Interview mit Stefan Römer, 06.08.2020

Siehe auch: Piazzetta Köln

Interviewer: Ja, also ich fange jetzt gleich mit den Fragen an und lege einfach los. Zunächst würde ich dich bitten, mal kurz zu beschreiben, wie diese ganze Organisation von dem Quantenpool da in Köln aussah und was auch deine Rolle war. Ich glaube, du hast ja nicht zu den eigentlichen Organisatoren gehört? Das waren ja die Herren Nieslony und Herr van der Brincken. Wie habe ich mir das vorzustellen, was da vor Ort war?

Stefan Römer: Also, ich muss erstmal dazu sagen, das ist ja schon einige Zeit her. Fast 30 Jahre und ich muss wirklich ganz tief in meinem Gehirn kramen. Also, ich weiß, dass ich von Bernd van der Brincken angesprochen wurde. Und dazu muss ich sagen, der Ort, an dem das stattgefunden hat in Köln, die Moltkerei, war ein Ort, der zu diesem Zeitpunkt bereits seit über zehn Jahren sich etabliert hatte, als ein experimenteller Ort, vor allem für performative Arbeiten im künstlerischen Bereich. Und das war ein besonderer Raum für mich, weil er sehr interessante Veranstaltungen geboten hat. Und die Menschen, die dort eingeladen wurden, auch die internationalen Künstler, die dort hinkamen, stellten sehr wichtige Einflüsse für mich dar. Die Vorbereitung für die Piazzetta lief, glaube ich, so, dass Bernd van der Brincken mich angesprochen hat, wie einige andere auch, unter anderem Boris Nieslony,

und wir uns mehrfach getroffen haben, um Ideen zu entwickeln, was man denn da machen könnte, unter der Voraussetzung, was man zu dieser Zeit, zu diesem Zeitpunkt, wusste, über die Struktur, wie das ganze Piazza virtuale aufgebaut sein sollte und was man unter den Voraussetzungen einer feststehenden Kamera und einem Mikrofon oder eventuell zwei Mikrofonen, wenn ich mich richtig erinnere, überhaupt machen kann. Und da gab’s verschiedene Positionen und am nächsten kam ich mir, glaube ich, mit Boris Nieslony. Weil wir doch ein gewisses politisches Interesse hatten an der ganzen Veranstaltung. Bei mir persönlich hatte das damit zu tun, dass ich mich natürlich mit dem Kulturindustriebegriff von Adorno und Horkheimer beschäftigt hatte, aber auch solche Begriffe wie Bewusstseinsindustrie für mich sehr wichtig waren zu dieser Zeit. Dazu kam, dass ich gerade mein Studium in Kunstgeschichte beendet hatte. Ich habe an einem Institut studiert, wo auch Max Ernst studiert hat, das war für mich damals eine wichtige Motivation. Das hört sich vielleicht lustig an, aber das war tatsächlich so. Ich hatte also mit künstlerischem Interesse Kunstgeschichte studiert und begann zu dieser Zeit grade mir so die Kunsttheorie, die kritische Kunsttheorie und Medientheorie zu erschließen. Und sah das selbst als künstlerische Praxis an, sodass oftmals meine Performances Lesungen waren, die dann gar nicht unbedingt als Performance wahrgenommen wurden, obwohl ich auch sehr viel Sound verwendet habe zu der Zeit. Aber die Diskussion mit Boris Nieslony lief tatsächlich in die Richtung, dass wir einen gewissen politischen Anspruch formulieren wollten, mit einer solchen Veranstaltung in dieser Piazzetta, in der Moltkerei in Köln. Und das war uns deshalb wichtig, weil wir so ein bisschen Angst hatten, dass in diesem ganzen Karussell der Medienverwurstung zur Documenta so eine Diskussion, so eine Veranstaltung, wie auch immer eine Performance, dass das leicht untergeht. Und wir haben es als extrem wichtig angesehen, zu dem Zeitpunkt, dass dieses Netzprojekt, Piazza virtuale, auf der Documenta selbst präsent war. Weil nach jeglicher Definition der Kunst natürlich etwas nur Kunst sein kann oder Kunst ist, wenn es im Kunstkontext, in der Kunstinstitution auftaucht. Und insofern haben wir alle das eigentlich als extrem wichtig angesehen, da Content auch zu liefern und nicht nur sozusagen die Zeit verstreichen zu lassen mit Pillepalle. Du hattest mir ja diese eine Aufzeichnung geschickt von der einen Veranstaltung, wo Boris und ich so eine…

Interviewer: Dann nutze ich die Gelegenheit gleich auch nochmal, um dazwischen zu fragen: Du hast gerade gesagt, du hast an dem Institut studiert, wo auch Max Ernst studiert hat. Hast du dich da jetzt versprochen oder meinst du wirklich Max Ernst, den surrealistischen Maler?

Stefan Römer: Der surrealistische Maler Max Ernst war ja geboren in Brühl zwischen Bonn und Köln und der hat seine Magisterarbeit im kunsthistorischen Institut in Bonn geschrieben, bevor er seinen Weg in die weite Welt, über Köln, Paris und so weiter angetreten ist.
Aber das war für mich ein Grund. Ich habe ja in der Nähe von Bonn gewohnt, um in diesem Institut zu studieren. Das war für mich tatsächlich so ein Motivationspunkt. Wobei ich sagen muss, ich habe zu der Zeit sehr viel gemalt und sehr viel Performance gemacht und künstlerisch geschrieben. Und zunächst mal war für mich dieses kunsthistorische Studium eher so eine Weiterbildung, Fortbildung, so war das gedacht, ich hatte niemals die Idee, einen Abschluss zu machen. Das hat sich dann erst so entwickelt.

Interviewer: Zurück zur Piazza virtuale und Piazzetta Köln. Vielleicht nochmal zu der Situation vor Ort: Also, es gab diese Moltkerei als Performance-Raum. Ich muss sagen, ich habe in der Zeit auch im Rheinland, also in Düsseldorf, gewohnt und bin auch oft nach Köln gefahren zu Galerierundgängen und so weiter und so fort. Diese Moltkerei ist mir nie untergekommen und auch diese Szene, kann man das so sagen, dass das da auch diese Leute, die bei der Piazzetta beteiligt waren, dass das auch so eine Szene war, die sich um diese Moltkerei herum entwickelt hatte?

Stefan Römer: Auf jeden Fall, man muss allerdings dazu sagen, dass das bereits zumindest der erste, wenn nicht der zweite Generationswechsel war. Denn gegründet wurde die Moltkerei von dieser Generation von Elisabeth Jappe, die schon in den 70er-Jahren viel über Performance geschrieben hat und organisiert hat. Und hier tut sich jetzt übrigens, ich komme gleich darauf zurück, aber hier tut sich ein interessanter Bezugspunkt auf. Denn deine Ausstellung „Eintritt in ein Lebewesen von der sozialen Skulptur zum Plattformkapitalismus“ findet ja jetzt grade im Kunstraum Kreuzberg statt, der früher das Bethanien war. Und in diesem Bethanien hat Elisabeth Jappe auch sehr viele Veranstaltungen organisiert, in den 70er- Jahren bereits. Und ich habe als, damals Besucher, von Westberlin immer wieder das Bethanien aufgesucht, weil da interessante Kontexte sich ergeben haben. Also, das ist eine lustige Verbindung, Moltkerei und Bethanien.

Interviewer: Hat die nicht auf der Documenta ’87 das Performance-Programm organisiert gehabt? Da waren ja auch Minus Delta T schon dabei. Gut, zurück zur Moltkerei. Einige von diesen Künstlern haben ja auch später eine gewisse Karriere gemacht. Also der Boris Nieslony kommt einem ab und zu unter. Wie würdest du diese Szene da so beschreiben? Also, das war so die dritte Performancekunst-Generation oder was waren das für Leute?

Stefan Römer: Also, ich würde das eher so, was man heute als freie und experimentelle Szene beschreiben würde, ansehen. Denn es gab jenseits davon ja natürlich auch die Formen von Performances, die beispielsweise Jürgen Klauke gemacht haben oder Arno Steffen. Das waren ja Leute, die in dem Performance-Programm der Documenta 1987 vertreten waren. In der Moltkerei, das war eher wirklich ein sehr experimenteller und auch ein diskussionslastiger Raum, wo viel diskutiert wurde. Wovon ich tatsächlich profitiert hab zu dieser Zeit. Ich habe aber nicht umsonst gesagt oder betont das, glaube ich, Boris Nieslony und ich so eine der wenigen Stimmen waren, die versucht haben, so einen gewissen politischen Anspruch damit zu verbinden, dass man eine Sendezeit bekommt quasi in Verbindung mit Piazza virtuale und der Documenta. Den man zu einer, ja, ich würde sagen, zu einer Diskussion nutzen wollte. Wo wir auch bestimmte Themen vorher vorbereitet hatten, die im Hintergrund hinter uns an die Wand geschrieben, gedruckt waren. Ich kann allerdings in dieser Dokumentation, die du mir geschickt hast, kann ich diese Fragen nicht mehr lesen. Wahrscheinlich waren die damals auch auf dem Bildschirm nicht lesbar. Aber es ging uns sehr stark darum, einen Kunstbegriff in Frage zu stellen, der eben auf dem Original basiert, der sich an den Richtlinien des Kunstmarkts orientiert und den Distributionsformen des Kunstmarkts. Wir wollten das eigentlich als Ansatzpunkt benutzen, um diese neue Form von Kunstöffentlichkeit, die über dieses Medium absehbar war, dass wir das thematisieren wollten, dass wir da über den Kunstbegriff sprechen wollen. Das war unsere Absicht. Ich glaube, es ist nicht wirklich gelungen, um das resümierend zu sagen, aber zumindest hatten wir dieses Interesse damals.

Interviewer: Kommen wir vielleicht auf die Einschätzung nachher nochmal zurück. Ganz konkret wurde ja auch immer wieder in der Sendung die Adresse gesagt. Also, es besteht auch so ein bisschen die Einladung, da persönlich aufzutauchen. Wie hat man sich das so vorzustellen? Also die Kölner Kunstszene, wie sah das aus?

Stefan Römer: Ja, also die Piazzetta hatte eine gewisse, also die Moltkerei hatte eine gewisse Werbung gemacht. Trotzdem, wie du es auch eben schon beschrieben hast, glaube ich, wurden die Aktivitäten in der Moltkerei eher von dieser Off-Szene wahrgenommen. Also, einerseits die etwas älteren PerformancekünstlerInnen und andererseits so dieses Szene, die sich um die Off-Galerie 68/11, um diverse Kollektive, auch Al Hansen, also Ausläufer der Fluxusbewegung, gruppiert haben, und die Kunstpiraten muss man da nennen. Du hattest ja auch im Vorfeld eine Zeichnung von Jo Zimmermann, der als Musiker Schlammpeitziger heißt, rumgeschickt und an dieser Zeichnung siehst du auch, dass Jo Zimmermann zum Beispiel in diesem Zusammenhang aufgetaucht ist. Das waren eher so die Kunstpiraten und die Ultimate Academy. Während so die Hochkunst, sage ich jetzt mal, bewusst ein bisschen despektierlich, hat, glaube ich, die Moltkerei nicht so sehr wahrgenommen. Das Besondere an dem Ort war aber, und das hatten wir programmatisch formuliert, wenn ich mich richtig erinnere, dass Publikum aufgefordert war, natürlich in den Raum zu kommen und auch dort vor Ort an den Diskussionen teilzunehmen und durchaus Programmänderungen vorzuschlagen.

Interviewer: Hat das stattgefunden? Da kann ich mich jetzt ehrlich gesagt bei den Sendungen nicht mehr dran erinnern.

Stefan Römer: Kannst du etwas lauter sprechen, bitte?

Interviewer: Ich kann mich jetzt bei den Sendungen, die ich gesehen habe, nicht daran erinnern, dass da wirklich auch der Otto Normalverbraucher gekommen wäre. Hat’s das gegeben, das sich  das Publikum auch, also das Nicht-Kunst-Publikum sich da eingefunden hat?

Stefan Römer: Ehrlich gesagt, kann ich mich nicht so spezifisch erinnern, aber ich weiß, dass immer mal wieder Leute reinkamen, eine Zeit lang dortblieben und dann aber zum Teil auch wieder abgehauen sind. Weil das natürlich in gewisser Weise hermetisch wirkte. Also, meine Spekulation wäre, auch im Vergleich jetzt zu The Thing, das ja an anderem Ort in Köln stattgefunden hat, wenn man nicht schon so einen gewissen künstlerischen Mitteilungsdrang mitgebracht hat, mag das Ganze vielleicht etwas hermetisch gewirkt haben.

Interviewer: Was vielleicht auch zu diesem hermetischen Eindruck so ein bisschen beigetragen hat, also auch jetzt im Nachhinein, wenn man so das Programm liest, dass es da unheimlich viele solche Pseudoorganisation oder solche Quasi-Organisationen gegeben hat. Also das Staubüro, diese Ultimate Acadamy. Die auch solche Stichwörter halt so ins Spiel gebracht haben, als ob sie irgendwie diese Konsumkritik beispielsweise als ja, die irgendwie schon ziemlich viel vorausgesetzt haben. Könntest du dazu vielleicht was sagen?

Stefan Römer: Ich glaube, in den 80er-Jahren, in der zweiten Hälfte der 80er-Jahre sowieso, gab es so eine Tendenz Kunstprojekte mit so Firmennamen zu versehen. In Berlin gab’s ja auch das „Büro Berlin“. Und ich müsste jetzt nachdenken, aber es gab in diversen Städten, gab es ähnliche Titulierungen, Gruppierungen, aber die Ultimate Academy war definitiv ein festes Gefüge, die hatten ja auch einen eigenen Verlag, den Trash Verlag, dann gegründet, der sich da assoziierte und das waren eben diese Leute, die so, ja, so ein, so ein neues Fluxusverständnis aufgebracht haben. Die sehr beeinflusst waren von Al Hansen, der zu dieser Zeit noch lebte, dort in der Gegend auch, in Köln. Die Gruppierungen wieder zusammengekommen sind, tut mir leid, da kann ich mich auch nicht mehr so genau erinnern. Ich weiß nur, dass das ein diverses Feld war und die Diskussion dementsprechend auch langwierig und schwierig. Aber ich kann mich wirklich nicht mehr so genau daran erinnern.

Interviewer: Bevor wir vielleicht auf einzelne Leute, die ihr Programm gemacht haben, zu sprechen kommen, gehen wir doch vielleicht ein paar von den Protagonisten durch. Besonders hervor sticht natürlich der Herr Medienschamane. Hattest du mit dem irgendwas zu tun? Wie kam der da rein? Der ist ja eigentlich aus Heidelberg. Den habe ich auch mal selbst kennengelernt. Bei einer Buchpräsentation von meinem Loops-Buch tauchte der auf. Der ist immer noch Medienschamane. Wie passte der da in diesen ganzen Kontext hinein?

Stefan Römer: Ich kann mich ehrlich gesagt an den gar nicht erinnern. Hat der einen Namen auch außer Medienschamane?

Interviewer: Der heißt auch Boris. Der Nachname fällt mir jetzt gerade nicht ein. Gut, wenn du dich daran nicht erinnern kannst, dann brauchen wir da nicht drauf zu beharren. Ich kann dir nachher mal einen Link schicken.

Stefan Römer: Tut mir leid, ich kann mich nicht dran erinnern.

Interviewer: Was sehr hervorsticht und jetzt auch im Nachhinein betrachtet sehr interessant ist, ist dass der Islam und Moslems da eine große Rolle gespielt haben. Es gibt ja einmal diesen Prediger, der mehrfach auftritt und Aspekte des Islams auseinanderklamüsert. Dann gibt’s diese jungen Frauen einmal, die da über Kopftücher sprechen, da wäre heute natürlich die Hölle los. Kannst du dich daran erinnern, wie sind die da rein geraten? Was war da der Plan?

Stefan Römer: Also, an diese Kopftuch-Veranstaltung, also wo Frauen mit Kopftüchern da waren, kann ich mich dunkel erinnern, aber ich kann mich tatsächlich nicht mehr an den Kontext erinnern, wie das entstanden ist. Da müsste man dann doch vielleicht Bernd van der Brincken fragen. Das kann ich nicht mehr rekonstruieren.

Interviewer: Aber es zeigt auf jeden Fall, dass es doch eine relativ heterogene Mischung war. Dass es nicht nur Kunstszene gewesen ist.

Stefan Römer: Also, das trug auch dazu bei, dass ich mich mit Boris Nieslony dann doch etwas konzentriert habe auf unsere Sachen, die wir gemacht haben. Und ich habe auch nicht alle Veranstaltungen besucht, also ich habe wirklich nur bestimmte Dinge besucht, die mich wirklich interessiert haben. Und wie diese Islamgruppierung da reingekommen ist, das weiß ich ehrlich gesagt nicht mehr. Ich hatte den Eindruck, dass es da auch so ein paar Versuche gab, aber ich weiß nicht, ob das wirklich diese Leute waren, sich so ein bisschen diese Organisation unter Nagel zu reißen. Ich weiß aber nicht mehr genau wie die Diskussionen verlaufen sind.

Interviewer: Wie würdest du jetzt deine eigenen Aktivitäten beschreiben? Oder was war da so der Ausgangspunkt?

Stefan Römer: Also, wie gesagt, der Ausgangspunkt war bei mir einerseits diese von der Kunst her kommende Beschäftigung mit Performance, mit Öffentlichkeit. Wie sich vor allem zu diesem Zeitpunkt auch die Öffentlichkeit verändert, der Öffentlichkeitsbegriff verändert. Es war zu dem Zeitpunkt schon ganz klar, dass die Formen von Überwachung Anfang der 90er-Jahre sich extrem geändert haben oder sich dabei waren zu ändern. Man muss auch sagen, jetzt mal so ein bisschen zeithistorisch, zu dieser Zeitz genau ’91, ’92, ’93, sind große, schlimme Anschläge von rechts geschehen. In der Nähe wurde in Leverkusen ein Haus angesteckt, wo mehrere Personen mit Migrationshintergrund zu Schaden kamen, gestorben. Dann war Rostock-Lichtenhagen, das habe ich, glaube ich, sogar in der Veranstaltung auch erwähnt. Und habe darauf hingewiesen, dass angesichts solcher Entwicklungen in der Gesellschaft es sinnvoll ist, meiner Ansicht nach, oder sinnvoll war, in der Kunst sich auf solche Themen explizit zu beziehen und die einzubeziehen in die Diskussion der Kunst, ganz explizit. Und insofern war auch mein Verständnis von Mediengebrauch zu diesem Zeitpunkt eigentlich sehr stark darauf ausgerichtet zu überlegen, welche Öffentlichkeit man damit erzeugen kann und welches Interesse man damit vertritt, wenn man dieses Medium, dieses neue Medium oder diesen Medienverbund benutzt, wenn man sich darin betätigt. Also für mich war natürlich auch interessant, auszuprobieren, inwieweit eine Diskussion über Kunstbegriffe in diesem Medium zu führen war. Ich habe zu diesem Zeitpunkt ja auch angefangen, explizit zu schreiben, anstatt Bilder zu malen. Das war so eine Form von mir. Und die Auseinandersetzung mit Videokunst und Performance war eine ganz wichtige Voraussetzung. Wobei ich sagen muss, ich habe mich eigentlich schon auch zu dieser Zeit relativ zurückgehalten, was die Technik betroffen hat. Also, ich habe mich weniger um die Infrastruktur gekümmert. Mir ging es ganz explizit um diese Frage von Mediengebrauch, Öffentlichkeit, welche Interessen werden artikuliert in diesem Medium. Das waren eigentlich so die Zusammenhänge.

Interviewer: Die Kölner Piazzetta war ja eine der produktivsten Piazzettas überhaupt, die mit die meisten Programme gemacht haben. Gleichzeitig war das ehrenamtlich. Also, es gab kein Geld dafür. Wie würdest du aus der Perspektive deine Motivation beschreiben, also viel Arbeit und Energie reinzustecken?

Stefan Römer: Ja, die Motivation war tatsächlich so einen politischen Raum in der Kunst zu suchen oder umgekehrt, diesen Raum, der noch nicht so definiert war, mit bestimmten Interessen in Anspruch zu nehmen. Und da traf ich auf zwei Personen, wie gesagt, Bernd van der Brincken, der zunächst mal immer für viele Dinge offen war, und auf der anderen Seite Boris Nieslony, der auch schon eine gewisse Erfahrung als Performancekünstler hatte und auch eine, ja, wie soll man das formulieren, eine relativ harsche politische Haltung vertreten hat, die nicht allen Leuten gefallen hat. Weil auch zu diesem Zeitpunkt sehr viele Leute im Kunstbereich, auch in diesem freien Bereich, die sich explizit gegen alle Formen von politischer Diskussion gewandt haben und dazu gehörte zum Beispiel auch, dass man darüber spricht, was du angesprochen hast, also dass das alles sozusagen ehrenamtlich oder freiwillig geschieht, ohne eine Bezahlung. Also, da gab’s ganz viele Leute, die darüber gar nicht sprechen wollten. Und dann gab’s natürlich eine Fun-Fraktion, die immer vor allem Spaß haben wollten. Und dann gab’s diese diversen Gruppierungen, die ich wirklich nicht mehr überschauen kann, die aus ganz anderen Feldern und Bereichen kamen und ganz gerne dort ihr normales Programm abspulen wollten und einfach diese neue Öffentlichkeit dafür nutzen wollten.

Interviewer: Ja, genau und jetzt vielleicht einfach mal konkret runter gebrochen, also, du hast jetzt deine Motivation beschrieben. Wie sah das dann in der praktischen Sendungsgestaltung aus?

Stefan Römer: Na ja, es gab jenseits von den Sendezeiten der Piazzetta Meetings und in diesen Meetings wurden Themen besprochen, vorgesprochen, besprochen, diskutiert. Ich habe zu diesem Zeitpunkt eigentlich mir immer sehr genaue Begriffe und Themen vorher notiert und hab die in die Diskussion reingebracht, weil ich einfach sehen wollte, ob es dort andere Personen gibt, die diese Interessen teilen und mit denen ich sozusagen eventuell eine Veranstaltung hätte machen können. Die genauen Themen, die ich damals formuliert habe, die habe ich sogar irgendwo schriftlich. Aber ich müsste wahrscheinlich in den Keller irgendwo, um einen der Ordner zu suchen. Aber tatsächlich war der heißeste Aufhänger, glaube ich, wirklich diese rechtsradikalen Angriffe zu dieser Zeit und, dass dieses neue Medium ein Fenster auf der Documenta bekommen hat. Also, das war für mich ein relativ revolutionäre Situation.

Interviewer: Wie würdest du, wo wir gerade die Documenta erwähnen und das Projekt als solches, wie würdest du die Zusammenarbeit mit Van Gogh TV in Kassel beschreiben? Kanntest du die vorher schon?

Stefan Römer: Also, ich persönlich kannte die Gruppe Minus Delta T und hatte auch, wenn ich mich richtig erinnere, eine kleine Dokumentation von denen oder ein Büchlein von denen, was ich sehr interessant fand. Ich kannte die, ich glaube, durch zwei Veranstaltungen, die irgendwo in Düsseldorf stattgefunden hatten oder ich bin mir nicht mehr ganz sicher. Minus Delta T, die waren mir zumindest ein Begriff, so aus der ja aktivistischen oder alternativen Kunstszene. Und ich hatte einiges gehört über deren Aktivitäten auch in Hamburg. ich kannte sie aber nicht persönlich wirklich gut. Und ich persönlich fand dieses Projekt ganz großartig, das aufzuziehen. Allerdings muss ich sagen, ich glaube, ich war dreimal auf der Documenta zu Besuch und ich fand’s relativ schwierig mit denen vor Ort ins Gespräch zu kommen, weil die natürlich extrem involviert waren in ihrem Bus. Wenn ich das richtig erinnere, war das Ganze in einem Bus und die Repräsentanz auf der Documenta hätte ich mir damals anders gewünscht. Also nicht nur, dass es diesen Bus gibt, der dort in der Nähe des Fridericianums, glaube ich, stand.

Interviewer: Da muss ich dich unterbrechen. Du verwechselst gerade die 87er Documenta und die 92er Documenta. Der Bus war ’87, da waren die ja im Performance Programm auch, als Kunstpolizei Minus Delta T. Dann bei der 92er Documenta, als Van Gogh TV war, hatten die so Container neben dem Fridericianum aufgebaut. Sie waren allerdings auch keine offiziellen Documenta-Künstler. Das war so ein Nebenprojekt oder so ein Sonder-Projekt nannten die das, aber sie waren nicht offiziell eingeladene Künstler. Deswegen waren sie auch nicht in der Ausstellung oder auch im Katalog zumindest nicht auf der Künstlerliste vertreten. Aber ’92, wie gesagt, wenn du da gewesen sein solltest, müsstest du dich an so ein Containergebäude erinnern.

Stefan Römer: Ich erinnere mich an beides, aber nicht mehr sehr scharf, ehrlich gesagt. Aber ja, also ich hatte keine Gelegenheit, dort eine größere Diskussion zu führen. Wir hatten von der Piazzetta in Köln, glaube ich, auch mehrere so Anregungen immer mal wieder geschickt, aber ich kann mich wirklich nicht genau dran erinnern, wie diese Kommunikation, Diskussion gelaufen sind. Also, das ist einfach zu lange her.

Interviewer: Es gibt halt diese Faxe, die hin und her gegangen sind, aber da geht’s halt vor allen Dingen so um logistische Sachen, um Sendetermine, um Themen der Sendung, die dann bekannt gegeben werden. Aber vielleicht, also diesen Clip, den ich dir da geschickt habe mit dieser Diskussion, das war vielleicht auch grade dadurch motiviert, dass es halt diese Auseinandersetzung so zwischen den beiden, also zwischen Piazzetta Köln und Piazza virtuale gegeben hat.

Stefan Römer: Ja. Ich muss übrigens sagen, ich finde das extrem anregend, sich diese Dokumentation jetzt nochmal anzuschauen. Das Bild, was man dort sieht, also quasi das verschiedene Piazzettas parallel zu sehen sind und sprechen und senden und dann auch wieder abbrechen. Das hat natürlich einen gewissen historischen Schick, finde ich durchaus, aus heutiger Sicht gesehen. Ich kann mich aber noch dran erinnern, dass, also jetzt nochmal auf die Situation in der Piazzetta während der Veranstaltung, ich kann mich erinnern, dass es sehr schwierig war, den Raum, in dem man war, mit den zwei Leuten oder drei Leuten, mit denen man die Sendung gestaltete und dann noch die verschiedenen Stimmen und die verschiedenen Bildschirme in der Projektion, gleichzeitig wahrzunehmen und da so ein bisschen den Faden zu behalten. Und ich kann mich erinnern, dass bei einigen Veranstaltungen das eben total aus dem Ruder gelaufen ist, also in Anführungszeichen, insofern, als es irgendein annonciertes Thema gab, dieses Thema aber nach wenigen Minuten komplett vergessen wurde. Und da hatten Boris und ich, wir hatten uns da also wirklich vorgenommen, so ein bisschen hartnäckig an den Fragen dranzubleiben, was man, glaube ich, in der Dokumentation auch so ein bisschen sieht.

Interviewer: Ich muss sagen, auch wenn auf dem Bildschirm eigentlich gar nicht so viel passiert, also bei dieser Sendung auch bei anderen, muss man schon ganz schön aufpassen, also selbst meine Studenten, denen ich da mal wieder so Ausschnitte gezeigt habe, haben gesagt, dass sie das zum Teil fast so als Überlastung empfunden haben, weil man halt irgendwie verschiedene Audioebenen hat und verschiedene Bildebenen. Und das immer einordnen und verstehen muss und dass das auch anstrengend sein kann, ja.

Stefan Römer: Ja. Unter dieser Voraussetzung lassen sich diese Passagen verstehen, wo Leute, die versuchen, überhaupt erst rauszufinden, ob sie auf Sendung sind, dass die dann sagen: „Hallo? Hallo? Bin ich jetzt da?“ Das enerviert natürlich, aber das ist verständlich, warum es diese Haltung gab, weil man nicht wusste, ob man tatsächlich gesehen wird oder gehört wird.

Interviewer: Wenn du dich da jetzt selbst so siehst, was würdest du denn dem jungen Stefan Römer aus deiner heutigen Perspektive auf den Weg geben wollen oder sagen wollen?

Stefan Römer: Na ja, ich würde, ich bin erstaunt erstmal, wie ruhig ich da geblieben bin, weil teilweise wäre ich wahrscheinlich heute nicht mehr so geduldig, da würde ich wahrscheinlich eher den Raum verlassen. Aber das Interessante war, dass tatsächlich man ja einige dieser Leute auch schon kannte. Also, ich kannte zwei Leute, glaube ich, von denen, die aus Bremen zugeschaltet waren. Und ich kannte den Herrn, der vom Container aus Kassel zugeschaltet war. Der also da als Besucher sozusagen agiert hat. Das war ein alter Bekannter von mir, mit dem ich viele Performances gemacht habe in den 80er-Jahren. Der war zu diesem Zeitpunkt zufällig in Kassel und ist da abends hin. Ich glaube, die Sendezeit war ja auch sehr spät abends, wenn ich mich richtig erinnere?

Interviewer: Es war verschieden. Bei der Sendung weiß ich es aus dem Kopf nicht. Also, das Hauptprogramm war tagsüber, morgens, also zwischen zehn und zwölf. Da gab’s immer eine Stunde und dann gab’s halt an den Wochenenden von Freitag auf Samstag und Samstag auf Sonntag gab es diese Nachtsendung, aber ich glaube, die Sendung von der wir jetzt gerade sprechen, ist tatsächlich vormittags gelaufen. Ich meine, es wäre wohl morgens gewesen. Bei der ist es ja auch hell im Hintergrund, wenn ich mich richtig erinnere?

Stefan Römer: Nein, ich glaube, die Moltkerei war komplett abgedunkelt.

Interviewer: Ich meine, bei dem Kollegen, der da aus Kassel kam? Wie hieß der denn?

Stefan Römer: Ah ja, interessant, interessant, ja.

Interviewer: Und ja, wie hieß der Kollege, der da aus Kassel sich eingebracht hatte? War das ein Zufall oder wusste der schon, dass ihr da auf Sendung sein würdet? Weißt du wahrscheinlich auch nicht mehr.

Stefan Römer: Das war Helmut Weggen, der als Schauspieler auch so in diesem rheinischen Zusammenhang öfter aufgetreten ist und auch in verschiedenen Kabaretts mitgewirkt hat und so, aber ich glaube, er war einfach zu Besuch auf der Documenta, um sich die anzusehen und hat dann gesehen, dass die Piazzetta aus Köln zugeschaltet ist und hat sich dann da eingebracht. Das war, glaube ich, so mehr oder weniger Koinzidenz.

Interviewer: Jetzt mal inhaltlich, was das Gespräch betrifft: du hast gerade gesagt, heute würdest du den Raum verlassen. Was war denn so der Casus Knacksus? Irgendwie habe ich das Gefühl, da soll auch so ein bisschen Kritik an dem ganzen Piazza virtuale formuliert werden. Vielleicht kannst du das jetzt nochmal ausführen?

Stefan Römer: Ja, also, ich hätte nicht den Raum verlassen wegen den geäußerten Meinungen oder Positionen, sondern eher wegen der Überlastung. Denn ich weiß nicht, ob ich mich heute eine Stunde lang dem so aussetzen würde, aber inhaltlich ging es uns sehr stark darum wirklich nach dem Kunstbegriff zu fragen. Inwiefern dieses zu diesem Zeitpunkt neue Medium oder dieser Medienverbund eine Sensibilität dafür entwickelt, welche Öffentlichkeit dort stattfindet kann oder könnte und eben dieser Bezug zu den rechtsradikalen Ausschreitungen zu dieser Zeit. Also, man empfand es doch, in meinem Kontext dort in Köln, als ziemlich beängstigend, dass Helmut Kohl so lange an der Regierung war und dass eben oppositionelle Meinungen, kritische Meinungen entweder ignoriert wurden oder eben sofort instrumentalisiert wurden. Da war diese Regierung Helmut Kohl ja sehr geschickt drin.

Gleichzeitig muss man sagen, dass gegen die linke Szene eben sehr hart vorgegangen wurde, während diese rechten Ausschreitungen, da hat es sehr, sehr lange gedauert, bis da überhaupt jemand offen gesagt hat in den Medien: Es handelt sich hier um rechtsradikale Ausschreitungen. Und das war so ein bisschen der Schatten, der für mich über dieser ganzen Geschichte lag und Boris und ich, wir wollten das eben explizit auch da rein tragen. Und deshalb haben wir uns so ein bisschen vorgenommen, auf diesen drei Fragen, die im Hintergrund projiziert waren oder angeklebt waren, zu konzentrieren. Inwiefern eben dieses neue Medium weg von diesen verständlicherweise problematischen Infrastrukturfragen kommt. Also, es stand ja zunächst mal immer im Raum das Problem: Wie kriegen wir eine stabile Sendung hin? Und wenn das gelöst war, das Problem und dieses Problem trat ja immer wieder während der Veranstaltung noch auf. Dann konnte man sich sozusagen kommunikativ mit dem Medium beschäftigen, aber oftmals gab’s eben diese Zusammenbrüche, wodurch man dann wieder nicht mehr wusste, ob man noch online ist oder nicht. Also das war schon so eine gewisse Medienspezifik zu diesem Zeitpunkt, dass man nie so genau wusste, wie lange die Leitung steht und wie das funktioniert und wenn ich mich richtig erinnere, gab es eben auch ab und zu Eingriff entweder von Kassel aus oder von anderer Position, wo eben auch schon mal der Saft abgedreht wurde, wenn etwas zu langweilig oder wie auch immer war. Habe ich so in Erinnerung, aber da müsste ich jetzt wirklich in meinen Unterlagen nachgucken.

Interviewer: Es gab auf jeden Fall aus Kassel, nicht nur an der Piazzetta Köln, aber auch an der Piazzetta Köln, die Kritik, dass da halt viel auf Selbstdarstellung einfach aus war, dass da traditionelle Performance-Zeit im Fernsehen übertragen wurde, was nicht Sinn der Sache war. Es sollte ja interaktiv sein und das Publikum mit einbeziehen. Wie würdest du das sehen?

Stefan Römer: Ja, das kann ich bestätigen. Jetzt wo du das sagst, das stimmt. Es gab einige Performancekünstler, -künstlerinnen, die sich sozusagen Sendezeit gebucht haben, um einfach Performances zu machen. Und das fanden wir auch nicht so witzig. Da gab’s schon ziemlich heiße Diskussionen drum. Also quasi das Medium wieder zu benutzen für so eine künstlerische Ego-Show. Und das wäre ja wiederum, also in unserem damaligen Verständnis, glaube ich, wäre das sehr stark in die Richtung gegangen wiederum so ein Original zu liefern. Also eine Identität zwischen Medium und Darsteller herzustellen, die dann wieder in so einen Originalitätsdiskurs reinpasst. Das wollten wir eigentlich vermeiden. Also wir wollten eigentlich wirklich die Chance des Mediums annehmen und begreifen, als ein Experimentierfeld, um eine andere Form von Kunst, die eben nicht immer mit einem einzigen Namen, mit einem einzigen Werk, mit einer Identität ausgestattet ist. Das war schon ein ganz wichtiger Anspruch damals.

Interviewer: Ganz praktisch zum Schluss noch eine Frage: Die Telekom hat ja damals den ISDN-Anschluss gesponsert, aber dann scheint’s da irgendwie doch Geldforderung gegeben zu haben. Könntest du dich da irgendwie dran erinnern? Wer hat diese Gebühren übernommen? Wo kam da sonst noch Geld her für die Piazzetta oder war das alles Selbstausbeutung?

Stefan Römer: Also ich bin mir da nicht ganz sicher, aber ich glaube, wir haben eine Subvention von der Stadt bekommen für die freie Szene. Ich kann mich daran erinnern, dass es eine Diskussion gab, die von van der Brincken unter anderem geführt wurde, wo man versuchte, das Geld einzutreiben. Ich kann mich aber nicht erinnern, wie das ausgegangen ist. Da müsste man Bernd van Brincken nochmal fragen. Da kann ich mich wirklich nicht dran erinnern.

Interviewer: Aus heutiger Perspektive dein Resümee: Was steckt in dem Projekt drin, was bedeutet das für dich auch persönlich?

Stefan Römer: Für mich persönlich war das relativ wichtig, diese Erfahrungen dort zu sammeln. Im künstlerischen Kontext hat mir das zwar Erfahrung gebracht, aber kein Renommee. Das wurde eigentlich von der Galerieszene, so die Hochkultur hat das nicht so wahrgenommen. Ich selbst hab ja, glaub ich, ’92 auf dem Kunstmarkt Interviews geführt mit verschiedenen Personen, Videointerviews. Auf der Art Cologne, hieß das damals noch, und es gab zu diesem Zeitpunkt eine rege Vernetzung zu Berlin, Frankfurt, Hamburg, Wien, Zürich, verschiedene andere Orte. Ich glaube auch Brüssel und da war dieses Intermezzo mit Piazza virtuale nur ein Ding. Resümee mäßig würde ich sagen: Der Ansatz und der Anspruch waren wichtig. Besonders wahrgenommen wurde das nicht. Also, ich habe mich ja dann auch entschlossen, sehr viel mehr Texte zu schreiben und in die Kunstkritik zu gehen und mich auch kunsttheoretisch zu äußern, anstatt Bilder zu malen. Und also ich glaube, Piazza virtuale hätte eine andere Form von Selbstvermarktung oder Selbstöffentlichkeit in diesem Kunstkontext noch angehen müssen. Da gab es, wenn ich mich richtig erinnere, aber auch damals gewisse Kritik an diesem Core, an dieser Gruppe, an Minus Delta T. Ich kann mich aber nicht mehr genau erinnern. Also ich glaube, ich habe mich an dieser Diskussion nicht beteiligt, weil ich dann schon mit einem anderen Projekt beschäftigt war.

Interviewer: Also was die Selbstdarstellung oder die Promotion einfach von diesem Projekt betrifft, kann man denen aber eigentlich jetzt nicht Untätigkeit vorwerfen. Ich habe ja diese gesammelten Unterlagen da gesehen, also da wurde wirklich angeschrieben, informiert mit Pressematerial behelligt. Wer irgendwie in Frage gekommen ist, also von der traditionellen Kunstpresse, Feuilleton bis hin zur Computerszene. Also das war nicht, dass die es nicht versucht hätten. Das hat, glaube ich, damals dann auch schon so einen Neulandfaktor gegeben, das Interesse nicht so groß war oder man das alles komisch fand und sich nicht drunter vorstellen konnte. Also, das muss man da auch mal eingedenk sein.

Stefan Römer: Ja, das glaube ich auch, dass einfach auch die Zeit noch nicht so weit war. Ich erinnere mich dunkel daran, dass ja dann auf der nächsten Documenta gab’s ja, glaube ich, einen Datenraum, wo dann hier auch so Leute wie Pit Schultz und so weiter aus Berlin aktiv waren oder war das mit Geert Lovink zusammen? Ich bin mir jetzt nicht mehr so sicher.

Interviewer: Es gab einmal halt diesen Netzkunstraum, wo Jolie und solche Leute halt auf Computern ganz traditionell gezeigt worden sind. Wo es ja damals auch viel Gemecker gegeben hat und dann gab’s diesen Workspace. Wo immer eine Gruppe eine Woche Programm machen konnte.

Stefan Römer: Richtig, genau. Also ich kann mich auch da noch dran erinnern, dass da immer aus der traditionellen Kunst gefragt wurde, immer wieder, was das denn auf der Documenta zu suchen habe und was das mit Kunst zu tun habe? Also ich glaube, diese Diskussion, die ist durchaus länger gelaufen und wenn man jetzt aus heutiger Sicht das Ganze reflektiert, würde ich sagen, es war ein absolut wichtiges Avantgarde-Projekt, mit sehr viel persönlichem Aufwand betrieben, von sicherlich allen Beteiligten. Die Anerkennung als Kunst, glaube ich, kann erst aus einer heutigen Sicht stattfinden und ist insofern auch an deine Arbeit, also diese Archivarbeit geknüpft. Also, das scheint mir da ein ganz wichtiger Punkt zu sein. Wenn man durch die Ausstellung geht jetzt im Kunstraum, ehemaligen Bethanien, sieht man ja auch welchen wichtigen Stellenwert diese verschiedenen Netz- und Computerprojekte haben, aus dem Medienambiente, in dem wir heute leben. Also wenn man das sieht, was da entwickelt wurde, kommt man doch zu dem Schluss, dass viele von diesen Dingen einfach nach und nach über diesen historisch sehr kurzen Zeitraum von 20, 25 Jahren entstanden sind. Und die, die Selbstverständlichkeit, mit der wir heute, was weiß ich, irgendwelche Klickzahlen uns anschauen, wenn wir ein Bild auf Instagram hochladen, das hat natürlich damals so nicht existiert. Da war vieles viel härter, eine direkte Auseinandersetzung, was einem nicht gefällt, wurde weggeklickt oder wurde ignoriert. Ich glaube, da können wir sehr dankbar sein über diese ganzen avantgardistischen Projekte, wo ich jetzt bewusst diesen Begriff des Avantgarde benutze. Weil ich glaube, dass sie für die zeitgenössische und die zukünftige Kunst schon ganz extreme, wichtige Genealogien darstellen. Da bin ich voll von überzeugt.