Interview mit Hermann Josef Hack, 18.04.2019

Siehe auch: Moby Dick’s Eye

Interviewer: Also. Wir haben ja gerade im Vorgespräch über Joseph Beuys gesprochen, vielleicht fangen wir damit auch einmal an. Bei dem gab es ja auch schon solche Andeutungen von so einem Netzwerkgedanken, dass man einerseits halt bei der Documenta die Honigmaschine hatte, dass aber auch diese soziale Skulptur hat ja so ein Element von so einem Netzwerk, wo halt so gemeinsame Impulse gebündelt und zu einem gemeinsamen Schaffen werden. Das könntest du da vielleicht, kann man das vielleicht irgendwie so herleiten, dass der Beuys da irgendwie etwas vorgedacht hat, dass da bei Piazza virtuale oder auch bei dir selbst konkretisiert worden ist?

Hermann Josef Hack: Ja, Joseph Beuys hat mich schon in jungen Jahren inspiriert für meine ganze Arbeit. Mich hat seine Soziale Skulptur, die Soziale Plastik, gereizt. Ich wollte etwas herstellen, bei dem viele Menschen beteiligt werden und eigentlich jeder mitmachen kann. Beuys hat den Gedanken der Sozialen Plastik jedoch eher im regionalen Kontext verstanden. Mir wurde in den 1980er Jahren klar, dass das Konzept zu einer Globalen Sozialen Plastik weiterentwickelt werden muss. Denn – wie wir heute sehen – hatte und hat die Globalisierung Auswirkungen auf jeden Winkel der Welt. Gesellschaftliche Veränderungen und Entwicklungen kann man nur global erkennen und verstehen.

Dazu wollte ich die Kommunikationsmedien, die damals ja noch kommunikative Einbahnstraßen waren, erweitern. Damals war nur eine Richtung bekannt: vom Absender zum Empfänger. Für mich war aber spannend, den Rückkanal zu öffnen. Und das war ja auch, was Beuys versucht hat, die Leute mitzunehmen und einzuladen. Einerseits kann ich mich mit dieser Haltung identifizieren, andererseits sehe ich ihn stark gebunden im klassischen Vermarktungskonzept seiner Galerien und Kunsthändler. Mich hat schon interessiert, die Leute in ihren Wohnzimmern abzuholen, was man zum Beispiel in einem Fernsehprojekt machen könnte. Also dahinzugehen, wo die Leute sind, wo die auch gerne kommunizieren. Und das ist eben nicht die Galerie und das Museum. Deswegen waren das sicher gute Impulse, die Beuys da gesetzt hat, aber seine selbst gewählte Rolle als Schamane, als Heilsbringer und als politischer Initiator, das war mir ein bisschen suspekt.

Interviewer: Aber du würdest mir Recht geben, wenn ich sage, dass es da halt auch schon so eine Idee gab, dass man sich halt vernetzt. Das ist ja von den Kasselaner auch übernommen und weitergeführt worden auch nach seinem Tod. Also da gibt es ja schon so dieses Element des Zusammenschluss und Medien haben da ja auch eine gewisse Rolle gespielt. Also Fragen sind da aufgetreten und Interviews gegeben, hat irgendwie dieses Rockstück da, das ist ja…

Hermann Josef Hack: „Wir brauchen Sonne statt Reagan“, ja, ein Song, den er mit Kölner Rockmusikern aufgeführt hat. Genau.

Interviewer: Also da würdest du mir Recht geben, dass da irgendwie auch schon so diese Medien auch eine gewisse Rolle spielen sollten zumindest.

Hermann Josef Hack: Auf jeden Fall. Einerseits hat er die Medien genutzt, um seine Person und seine Aura zu inszenieren, andererseits sieht man deutlich, wie er die Medien für die Sache einspannt. Beispielsweise hat er ja auch Poster und Postkarten genutzt und hat sehr viel signiert und viel mit den Leuten gesprochen und so. Also ich glaube schon, dass er mich in diesem Ansatz beeinflusst hat. Beuys hat sich viel aus der Anthroposophenkultur, konkret von Rudolf Steiner, abgeschaut. Dieses, ja fast schon Sphärisch-Kosmische hat er sehr stark mit seiner Person verknüpft und sich als Künstler-Schamane inszeniert. Für mich liegt darin ein gewisser Widerspruch, daher habe ich meine Kunst von einer anderen Seite entwickelt.

Interviewer: Gut. Dann machen wir einmal einen Sprung gleich zu unserem eigentlichen Thema. Piazza virtuale, Van Gogh TV, vielleicht kannst du einmal kurz zusammenfassen, wo du dich selbst so befunden hast, als du mit denen in Kontakt gekommen bist, was so deine Lebenssituation war und was deine künstlerische Tätigkeit in dem Augenblick gewesen ist?

Hermann Josef Hack: Ende der 1980er Jahre war ich Kunstbeauftragter des Bundesforschungsministeriums, weil mich schon damals diese Themen interessiert haben. So hatte ich für mich schon ein kleines Netzwerk mit Wissenschaftler*innen und Forschenden aufgebaut, die, wie man heute sagt, Klimaforschung betrieben haben. Also z.B. das Ozonloch untersucht haben, die auf Forschungsschiffen in den Ozeanen weltweit unterwegs waren und die Meere auf Schadstoffe untersucht haben und so weiter.
Ich nannte dieses Arbeitsnetzwerk „Global Brainstorming Project“, das war 1991. Unter diesem Dach habe ich bis heute über 200 Aktionen gemacht. Dabei habe ich die allgemeine Öffentlichkeit eingeladen, alle möglichen Gedanken zusammenzutragen, die uns helfen, Lösungen für die weltweiten Herausforderungen zu finden.
In diesem Kontext habe ich dann den Galeristen Hans Jürgen Müller aus Stuttgart kennengelernt, der auf mich aufmerksam geworden war. Hans Jürgen Müller ist als Mitbegründer des Kölner Kunstmarktes bekannt und hat als einer der Ersten die amerikanischen Pop Art-Künstler nach Deutschland geholt. Er fand meine Arbeit interessant und meinte, ich müsse unbedingt einmal die Leute von Ponton kennenlernen. Die seien jetzt auf der documenta und die machten da so ein interaktives Fernsehprojekt. Und dann hat er mich mit ihnen zusammengebracht. Wir haben in dem abgebrannten Pavillon von Müllers „Atlantis“-Projekt in Kassel getroffen. Das noch vor dem Beginn der documenta. Müller plante eine Art Think Tank für Wirtschaftslenker, einflussreiche Leute, Politiker und so weiter. Die sollten mit Künstlern zusammenarbeiten, um dann Fragen der Weltrettung zu behandeln. Unter dem Eindruck dieser Ruine hat Müller dann ein Treffen organisiert zwischen den Pontons, also Karel Dudesek, Salvatore Vanasco, Benjamin Heidersberger, Mike Hentz und mit mir. Und dann haben die Ponton-Kollegen einmal kurz erzählt, was sie so vorhaben.

Interviewer: Ich muss jetzt unterbrechen, weil dieser Pavillon, der war in Stuttgart oder der war in Kassel?

Hermann Josef Hack: In Kassel. Der war auf dem documenta-Gelände, Jan Hoet, der Leiter der documenta, hatte Müller wohl eingeladen, sein Projekt dort vorzustellen. Müller hatte super Kontakte überall hin.

Interviewer: Das ist aber nicht direkt da an der Königsstraße dieser Pavillon, wo jetzt so ein Café…

Hermann Josef Hack: Nein, nein. Der ist ja abgebrannt, den gibt es ja nicht mehr. Angeblich haben Neonazis den abgefackelt. Das war ein provisorisches Bauwerk …

Interviewer: Anlässlich der Documenta.

Hermann Josef Hack: Für die documenta gebaut und auch nur für dieses Projekt gebaut. Und der ist noch vor Eröffnung der documenta abgefackelt worden. In dieser Brandruine sah der Müller ein Symbol, sagte er, vielleicht ein ganz gutes Symbol, uns da einmal zu treffen. Ja, und dann bin ich dahin. Ich glaube, die documenta hatte noch gar nicht angefangen, das war vorher. Sie begann im Juni, und wir trafen uns Anfang des Jahres.
Nun, und dann haben wir uns vorgestellt. Und dann haben sie erzählt. Ja, wir machen das interaktive Fernsehen, das funktioniert so und so und so. Und ich habe von meinem Global Brainstorming Project erzählt. Dass ich mit vielen Wissenschaftlern in Kontakt stehe und ich gerade Projekte mit ihnen mache, z.B. hatte ich damals sogenannte Ideenkollektoren überall verschickt. Sie befanden sich auf Forschungsschiffen im Polarmehr, am Äquator, in Ozonmessflugzeugen und sogar im Raumschiff der D2-Mission. Das waren so eine Art Taschen aus Lkw-Planen, Ideen-Fallen. Also die Wissenschaftler muss man ja auch auf ihrer Ebene ansprechen. Und ich habe das „Mass-Global-Deposition-Trap-Experiment“ analog zu einer wissenschaftlichen Messkampagne genannt. Mit dieser Simulation wollte ich eine Anknüpfung an deren Messpraxis herstellen, ohne dies zu …
Also eine Depositionsfalle ist ein Auffangbehältnis, wo alle Ablagerungen zum Beispiel in der Luft gemessen werden. Das kannten die und dann habe ich so eine, ähnlich der, die dort an der Wand hängt (zeigt auf ein Objekt an der Atelierwand), so eine Tasche verschickt an alle möglichen Forschungsstationen. Und die hingen dann in Forschungsflugzeugen, auf dem Forschungsschiff Sonne, dann eine ist sogar auf der D2-Mission mitgeflogen. Davon gibt es sogar ein Zertifikat.
Und dieses Netzwerk hatte ich gerade akiviert und dann haben die gesagt, Mensch, du hast den Content. Wir müssen unbedingt etwas zusammen machen, lass uns zusammen gehen. Ja, und dann habe ich gesagt, gerne, denn ihr habt das Medium, das ich suche. Ich habe die Experten und den Content, den inhaltlichen Beitrag, dazu.
Und ich habe die Pontons auch gefragt, über was reden die denn da? Was kommuniziert ihr denn da? Also hier, hallo, ich bin in Paris, hallo, ich bin in Moskau. Was machst du jetzt? Ja, ich gehe Pizza essen. Und so war das ja auch. Dass man halt nur so Belanglosigkeiten austauscht wie heute auf Facebook, wenn ich mein Essen fotografiere. So war das damals schon, dass die Leute eben gesagt haben, ja, hallo. Wo bist du? Ja, wie ist da Wetter? Was machst du gerade? Ja, ich habe gerade eine Pizza gegessen. Und, war sie lecker? Auf diesem Niveau halt. Und ich habe versucht, das mit dem Content zusammenzubringen. Wie ist denn die Pizza, die der Forscher da isst in der Antarktis, kann man wirklich in den Schnee pinkeln oder so, ja? Und dann die Frage, was untersucht ihr denn an einem solch unwirtlichen Ort? Solche Dinge. Das haben die Leute auch gefragt. Und so sind wir zusammengekommen. Und dann haben wir natürlich erst einmal eine Oberfläche gebaut. Das heißt, da war ich jetzt weniger gefragt, das haben dann Ole Lütjens und Axel Roselius, diese technischen Freaks, gemacht. Die haben dann dieses Bullauge von dem Greenpeace-Schiff Moby Dick, als Symbol genommen, wir nannten das „Moby Dick’s Eye“ und dieses Bullauge war dann auch praktisch die Oberfläche und rechts und links waren dann die einzelnen Mails und so weiter, Telefonleitungen abgebildet. Und man hat halt auch dieses Gefühl, du bist jetzt in so einem Forschungsschiff oder man ist auf so einer Forschungsplattform Nordsee. Die war damals ich glaube zwölf Seemeilen vor Helgoland, und dort hatte ich ein Bildtelefon hingeschickt. Also rechtzeitig zur Documenta war so ein ISDN-Bildtelefon da und erst einmal analoge Bildtelefone und dann ISDN-Bildtelefone und dann haben wir mit diesen Geräten gearbeitet. Ja, und dann gab es so eine Sendung, den „Hack-Block“ nannten die das, jeden Tag zwanzig Minuten, zwanzig vor zwölf, und dann kamen wir halt mit diesem Global Brainstorming Project „Moby Dick’s Eye“ und haben dann die Leute auf die Wissenschaftler losgelassen und umgekehrt. Ich fand das bezeichnend, zum Beispiel, wenn da ein Kind einen Forscher auf dem Forschungsschiff oder auf einer Forschungsplattform in der Nordsee fragt, kann man heute Fisch noch unbedenklich essen? Und dann gab es erst einmal so eine Schweigesekunde, wo du merkst, der Forscher schluckt. Weil der denkt, oh Scheiße, was sage ich jetzt? Da war jetzt nicht wie sonst die abgestimmte Presseversion, nachdem sie drei Monate lang ihre Ergebnisse ausgewertet haben und dann irgendwie so eine abgeklärte Pressemitteilung die Ergebnisse vorgestellt hat, da war auf einmal so dieses Direkte und dann musste der Experte unmittelbar etwas sagen und dann hieß es: „Ja, weißt du, na, eigentlich schon, aber was wir hier messen, sind schon ziemlich hohe Schadstoffbelastungen“. Ja und dann ist natürlich die Frage, ja was machen wir denn da und es wurde klar, wenn die hier die ganze Zeit Öl verklappen und in der Nähe befinden sich die Fische und das messen wir, das ist nicht gut. Sollte man tunlichst vermeiden und am besten auch den Fisch nicht essen. Also da kamen schon viele Dinge auf, die die Leute auch in ihrem persönlichen Alltag interessiert haben.

Interviewer: Kannst du das uns noch einmal auf einer abstrakteren Ebene beschreiben? Was war das Ziel von diesem Moby Dick’s Eye? Also du hast jetzt konkret die Interaktion dargestellt, wir ja zum Teil auch schon auf den Mitschriften gesehen haben, aber die Idee dahinter in einer kurzen, knackigen Formel zusammenfassen?

Hermann Josef Hack: Die Idee von Moby Dick’s Eye war, den passiven Zuschauer zusammenzubringen mit einem interessanten Content, der den Zuschauer zum ersten Mal auf einer wissenschaftlich abstrakten Ebene zu der Frage führt, was macht der Mensch mit dem Planeten und wie reagiert der Planet darauf? Seit den Veröffentlichungen des Club of Rome war bekannt, dass der menschliche Einfluss auf den Planeten größer war, als man sich das vorstellen konnte. Zudem wurde deutlich, dass die Ressourcen des Planeten endlich sind. So wurde der Zuschauer erstmals eingeladen, sich aktiv in die Diskussionsprozesse um die Weiterentwicklung einzubringen. Dieser wurde vom passiven, staunenden Zuschauer zu einem aktiven Mitgestalter. Dass er sagt, okay, also was die Wissenschaftler da machen, hat etwas mit mir zu tun.

Interviewer: Die Perspektive des Zuschauers oder jetzt aus der Perspektive der Wissenschaftler, warum haben die da mitgemacht oder warum sollte es so etwas geben?

Hermann Josef Hack: Die Wissenschaftler haben sich ja immer beklagt, dass sie so gar keinen Kontakt zu den Leuten haben. Die Leute verstehen nicht, was wir machen. Wir sitzen da in unserem Elfenbeinturm. Wir wollen unsere Arbeit ja gerne verständlich machen und so weiter. Also die hatten schon ein großes Bedürfnis, sich selber zu vermitteln, und insofern war das eine Win-Win-Situation. Die Forschenden hatten zu dieser Zeit schon eine gute Ahnung davon, dass die Erkenntnisse ihrer Arbeit in der Zukunft ziemlich hart treffen wird. Was wir heute Klimawandel nennen, Global Change, die Klimakatastrophe, zeichnete sich damals schon ab. Da mich das damals beunruhigte und interessierte, habe ich mein Thema zum Thema von Moby Dick’s Eye gemacht.

Interviewer: Du sagst, sie hatten Interesse daran. Hatten sie denn auch das Talent das so darzustellen?

Hermann Josef Hack: Unterschiedlich. Also ich habe zum Beispiel mit Mojib Latif, der heute einer der bekanntesten und prominentesten Klimaforscher geworden ist und damals im Rechenzentrum in Hamburg noch ein ganz junger Wissenschaftler war, sehr gerne gearbetet, denn der konnte das sehr anschaulich beschreiben. Dann haben wir aber andere, ich weiß nicht, ob ich da Namen nennen soll, ich mache es einfach einmal. Professor Zurhausen ist Nobelpreisträger inzwischen, damals schon renommierter Experte im Krebsforschungszentrum Heidelberg. Also der hat sehr kompliziert und dem Laien schwer verständlich dargestellt, was er macht. Und der ist Krebsforscher, also ich meine, das interessiert jeden, das betrifft uns alle.
Also da gab es unterschiedliche Kommunikationstalente. Ich glaube, das hing auch vom Zuschauer ab, wenn das Publikum gefragt hat, ja sag einmal, wie macht ihr das denn da, wie fühlt sich das an? Dann hat der Wissenschaftler sofort gemerkt, das ist eine ganz andere Ebene, ich muss jetzt nicht in meinem Fachchinesisch antworten, sondern ich kann auch einmal antworten, ja, ich bin traurig, dass ich drei Monate ohne meine Familie in der Arktis sein muss. Und dann kamen eben ganz andere Bereiche zur Sprache, die sonst eben gar nicht erwähnt werden.

Interviewer: Wenn wir jetzt über Darstellungsaspekte sprechen, du hast gesagt, da wurde so eine Oberfläche, gleichzeitig war ja, was man einfach sonst an Bildern übertragen konnte war ja eher sparsam und zum Teil glaube ich auch nur schwarz-weiß. Und man konnte halt nicht das Labor und die Maschine da und das Präparat zeigen. Das war eigentlich im Grunde ein akustisches Interview mit ein bisschen Bildbeigabe. War das deiner Vorstellung entsprechend, hättest du das lieber opulenter gehabt? Wie beurteilst du da die visuellen Möglichkeiten, die sich da so geboten haben?

Hermann Josef Hack: Na, ich bin ja auch ein Kind dieser Zeit. Also ich habe jetzt auch ein Smartphone, ich benutze das jetzt auch so selbstverständlich. Aber wenn wir damals die ersten ruckeligen Bilder in schwarz-weiß gesehen haben, das war ja schon eine Sensation. Das war zu der Zeit, als der Forschungsminister selbst mit Astronauten telefoniert hat, das durfte kein Geringerer machen. Dann hat der nur gesagt, hallo, wie geht es Ihnen? Ja, geht es Ihnen gut? Ja, uns geht es gut. Aber wenn man dann überlegt, dass wir interaktiv wirklich auch bewegliche Bilder erzeugt haben und anbieten konnten, dann war das schon ein großer Schritt nach vorne. Also wir waren ja nicht verwöhnt. Heute würde ich natürlich sagen, super, wenn das gegangen wäre, dann hätte ich natürlich viel lieber noch mehr Material herübergebracht und noch genauer hingucken wollen, aber man muss das ja auch mal in Relation zur damaligen Kunstszene sehen, und da gab es weit und breit nichts Derartiges. Also wenn wir zum Beispiel Bohrkerne gezeigt haben aus diesem Tiefbohrprogramm in Windisch-Eschenbach, zehntausend Meter tief aus der Erde, dann waren das schon Dinge, wo die Leute gesagt haben, was ist das denn da? Also das hat die Leute schon angesprochen. Und ich glaube, das ist ja wie in der Kunst auch, du hast ein Symbol, das steht für etwas und das andere ist eben die Kommunikation darüber. Also da kam es uns auch gar nicht darauf an, jetzt genau zu sagen, das ist jetzt so dick und so breit und wie viel wiegt das, sondern dass man einfach einmal eine Vorstellung hat, was macht der Mensch damit? Und was hat das mit mir zu tun? Und ich glaube, das hat ganz gut funktioniert, auch schon mit diesen sehr einfachen Möglichkeiten.

Interviewer: Wir hatten natürlich zu der Zeit schon mit Live-Übertragungen aus dem Fußballstadion oder MTV Videos konkurriert. Da war Piazza virtuale natürlich schon vergleichsweise Magerkost dagegen. Also das hat dich nicht weiter gestört?

Hermann Josef Hack: Nein. Ich war ja natürlich interessiert an dem Inhalt. Und ich hätte mich natürlich gefreut, wenn wir das in so einer Auflösung gehabt hätten wie in einem Live-Fußballspiel. Aber du konntest eben nicht zu der damaligen Zeit von einem Schiff am Äquator einfach Bilder verschicken. Das konntest du von Köln nach Berlin per Telefax, oder per Eurovision meinetwegen mit einem riesen Aufwand von zahlreichen Ü-Wagen, aber du konntest es damals nicht von einer Plattform in der Nordsee oder von einem beweglichen Schiff mit Bildern einer Qualität von heute, das kann man einfach nur so als Pionierleistung sehen, so wie die ersten Faxe. Die Dinge, die wir da gemacht haben, waren einfach sensationell, technisch, aber auch kulturell. Wir waren auf dem höchsten technischen Stand, damals gab es nichts Besseres. Wir haben die neuen Medien einfach neu genutzt und das Nutzerprofil erweitert durch die Kunst. Das war im Nachhinein museal. Das ist mit den heutigen visuellen Möglichkeiten nicht mehr vergleichbar.

Interviewer: Ja, es war natürlich auch schon genial, dass man überhaupt durch diese Bildtelefone also die Möglichkeit hatte, jenseits von Satelliten und teuren Verbindungen bewegte Bilder zu schicken, ja. Kannst du noch etwas sagen, also ich habe hier noch Material von diesen Forschungsschiffen an der Nordsee gesehen, nach welchen Gesichtspunkten waren die anderen Kontakte oder die anderen Leuten mit den man da gesprochen hat ausgewählt und wer war das?

Hermann Josef Hack: Also das war die Forschungsplattform „Nordsee“. Das war eine feststehende, wie so eine Bohrplattform, die ist auch inzwischen abgebaut. Die war damals etwa zwölf Seemeilen vor Helgoland stationiert, und da waren halt alle möglichen Biologen, Meeresbiologen, Klimaforscher und so weiter tätig. Die waren da wie eine Ölbohrmannschaft da mit einem Hubschrauber eingeflogen und blieben dort für einen Monat oder einen längeren Zeitraum. Dann waren wir verbunden mit dem Forschungsschiff „Sonne“, welches zu dieser Zeit in der Nähe des Äquators operiert hat. Sie haben Grundlagenforschung für den Klimawandel betrieben. Das bedeutet, sie haben Sedimentproben genommen, Wasserproben aus verschiedenen Tiefen, Strömungen untersucht, die Atmosphäre auf dem Meer und gemessen sowie Mikroorganismen erforscht und nach neuen Rohstoffen gesucht.
All diese Dinge, die für den Klimawandel entscheidend sind. Auch Proben genommen, wie sich der Meeresboden vor Tausenden von Jahren entwickelt hat. Gab es schon einmal Eiszeiten? Und so weiter.

Und dann gab es halt das Kontinentale Tiefbohrprogramm der Bundesrepublik Deutschland in Windisch-Eschenbach, das ca. 10 Kilometer tief gebohrt hat, um auch festzustellen, wie hat sich die Geschichte der Erde entwickelt?
Dann haben wir das DESY gehabt in Hamburg. Das Elektronen-Synchrotronzentrum und das Krebsforschungszentrum DKFZ in Heidelberg beispielsweise. Weil ich zeigen wollte, wo die Expert*innen at the bleeding edge, also am neusten Stand des Wissens, arbeiten. Immer mit Bezug auf die Frage, was bedeutet das für unser zukünftiges Leben. Und das war für mich ja nur exemplarisch. Ich wollte den Experten zeigen, Leute, kommt ihr einmal aus dem Elfenbeinturm heraus und geht einmal auf die Öffentlichkeit zu und anders herum auch den Leuten in ihren Wohnzimmern sagen, scheut euch nicht, sprecht die Experten doch einmal an. Die werden von Steuergeldern bezahlt, die müssen euch auch sagen, was sie da machen. Und da war ich noch nicht einmal subversiv unterwegs, wenn ich gesagt habe, ich muss so ein Ministerium nutzen, das ist eine Service-Einrichtung für alle. Und jetzt zeigt uns einmal, wo wir stehen.

Interviewer: Und dieses Netzwerk hattest du ja schon im Griff für dieses Global Brainstorming Projekt. Wie hast du die dann praktisch darauf vorbereitet, was da mit ihnen gemacht werden würde? Hast du die dann noch in Deutschland noch so abgeklappert und denen auch gleich Bildtelefone mitgebracht oder wie sind die da eingeführt worden auf das, was ihnen da so entgegenkommt.

Hermann Josef Hack: Ich hatte denen ja für mein Deposition-Trap-Experiment meine Kunstobjekte mitgegeben und die haben das in ihren Forscheralltag integriert. Die Objekte waren sowas wie Nistkästen für Ideen, die noch nicht realisiert sind. Ein realer Ort für virtuelle Ideen. Für das documenta-Projekt habe ich aus dieser virtuellen Kommunikationsform eine reale in Form eines interaktiven Fernsehprojektes realisiert.
So habe ich ihnen das Projekt erklärt. Die meisten konnte ich schnell überzeugen. Ich habe hier drüben noch meine ersten Arbeitsbücher. Sie enthalten alle Adressen, Telefonnummern und sonstigen Verbindungen, Satellitendaten, Schiffskontakte, Fahrtrouten, aber auch meine Skizzen und Protokolle, Ideen und Textentwürfe. Diese habe ich bis heute weitergeführt, inzwischen sind es 65 Arbeitsbücher.
Meine Hauptarbeit war, die Forschenden anzurufen, anzuschreiben per Fax usw. und sie von der Idee des Globalen Brainstormings zu überzeugen. Dann waren die Termine zu koordinieren, um Satellitenverbindungen mit den Forschungsschiffen usw. im Benehmen mit der Deutschen Telekom, welche die Infrastruktur zur Verfügung stellte, zu organisieren. Ich habe alle gefragt, seid ihr bereit? Und überwiegend haben die gleich gesagt, ja, okay, was kostet uns das? Also, was müssen wir machen? Kostet euch nichts. Infrastruktur wird euch gestellt. Ihr müsst euch nur von der Zeit her irgendwie anpassen und mitmachen und so weiter und dann sind wir auf Sendung. Manche konnten das gar nicht glauben, denn die waren ja gewohnt, so ein Fernsehsender, der fragt da Monate vorher an und dann muss das erst einmal mit dem Direktor der Forschungsstation bzw. mit der Pressestelle abgeklärt werden und eine Genehmigung eingeholt werden und so weiter. Und hier war dieser direkte Draht schon von Anfang an da.

Interviewer: Das wäre jetzt genau meine nächste Frage gewesen. Wenn ich mir das heute so vorstelle, hätte da auf jeden Fall die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit mit die Finger drin und so. Also da das wurde umgegangen oder das gab es auch noch gar nicht so, dass da so viele Interessenten da die Möglichkeiten zum Mitmischen gegeben hätten?

Hermann Josef Hack: Also ich weiß schon, dass das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung, so wie heute alle Forschungseinrichtungen, eine Pressesprecherin bzw. einen Pressesprecher unterhalten, aber wir haben die einfach nicht beteiligt. Und dadurch, dass ich eben auch als Kunstbeauftragter des Bundesforschungsministeriums mir sozusagen den Hut aufgesetzt habe, habe ich das volle Risiko auf mich genommen. Und dann waren die Wissenschaftler auch gerade heraus. Es war für sie okay. Also ich habe niemanden mehr zwischengeschaltet, auch keine Journalisten als Übersetzer, heute wäre das, glaube ich, gar nicht mehr möglich. Da wird alles durchgekaut und vorsortiert und so weiter und ich kann mir gar nicht vorstellen, dass man das heute so machen könnte, aber damals habe ich das riskiert und das einfach so gemacht.

Interviewer: Und dabei wurde sozusagen dann auch die Technologie eine Rolle gespielt, dass man dann da so Hierarchien einfach durch das Bildtelefon umgehen konnte?

Hermann Josef Hack: Na, das weiß ich nicht. Also ich habe eine Sache in Erinnerung. Ich hatte das erste Bildtelefon einmal testen wollen, was ich von der Telekom bekommen habe, das habe ich noch immer. Die Telekom wollte das gar nicht mehr zurückhaben. Ich glaube, das hat vierzig Tausend D-Mark damals gekoste. Ich wollte ein Probegespräch machen und dann habe ich gefragt, wer hat denn so ein Ding? Mit wem kann ich denn einmal reden? Und dann erhielt ich ein Telefonbuch, ein Telefonverzeichnis, da waren vielleicht fünf Nummern drin und eine davon gehörte einem Mercedes Benz-Vorstand. Und dann habe ich dort einmal angerufen und gefragt, können wir nicht einmal bildtelefonieren? Ich dachte, ich schalte meins an und er schaltet seins an und dann reden wir. Über das normale Telefon erreichte ich seine Sekretärin, die mir mitteilte, wenn ich mit ihm bildtelefonieren wolle, müsse ich einen Termin verabreden, in drei Wochen oder so. Da habe ich vorgeschlagen, gehen Sie doch einfach einmal ran. Ich rufe Sie jetzt an, aber das war unmöglich. Also bei denen war das schon hierarchisch alles durchdekliniert. Ganz anders als bei meinen Gesprächspartner*innen im Forschungsbereich.

Interviewer: Hat der denn… Also das ist jetzt eher eine technische Randfrage, aber wo wir gerade darüber sprechen: Hat in der Zeit in Sachen Kommunikation das Internet auch schon eine Rolle gespielt, denn viele von den Forschungseinrichtungen könnten da ja schon Zugang gehabt haben, beim Ministerium vielleicht auch?

Hermann Josef Hack: Nein, also das gab es so gut wie nicht. An den Unis gab es so ein internes kleines Kommunikationsnetz von wenigen Nerds, und das war ja schon bei den US-Militärs erfunden, insofern hatte es auch den Beigeschmack von etwas Geheimnisvollem, aber es war noch, also aus dem Ministerium heraus, gar nicht wahrgenommen und geschweige denn in der Regierung oder so. Ich weiß noch, dass ich Jahre später, ich weiß jetzt nicht 1995 oder so, ein Projekt gemacht habe, das „Ozonloch als globale Skulptur“. Und da wollte ich Politiker ansprechen, und ich hatte damals auf dem Internet schon eine virtuelle Darstellung des Ozonlochs, wie es sich aktuell verändert und so weiter, was man beeinflussen konnte. Eine interaktive Graphik. Und dazu wollte ich die damalige Umweltministerin Angela Merkel ansprechen und einladen. Ich weiß noch genau, wie ihre persönliche Referentin sagte, ja Internet, was ist denn Internet? Also das war absolut kein Thema.

Interviewer: Ja gut, auf der Ebene, da war es ja auch vor zwei Jahren oder vor drei Jahren noch Neuland, also ich hätte halt gedacht unter diesen Wissenschaftlern und (unv.) und so, die haben da schon mit Ihren Kollegen rund um den Globus kommuniziert.

Hermann Josef Hack: Nein, so weit war das noch nicht. Also wirklich nicht.

Interviewer: Gut. Die, also die Vorbereitungen und die, wie das eingerichtet und sozial das ist ja auch wichtig, das vorzubereiten, darüber haben wir jetzt gesprochen. Dann gibt es natürlich noch die konkrete Umsetzung. Warst du damit zufrieden? Oder hast du dir dann irgendwann überlegt, da musst du etwas dran ändern, das kann so nicht bleiben? Da muss auch von der Piazza virtuale aus vielleicht etwas anders gemacht werden oder bist du mit den Resultaten so zufrieden gewesen?

Hermann Josef Hack: Na ja, also ich meine, das war ja schon eine große Leistung überhaupt, diese Medien völlig neu zu nutzen. Aber im Nachhinein muss ich sagen, da hätte man noch mehr draus machen können. Erst einmal auch was den Content anbelangt, ich habe ja auch andere Sendungen gesehen, also außerhalb meines Blocks sozusagen. Da kamen zeitweise über ein „Hallo, hallo, wer bist du? Hallo, hallo, hallo. Ich kann dich nicht verstehen“ hinaus wenig substanzielle Beiträge heraus. Also ein ziemlich oberflächliches sich Wahrnehmen. Also ich hätte mir gewünscht, dass das noch ein bisschen mehr strukturiert wurde. Dennoch darf man nicht vergessen, dass dieser Impuls, die Befreiung des passiven TV-Empfängers zum aktiven Teilnehmer bzw. zur Teilnehmerin, ein großer innovativer Sprung nach vorne war. Und von der Kunst, nicht von der Technik kam. Zum Verständnis, wie sich das damals anfühlte, schildere ich mal ein Erlebnis. Ich komme von Kassel nach Hause und schalte den Fernseher an. Wenn du jeden Tag so eine Sendung machst, du bist da irgendwo schon so ein bisschen angehypt. Das ist ja, wie wenn du so jeden Tag eine Show hast sozusagen, wie die Harald-Schmidt-Show, jeden Abend Late Night oder so und dann hast du da, wenn es auch nur zwanzig Minuten sind, schon so ein bisschen das Gefühl, da geht etwas. Und dann kommst du nach Hause und dann siehst du in deinem Fernseher Deutschland erzählt sich die besten Witze. Mit einem riesen Aufgebot im Studio vor einer aufwändigen Kulisse zeigten sie zwei Mannschaften, die sich gegenseitig Witze erzählten vor der Kamera, und da war dann ein Showpublikum und so weiter und so fort. Und da habe ich gedacht, wo sind wir geblieben? Also ich meine, mit diesem technischen Vorsprung, der wurde überhaupt nicht genutzt. Und das war ja auch Jahre später noch so.
Als Van Gogh TV vorbei war, bin ich nach Hause gekommen. Habe gesagt so, was machst du jetzt? Du hast kein Fernsehstudio, du kannst das jetzt nicht weiter, da habe ich ein Faxwechselprojekt gemacht mit dem Bonner General-Anzeiger mit dem Forschungsschiff Sonne. Und dann haben wir das sozusagen auf Faxebene, also mit einem anderen Medium weitergemacht. Was auch schon sehr schwierig und sehr teuer war. Es wurde damals von der Telekom gesponsert, das hätten wir sonst gar nicht bezahlen können, ein Fax auf ein Schiff mittels Satellitenübertragung zu senden, kostete ein Vermögen. Mein Global Brainstorming Project ging auf diese Weise weiter. Also ich fand das eigentlich schade, ich hätte mich gefreut, wenn man das Van Gogh TV noch weiterentwickelt hätte.
Das ging mit der documenta auseinander. Zwar haben wir auf der Mediale in Hamburg da noch einmal etwas gemacht, und dann war es das eigentlich im Wesentlichen.
Danach fing ich an, meine virtuellen Dächer zu bauen. Das war so eine Art Plattform, bei der man dann den Himmel über einer bestimmten Stadt besiedeln konnte und so neue Nachbarschaften entstanden. Das war eine Vorläuferform eines soziales Netzwerkes so wie später Facebook.
Oder mein virtuelles Hochhaus über dem Reichstag, wo die Leute oberhalb vom Reichstagsgebäude virtuelle Zimmer beziehen konnten und sich in diesen virtuellen Welten einander kennenlernen konnten. Auch das war ein Modellprojekt für ein soziales Netzwerk.

Interviewer: Diese zum Teil etwas schallenden Sprüche zu dem Projekt, ihr habt den Spitznamen Hallo-TV eingetragen, also das war auch deine Wahrnehmung, dass das…

Hermann Josef Hack: Ja, ja. Also ich meine, wenn du die Sendungen gesehen hast, auch selbst in unseren, kam ja immer wieder vor, dass die Beteiligten sich rückversichert haben. Sie waren ja nicht gewohnt, im Fernsehen aufzutreten und haben sich ständig gefragt, bin ich das überhaupt? Wenn ich heute Radiosendungen höre, wo dann auch eine Art Pseudo-Beteiligung stattfindet, wenn dann da fünf Leute in der Sendung anrufen und zum Thema was erzählen, das ist ja keine wirkliche interaktive Sendung. Aber zumindest da weiß jeder, okay, ich bin jetzt im Radio, aber dass die Leute sich erst einmal rückversichern, hallo? Bin ich das jetzt? Hallo, hören Sie mich? Und so, diese ganze Geschichte, die brauchte unheimlich viel Zeit und Aufwand, stattdessen einfach einmal mit einem Selbstverständnis da herein zu gehen und zu sagen, so, ich habe jetzt einmal etwas zu sagen oder ich stelle jetzt meine Frage, das waren die Leute einfach nicht gewohnt.

Interviewer: Und ich will das jetzt nicht verteidigen, aber aus der Sicht von Van Gogh TV wäre auf solche oder ist auf solche Einwände auch gesagt worden, das ist das Konzept, die machen gar nichts. Diese ganze künstlerische Beeinflussung, ja, dass sie sich selbst gegen deutsche Hokuspokus irgendwie ausgesprochen, das lassen wir einfach einmal weg, wir gucken einmal, was passiert. Das hat dir theoretisch eingeleuchtet oder praktisch nicht? Oder gar nicht eingeleuchtet, oder?

Hermann Josef Hack: Nein, als Künstler fand ich das genauso selbstverständlich wie Minus Delta T, wenn die da so einen Felsen durch die Gegend transportiert haben als Kommunikationsobjekt. Also das finde ich als Künstler völlig in Ordnung. Ich bin ja auch nicht angetreten, ich bin ja kein Wissenschaftsjournalist oder -vermittler. Sondern, sagen wir einmal so, Kunst als Kommunikation, darin sehe ich den Schlüssel, aber eben in einer anderen Form. Wir brauchen dringend eine neue Sicht auf die Natur, eine komplett neue Ästhetik. Ich nenne das die Ästhetik des globalen Überlebens. Da alle Faktoren, welche die Klimakatastrophe antreiben, kulturelle Phänomene sind – was wir essen, wie wir uns kleiden, wohnen, reisen usw. – müssen wir die kulturelle Frage stellen. Wir Künstler*innen sind prädestiniert, uns damit auseinander zu setzen und die Gesellschaft mitzunehmen. Ich möchte die Leute ansprechen, ich möchte denen eine Gelegenheit geben zu Interaktion und Kommunikation, ich möchte sie anstiften zur Kommunikation, aber was die kommunizieren, das möchte ich nicht vorgeben. Und so finde ich auch Van Gogh TV völlig in Ordnung, nur halt die Angebote, da kommt es ja auch drauf an. Also wenn ich jetzt Angebote mache, wo ich die Beteiligten mit attraktiven oder ich denke einmal bedeutsamen Leuten zusammenbringe, auch aus der Kunst meinetwegen oder Philosophen. Das ist ja etwas anderes, als wenn ich jetzt einfach nur sage, okay, also jeder, der darf, kommt jetzt dran und kann irgendetwas sagen. Das ist auch okay. Mir steht das auch gar nicht zu, den Künstlerkollegen vorzuschreiben, was die jetzt für ein Konzept zu machen haben, das haben die erfunden, das ist so und dann basta, das ist okay. Nur das Global Brainstorming Project ist eben ein Angebot, bei dem ich sage, gut, kommunizieren müsst ihr selber, aber ich stifte die Kommunikation und ich versuche, eben die Leute aus ihrem Schneckenhaus herauszuholen. Aber machen müssen sie es selber. Und ich bin jetzt nicht der Messias, der ihnen zeigt, wo es lang geht. Sondern ich bin einer von euch. Ich stelle mich auch auf die Straße zu euch und baue da meine Klimaflüchtlingslager auf oder was auch immer. Ich bin also bei den Leuten.

Interviewer: Jetzt einmal ganz historisch erinnert gefragt. Wer von dieser Gruppe ist von dem, was du gesagt hast, besonders angezogen gewesen? Hast du das Gefühl, die fanden das alle gut? Gibt es da Referenzen? Wo waren da so die Berührungspunkte mit den Leuten?

Hermann Josef Hack: Ach, ich denke, zu dieser Zeit waren eigentlich alle ziemlich geflasht von dieser Möglichkeit und fanden das alle gut. Ich habe einen intensiveren Kontakt zu Karel Dudesek gehabt, weil der ein bisschen mehr an dem Forschungsthema interessiert war, aber ich könnte jetzt nicht sagen, dass ich irgendwo einmal gehört hätte, dass die gesagt haben, das ist irgendwie langweilig oder so. Ich denke, das fanden die alle sehr spannend. Ich kenne keine anderen Meinungen dazu.

Interviewer: Und wie würdest du deine Partner da irgendwie beschreiben? Was waren das für Leute? Was war das für eine Gruppe?

Hermann Josef Hack: Also, die ganze Pontongruppe war ja ein Grenzen überschreitendes Team. Das war ja jetzt nicht so, wir sind Künstler wie heute „Zentrum Politische Schönheit“, dass man sagt, wir haben jetzt ein bestimmtes politisches Konzept. Ich kenne auch kein Manifest, dass man sagt, wir wollen dies und das und das machen, das andere nicht, sondern es war halt ein bunter Haufen von allen möglichen Leuten, das fanden die auch gut, dass das offen war. Also diese endlos langen Gespräche in Hamburg oder auch in Kassel, wir haben da oft stundenlang draußen gesessen vor dieser großen Fly Away auf dem Platz vor dem Fridericianum und haben mit Leuten diskutiert, die zu uns kamen. Aber auch um zu gucken, was machen wir da jetzt gerade? Wie geht das weiter? Das hat also gezeigt, dass man auch offen war und tolerant gegenüber neuen Erkenntnissen und Ideen, auch wenn es quälend war, bis der Letzte etwas gesagt hatte. Diese Form des Heterogenen fand ich ok. Manch einen mag das langweilen, wenn man es gewohnt ist, in so kurzen Sequenzen zu arbeiten. Zu sagen, hier ist das Ziel, hier der Weg dahin, zack, zack, jetzt muss das laufen. Für Leute, die so arbeiten, war das sehr anstrengend. Aber für die Kunst und für die Bewegung als Medienprojekt fand ich das einfach wegweisend. Das war etwas Neues.

Interviewer: Sie hatten ja auch schon so ein bisschen den Ruf, so von solchen Schlägereien und Konflikten nicht abgeneigt zu sein. Hat das da auch noch eine Rolle gespielt? Hast du das auch wahrgenommen, dass es da so Zoff gab und Reibereien, Provokationen?

Hermann Josef Hack: Ja. In so einer Gruppe gab es immer persönliche Dissonanzen und Reibereien. Also ich habe jetzt keine blutigen Schlägereien erlebt, aber es gab schon heftige Wortwechsel und zum Glück nicht in dem Sinne, dass man da jetzt aufeinander zugegangen wäre oder so. Das ist auch nicht mein Stil. Und ich habe das auch eher vom Hören-Sagen mitbekommen, da gab es schon Hitzköpfe dabei und ja, das war eben deren Temperament, aber hat mich nicht berührt, nein.

Interviewer: Wie sieht es denn mit persönlichen Erinnerungen an diese konkretere Situation vor Ort in Kassel mit diesen Containern und über relativ langer Zeit in so einer Gruppe arbeiten aus? Du scheinst ja auch ein paar Mal dagewesen zu sein. Wie kam dir da die Arbeitsatmosphäre vor?

Hermann Josef Hack: Ja ich muss sagen, ist schon cool, wenn du in so einer Weltkunstausstellung auf dem Marktplatz sitzt, diese Piazza war ja nicht nur virtuell, das war auch neben dem Fridericianum eine reale Piazza mit so ein paar Plastikstühlen und diesen Containern und einer großen Satellitenschüssel im Nacken. Und dann hast du gerade einmal eine Sendung gemacht oder du gehst einmal in den Container und sagst, ich mache jetzt einmal schnell eine Live-Sendung, und die wird jetzt auf Olympus und 3SAT und so weiter in die Welt gesendet. Und dann kommst du zwanzig Minuten später wieder heraus und sagst, na, und? Das hat schon etwas Besonders. Dies ist ein spezielles Feeling, dass du mit der Welt verbunden bist, und die documenta hat ja auch dieses besondere Flair, dass da alle möglichen Menschen aus aller Welt wirklich kamen und auch neugierig waren. Also wir haben sehr viele Leute aus Asien gehabt, besonders Japaner*innen. Viele aus Amerika, die viel fotografiert haben, die viel geguckt haben, die sehr viel auf interaktives Fernsehen geguckt haben. Also, es war für die technische Seite für viele einfach ein Novum und auch interessant. Und ich glaube, von der künstlerischen Seite auch, weil die gesagt haben, ist das Kunst? Was hat das mit Kunst zu tun, was ihr da macht? Und ebenso von der kunsttheoretischen Seite aus waren Leute da, die uns interviewt haben, uns befragt haben. Und ich kenne keinen Tag, wo wir nicht irgendwie in Gespräche, Interviews verwickelt waren und unsere Position da auch geschärft haben an diesen Gesprächen. Das war schon immer auch ein Abarbeiten.

Interviewer: Diejenigen, die da also gerade auch so mit den technischen Aspekten betraut waren oder auch einfach das Programm irgendwie fahren mussten, die haben das einfach als sehr stressig in Erinnerung. Sie haben ja jetzt gesagt, das war wie irgendwie ins Bergwerk zu gehen, das hast du persönlich jetzt aber nicht so mitbekommen?

Hermann Josef Hack: Also ich habe den Leuten auch angesehen, dass sie sehr beansprucht waren, dass das Stress war, dass das auch neu war und sie mussten das beherrschen, diese Technik und das war live auf Sendung. Da war enormer Stress zu spüren. Auf der anderen Seite war es aber auch so der Stolz oder dieses wir machen da etwas Besonderes, also das war so ein Zwischending. Ich glaube jetzt nicht, dass die nur gelitten haben, sondern es war eben auch dieses Nerdige, da bin ich jetzt an etwas ganz Neuem dran und ja, wir müssen das irgendwie nach Hause fahren. Aber an den blutunterlaufenen Augen konnte man schon sehen, dass die Leute da ihr Bestes gegeben haben. Also, das würde ich schon sagen, war schon eine stramme Leistung.

Interviewer: Ja, also gerade diese technische Installation war ja zum Teil, größten Teil ja auch wirklich selbst entwickelt.

Hermann Josef Hack: Ja.

Interviewer: Und zur damaligen Zeit war das absolut annonciert. Du hast ja gerade zu deinen vorherigen Gesprächen schon deine eigenen Erfahrungen wie man Fernsehen aus dem trauten Heim machen kann erzählt, kannst du das bitte vor laufender Kamera noch einmal wiederholen?

Hermann Josef Hack: Ja, das Schöne war eigentlich diese Selbstverständlichkeit, wie ich also beispielsweise sonntagsvormittags in meinem Wohnzimmer zu Hause saß. Ich hatte damals schon zwei kleine Kinder, und die sprangen da herum und mein damaliger Schwiegervater kommt zu Besuch und fragt, was machst du denn da? Ich sitze vor meinem normalen Fernsehgerät mit einem Schnurtelefon und moderiere und der denkt, der telefoniert da gerade, da fragt er, was machst du denn? Mit wem sprichst du? Und dann sage ich, ich mache gerade Fernsehen. Also ich war gerade mit der Live-Sendung in Nagoya, Japan, zugange und mit mehreren Leuten dort im Kontakt und versuchte, die ins Gespräch zu ziehen, und mein Schwiegervater hat mich angeguckt, als würde er sagen, der hat irgendetwas genommen. Das konnte der gar nicht verstehen. Aber für mich war das schon so selbstverständlich, dass ich einfach in meiner Jogginghose auf dem Boden vor dem Fernseher saß, gemeinsam mit den Kindern so im Wohnzimmer ganz normal und ja, ich machte Fernsehen. Also nicht in einem Studio und mit Klappe und mit Beleuchtung und Ton und so weiter, sondern es war einfach da und es lief. Und so war das auch, man gab einfach das Beste.
Oder ich kann auch noch eine Geschichte erzählen: Ich war mit einem israelischen Staatsgast aus Jerusalem, der Leiterin des Jerusalem Museums für zeitgenössische Kunst, auf Bitte unseres Staatssekretärs verabredet, der meinte, ich solle ihr die Kölner Kunstszene zeigen. Dafür habe ich mich mit der Direktorin des Museum Ludwig verabredet, um unserem Gast eine persönliche Führung zu ermöglichen. Daduch konnte ich meine Live-Sendung nich von Bonn aus moderieren, sondern musste mir eine Alternative in Köln suchen. Dann habe ich gesagt, ja, okay, wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich Sie bitten, mich zu begleiten. Ich mache jetzt gleich eine Live-Sendung von der documenta, Van Gogh TV. Ich muss dazu, wenn wir in Köln sind, zur dortigen Telekom in deren Zentrale am Fernsehturm. Ja, fand die toll. Wir sind da mit einem Fahrer hingefahren und ausgestiegen und ich wusste, ich habe noch eine Viertelstunde und dann muss ich live auf Sendung. Und ich wusste gar nicht, wo genau ich hinmusste. Also Pförtner gefragt. Sag der, ja, Sie müssen durch das ganze Gebäude und hintenherum noch einmal links und so. Und ich fühlte mich wie in so einem schlechten Traum, du weißt, du verlierst die Zeit und du kommst nicht mehr an und so und du musst durchlaufen und alles Flure. Rechts und links Türen irgendwo. Ich habe angeklopft, suche den Herrn so und so. Ja, der sitzt im anderen Gebäude. Ich gucke einmal, ich rufe den einmal an und so und dann, biss ich einmal da war, das war wie ein Albtraum. Und ich komme da an und sage, so, wir machen jetzt diese Van Gogh TV-Sendung, mein Name ist Hack, ich mache jetzt hier die Sendung. Ja, sagten die, da wir müssen ja erst einmal testen. Wir müssen erst einmal die Bildtelefone von einem zum anderen Zimmer anrufen. Sage ich nein, haben wir gar keine Zeit, wir gehen jetzt auf Sendung. Und ich sage, rufen Sie die Nummer an, komm, wir machen das jetzt. Und dann gingen wir sofort rein, kalt, in die Sendung rein und das hat funktioniert. Und das finde ich halt so das Coole daran, es wurde nicht drei Mal geprobt. Ich habe auch schon einmal für den WDR solche Live-Schaltungen im Fernsehen gemacht mit den Forschungsschiffen. Da wurde das alles vorher noch einmal durchgegangen und so weiter und so weiter. Nein, das wurde halt einfach gemacht und das hat funktioniert.

Interviewer: Wieso musstest du da zur Telekom?

Hermann Josef Hack: Ja, weil dieses Bildtelefon das nächste was da stand, das war eigentlich in Bonn. Ich hatte eins in Bonn, aber aus irgendeinem Grunde wollten die, ich weiß jetzt gar nicht mehr, die wollten die Sendung von Köln aus machen, weil die Telekom da etwas testen wollte. Irgendwo etwas. Also es lag jetzt nicht an mir, aber… Nein, jetzt weiß ich es wieder, Moment. Noch einmal. Also wir sind nach Köln gefahren, weil ich diesen Gast ins Museum Ludwig begleiten sollte. Und da war ich, ich musste nach Köln. Und da habe ich vorher gefragt, wie könnte ich das von Köln aus machen? Und da haben die gesagt, kein Problem, fährst du zu dem Funkturm und da ist so ein Bildtelefon. Habe ich gesagt, okay, kein Problem. Warum soll ich das von Bonn aus machen? Also wir sind nach Köln gefahren und dann ergab sich diese Geschichte.

Interviewer: Und das heißt aber, die hatten ja selbst eigene, einen Bereich von eigenen Geräten von Panasonic, glaube ich, ja, die sie dann auch so verbreitet haben, um dann auszustatten, das brauchtest du gar nicht, weil du Zugriff auf…

Hermann Josef Hack: Ich hatte ein Siemens. Ich hatte so ein Siemens-Gerät in meinem Büro stehen und das habe ich dann von Bonn aus genutzt, genau.

Interviewer: Wenn du jetzt so rückwirkend darauf schaust. Was würdest du sagen, was so die Bedeutung für deine Entwicklung gewesen von Piazza virtuale?

Hermann Josef Hack: Das war für mich ein Quantensprung in dieser ganzen Kommunikationswelt, dass man also diese Gleichzeitigkeit gespürt hat, da geht etwas Neues. Für mich war Internet noch nicht funktionsfähig. Das war die Vorstufe. Aber dieser Wunsch, mit vielen Menschen gleichzeitig etwas zu machen, das war mein Antrieb. Also irgendwo so ein Netzwerk zu haben, eine Informationsmöglichkeit, möglichst viele Leute einzubeziehen, das hat mir gezeigt, das geht. Und dass eben auch dieser spannende Inhalt irgendwo vermittelt werden kann, das hat mich schon sehr angesprochen, und das hat in mir auch neue Projekte ausgelöst. Aber, wie gesagt, das hat mich auch bestätigt in meinem Global Brainstorming Project, ich würde einmal sagen, ohne Van Gogh TV hätte ich das auch weiter gemacht. Vielleicht anders. Insofern hat es das vielleicht multipliziert oder beschleunigt und ansonsten, nachdem es das nicht mehr gab, habe ich mir eben andere Wege gesucht und einfach weitergemacht. Aber das war sicher ein sehr bezeichnendes Moment und auch eine sehr interessante Begegnung. Auch mit anderen Künstlern in dieser Gruppe, eben nicht nur die aus dem klassischen Milieu der Kunstakademie, sondern auch mit diesen ganzen Technikfreaks, das ist genau mein Ding gewesen. Weil ich auch versucht habe, Leute mit einzubeziehen, die nichts mit Kunst zu tun haben. Und das war schon eine gute Erfahrung.

Interviewer: Und wenn du das jetzt einmal aus der Perspektive unserer heutigen Mediengegenwart dir anguckst, wo es halt soziale Netzwerke gibt, Facebook, Twitter, YouTube und so weiter und so fort, wie würdest du Piazza virtuale da so einordnen? Also Vorläufer, war das ein Schritt in diese Richtung oder die falsche Richtung oder eine bessere Richtung?

Hermann Josef Hack: Als Ganzes gesehen, das war auf jeden Fall ein Vorläufer. Ein Türöffner für eine bessere Richtung. Das Medium ist nur so gut wie die Leute, die es benutzen. Und so anspruchsvoll eben wie die User. Ich glaube schon, dass es damals besser, wie soll ich einmal sagen, moralisch besser war, als heute, weil es nicht unter dem Gedanken stand, möglichst viele Kontakte zu machen, um damit möglichst viele Daten anzuhäufen, die auszuwerten, zu verkaufen und so weiter, sondern weil dahinter der gutgläubige Ansatz war, Menschen zusammenzubringen und einmal zu gucken, was da passiert. Also ohne jede weitere Absicht kommerzieller Art oder so. Das fand ich eine lautere Geschichte. Aber das kann man gar nicht mehr vergleichen mit diesen ganzen heutigen Medien, Instagram, Google und was nicht alles.

Interviewer: Aber wenn wir jetzt einmal den Begriff soziale Medien einfach nehmen. War Piazza virtuale für dich ein soziales Medium oder ein Vorreiter von sozialen Medien oder das Gegenteil von sozialen Medien?

Hermann Josef Hack: Ich würde eher sagen ein Vorläufer, denn ein soziales Medium ist ja etwas, was wirklich jeder benutzen kann. Und wer hatte damals schon so einen Zugang? Es lief über das Fernsehprogramm, gut, das waren schon so die ersten Ansätze. Also ein Vorläufer. Für mich ist ein soziales Medium wirklich erst dann gegeben, wenn sich alle beteiligen können, und ich habe direkt anschließend ja auch Projekte gemacht, Internet für Obdachlose und so weiter. Ich habe versucht, diese Medien auch allen, die eben fern davon sind, kostenfrei zur Verfügung zu stellen. Und da hätte ich mir eben auch noch mehr gewünscht, dass Van Gogh TV weiter in die Richtung gegangen wäre. Insofern war das eine Pionierleistung, aber eben noch nicht so ganz erfüllt, oder sagen wir einmal, da hätte noch mehr kommen können. Aber es ist im Nachhinein immer leichter, solche Forderungen zu stellen. Ich glaube, es war ein Vorläufermedium.

Interviewer: Stichwort Pionierleistung vielleicht noch einmal kurz zurück zu der Technik. Das ist ja auch so ein bisschen, Kassler so gesehen und auch einschätzen könne, wo würdest du sagen befinden wir uns da? War das, irgendwie also, ja, ich glaube, du verstehst die Frage. Was sagst du zu diesem medialen Umfeld, das die da aufgebaut haben?

Hermann Josef Hack: Ja, soweit ich das überhaupt als technischer Laie beurteilen kann, war das schon eine sehr innovative Geschichte. Alleine Bildübertragungen möglich zu machen, war ja für diese Zeit schon eine Pionierleistung. Ich habe vorher nichts Gleichartiges gesehen. Und wie gesagt, ich bin jetzt kein Nerd oder jemand gewesen, der sich für die Technik primär interessiert hat. Aber auch nach meinem Kenntnisstand von derlei Technik im Bereich der Förderung des Forschungsministeriums war das schon sehr an der Spitze. Und ja, ich denke, das ist auch imitiert worden von vielen. Wir hatten ständig viel Besuch von chinesischen und japanischen Reisegruppen, die viel fotografiert haben, in Kassel. Und ich weiß, dass ein junger Mann aus New York, der sich umfassend bei uns erkundigt hat, später eine Professur mit einem billigen Abklatsch von Van Gogh TV in New York erhalten hat. Und von daher denke ich schon, dass wir Pioniere waren …

Interviewer: Und was fällt dir da so konkret so ein, wo du das Gefühl hast, so hier ist DNA von Piazza virtuale drin?

Hermann Josef Hack: Heutzutage?

Interviewer: Seither.

Hermann Josef Hack: Seither? Ja, also alles was mit interaktiven Sachen zu tun hat wie gesagt, das hat ja lange gebraucht. Wie gesagt, also MTV oder so, die haben ja gar nichts gemacht. Ich habe ja immer gedacht, jetzt kommt etwas. Also ich habe gedacht, jeden Tag kommen jetzt alle Sender und machen das nach. Also da liegt das auf der Hand, alle werden das jetzt übernehmen, aber das Gegenteil war ja der Fall. Ja, die haben schön brav ihre kontrollierten Sachen abgegeben. Der Zuschauer, ich habe auch einige Texte dazu geschrieben damals, ist ja immer noch bevormundet und so weiter und kontrolliert und es ist überhaupt nichts passiert. Also das war ganz anders als ich erwartet hatte. Ich dachte, jetzt ist ein Dammbruch und nach so etwas kann jetzt eigentlich kein ZDF, ARD oder so einmal weiter hingehen und langweiligen Sachen aufzeichnen. Da müsste doch jetzt eigentlich jeder mithalten. Aber es hat keiner gemacht. und es ist auch nicht viel passiert und heutzutage, was gibt es Ähnliches? Ja gut, Facebook oder so, diese Plattformen, wo man sich dann doch selber organisiert und so weiter. Im positiven Sinne, natürlich auch im negativen Sinne, aber da ist so ein Spirit natürlich mit drin. Dass man sagt, jeder kann an jedem Ort mit jedem kommunizieren. Darf nichts kosten. Oder diese WhatsApp-Geschichten, ich kann heute ein Bild irgendwo hinschicken und könnte auch mit Wissenschaftlern kommunizieren und Dinge, Ergebnisse herausbringen, die…

Interviewer: Könnte man, könnte man.

Hermann Josef Hack: Ja, ja.

Interviewer: Gerade das ist, glaube ich, ist noch eine ganz gute anschauliche Geschichte. Du hast gerade den Ray Cokes erwähnt. Bei MTV, kannst du das noch einmal kurz erzählen so als Vergleich?

Hermann Josef Hack: Ja, Ray Cokes, ein sehr bekannter Moderator, hat in dieser Zeit, also kurz nachdem Piazza virtuale gelaufen ist, auf dem Musikkanal MTV, ein Faxgerät vor seiner Kamera positioniert und hat dann die Leute aufgerufen, ihm Faxe zu schicken. Und der Zuschauer konnte dann sehen, während der Sendung, wie dann sein Fax herauskam. Wenn er Glück hatte, wurde das dann auch in die Kamera gehalten. Also es wurde natürlich dadurch zensiert, dass der Moderator das erst einmal vorab gelesen hat. Und meistens ging es darum, welches Musikstück fand der jetzt gut oder welche Gruppe. Also es ging nicht um persönliche Aussagen, was ihn gerade beschäftigte, betraf oder berührte, sondern nur um das Musikprogramm. Das war eigentlich ein Rückschritt uns keine wirkliche Innovation. Und das war trotzdem für viele ein hochgepriesenes interaktives Moment, und das fand ich total armselig. Dennoch wurde das hoch gelobt in den Medien: ja, Ray Cokes, MTV, macht jetzt interaktives Fernsehen und so weiter.
Und da habe ich gesagt, hallo? Der filmt sein Faxgerät, was ist das denn? Da waren wir mit der Technik und Haltung von Van Gogh TV und meinen Angeboten des Global Brainstorming Projects um einiges weiter.

Interviewer: Okay. Ich glaube, das war es. Vielen herzlichen Dank