und so weiter. Zum Teil gehen wir zurück auf Konzepte, die da vorhanden waren, die verloren gegangen sind. Zum Teil gibt es da Arten und Weisen, wie Benutzer miteinander umgehen oder im Vergleich zu dem System und die Systemarchitektur, die sind immer noch viel, viel avancierter als dem, was heute Facebook-Benutzer zur Verfügung haben. Da bin ich also anderer Meinung.

Interviewer: Aber könntest du den Gedanken noch zu Ende führen, warum, wenn das Internet zugänglicher gewesen wäre, es trotzdem kein Einfluss auf Van Gogh TV hätte haben können?

Geert Lovink: Na ich würde sagen, weil das doch zu tun hat mit dieser Trash-Natur des Bildes. Und wenn das hiesige Internet einen Einfluss hätte gehabt, dann wäre das ein negativer gewesen, weil es hätte dann diese Trash-Ästhetik von uns abgenommen. Und das wäre natürlich ungeheuer schade gewesen, weil, das war der Charme und das ist nicht nur etwas Süßes oder so, aber für mich steckt dahinter auch eine ganz, ganz konkrete Punk-Ästhetik, die gezielt ist auf Konfrontation. Und die Konfrontation, die sieht man da im Bild selber und die wird nicht nur über Inhalte vermittelt. Und ja, deswegen kann ich sagen, wird das Internet solche Konfrontationen eigentlich eher wegnehmen und das wäre dann auch schade gewesen.

Interviewer: Du würdest sagen, dieser Look von Piazza virtuale, da ging es gar nicht so sehr darum, dass basisdemokratisch diskutieren können, sondern das war eher so eine Fuck-You-Geste.

Geert Lovink: Ja, auf alle Fälle. Aber auf der höchsten Ebene.

Interviewer: Kannst du nochmal das Ganze im Satz sagen, damit wir es schneiden können?

Geert Lovink: Ja. Piazza virtuale, da ging es um die Konfrontation mit der Perfektion des Bildes und die reibungslose Gesellschaft. Und Van Gogh TV wollte einfach diese Konfrontation mit dieser Punk-Ästhetik herstellen. Und diese Fuck-You-Mentalität, die kommt da besonders gut raus.

Interviewer: Wunderbar. Danke schön.